Seine letzte grosse Reise als Bundesrat führt ihn in den Oman
21 Kanonenschüsse für Berset

Er ist sich rote Teppiche gewohnt. Vor seinem Rücktritt begibt sich Bundespräsident Alain Berset noch einmal auf eine Reise: Warum er im Oman opulent empfangen wird und in Dubai durch die Klimakonferenz joggt.
Publiziert: 18.12.2023 um 20:55 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2024 um 17:32 Uhr
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Barfuss betreten Bundespräsident Alain Berset und seine Frau Muriel Zeender Berset die Grosse Sultan-Qabus-Moschee in Maskat, Oman.
Foto: Julie de Tribolet
Alessia Barbezat
Schweizer Illustrierte

Kaum ist er in den Bundesratsjet gestiegen, der noch auf dem Rollfeld in Belp BE steht, tauscht Alain Berset (51) den Anzug gegen ein blaues Hemd, das er aufgeknöpft lässt. Die Stimmung an Bord ist gelöst. Kommunikationschef Christian Favre hat Geburtstag, und Berset nutzt die Gelegenheit, um mit seiner Frau Muriel, seiner Leibgarde und Mitgliedern der Delegation darauf anzustossen.

Nach drei Legislaturperioden hat Alain Berset seinen Rücktritt angekündigt. Nostalgisch sei er nicht, sagt er. «Warum sollte ich etwas bereuen? Ich habe alles gegeben und alles erreicht, was ich tun musste.» 20 Jahre Bundespolitik seien ein Privileg gewesen. «Ich kam mit 39 in den Bundesrat. Von da an war mir klar, dass es einen Anfang und ein Ende gibt und dass dieses Ende innerhalb von acht bis zwölf Jahren kommen wird.»

Barfuss auf dem Teppich

Nach einem kurzen nächtlichen Zwischenstopp in Abu Dhabi geht es in den Süden der arabischen Halbinsel. Der Oman und die Schweiz feiern 50 Jahre diplomatische Beziehungen. Berset, inzwischen im staatsmännischen Anzug, mit konzentrierter Miene und einer kleinen Brille auf der Nase, markiert als Bundespräsident an Bord der Falcon 900 die für ihn vorbereiteten Notizen. Seine diplomatische Beraterin weist ihn noch einmal auf die Feinheiten des omanischen Protokolls hin, dann betritt Berset den roten Teppich auf dem Rollfeld der Hauptstadt Maskat.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Für Bersets Besuch zieht der 68-jährige Sultan Haitham bin Tariq alle Register: Die Strassen sind gesperrt, damit der Mercedes-Konvoi zum Königspalast düsen kann. Dort stehen 40 Reiter der königlichen Garde Spalier. Auf dem Palastgelände wird die Nationalhymne gesungen, gefolgt von 21 Kanonenschüssen. In der Grossen Sultan-Qabus-Moschee kann Berset den grössten Kronleuchter der Welt bestaunen und barfuss über den 60 mal 70 Meter grossen, handgewebten Teppich schlendern. Nichts ist zu schön, um «Seine Exzellenz Dr. Alain Berset» zu empfangen, wie es das Protokoll formuliert.

Bling-Bling in Dubai

Abends dann das prunkvolle Staatsbankett im Königspalast. Die Musiker, verborgen hinter traditionellen Holzgittern, den Maschrabiyyas. Die Gerichte spiegeln omanische, afghanische und iranische Einflüsse. Aber Achtung, das Essen beginnt erst, wenn der Sultan diskret das Zeichen dafür gibt. Was hält der SP-Minister von diesem üppigen Empfang? «Wissen Sie, ich fühle mich überall wohl und passe mich der Umgebung an. Sei es bei einem Staatsbankett, einem Apéritif mit der Bevölkerung oder an einer grossen Konferenz. Man kann keine Politik machen, wenn man den Kontakt mit Menschen nicht mag. Wir haben mit dem Sultan institutionelle und persönliche Fragen angesprochen. Diese Art von Begegnung ermöglicht es, Menschlichkeit und Tiefe in die diplomatische Beziehung zu bringen.»

Auf die Ruhe und Raffinesse des Oman folgt das Bling-Bling von Dubai. Ausgerechnet in der Stadt der Klimasünden findet die 28. Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt. Ausgerechnet Sultan Al Jaber hat den Vorsitz, heimischer Industrieminister und Vorstandsvorsitzender der staatlichen Ölgesellschaft. Er leitet die Verhandlungen zwischen 200 Ländern. «Ich verstehe die Vorbehalte gegen diesen Ort und die Grösse der Veranstaltung», sagt Berset. «Für die Kritiker gibts zwei Möglichkeiten: Entweder man schlägt eine Alternative vor. Aber welche? Oder es gibt keine Treffen mehr. Und das wäre eine Katastrophe.»

170 Staatsoberhäupter und 80'000 Teilnehmende wuseln durch die Expo City. Der Innenminister joggt von einem Treffen zum nächsten: zwei 15-minütige bilaterale Gespräche mit Uno-Generalsekretär António Guterres und dem indischen Premierminister Narendra Modi. Dann bekräftigt er die Mitgliedschaft der Schweiz im G7-Klimaklub. Anschliessend nimmt er an einem Gespräch über die Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel teil. Zwischendurch findet Berset den Weg durch die eisig runtergekühlten Gänge der Expo City dank eines Platzanweisers, der ihm die Richtung weist. Und wenn die Dinge nicht in Bersets Tempo laufen, sprintet der ehemalige Westschweizer Juniorenmeister im 800-Meter-Lauf einfach.

Vor seinen Amtskollegen aus aller Welt wird Berset eine Rede halten, im VIP-Bereich gibt er ihr den letzten Schliff. Rundherum drängen sich die Grossen dieser Welt. Rishi Sunak, der britische Premier, unterhält sich auf einem beigen Sofa mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission. Tony Blair, der ehemalige britische Labour-Chef, ist auch da. Und John Kerry, der Sondergesandte des US-Präsidenten für den Klimaschutz, geht schwungvoll durch den Salon, während Bill Gates von Fotografen verfolgt wird.

«Der Rhythmuswechsel wird brutal sein»

Dann kommt Bersets Auftritt: Der Gast aus der Schweiz betritt die Bühne, um ein Plädoyer für den Klimaschutz zu halten. «Jetzt ist der letzte Moment, um zu handeln, der letzte Moment, wenn wir wirklich unser Ziel erreichen wollen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dennoch hat man fast den Eindruck, dass sich eine gewisse Fatalität breitmacht, ein Gefühl, dass nicht mehr alle wirklich daran glauben. Und dies ist keine gute Nachricht.» Berset verspricht, dass die Schweiz rund 170 Millionen Franken für die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder bereitstellen wird.

Nach dem Marathon der letzten Tage stellt sich im Auto von Dubai nach Abu Dhabi die Frage: Hat der Bundespräsident Angst vor einem leeren Terminkalender? «Der Rhythmuswechsel wird brutal sein. Vielleicht wird es schwieriger, als ich denke», sagt Berset. «Aber ich finde es interessant, dass ich mich fast von aussen beobachten kann. Ich sehe es als Experiment.»

Und was wird er am meisten vermissen? «Mein Team und die intellektuelle Stimulation. Die Überlagerung von Themen und Elementen, die man gleichzeitig bewältigen muss, mit einem ziemlich hohen Grad an Komplexität.» Ist das die Voraussetzung für seinen nächsten Job? Berset lächelt: «Ich werde sicher nach Dingen suchen, die diesen Hunger befriedigen.» Mehr will er zu zukünftigen Projekten nicht sagen. Ah, doch. Er hat sich schon mal ein neues Paar Ski gekauft.

Bearbeitung: Lynn Scheurer

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