Es war ein Durchbruch in letzter Minute: An Heiligabend haben sich die EU und Grossbritannien auf einen Brexit-Deal geeinigt. Das Handelspaket tritt ab 1. Januar 2021 in Kraft – vorerst provisorisch, da die anderen EU-Mitgliedsländer noch ihre Zustimmung geben müssen.
Auch in der Schweiz wurden die Brexit-Verhandlungen genau beobachtet. Während die Briten aus der EU austreten, diskutiert die Schweiz zurzeit darüber, sich anzunähern: Mit dem institutionellen Rahmenabkommen, das höchst umstritten ist.
Der Brexit-Deal ist Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner: «Boris Johnson hat es richtig gemacht», jubelt SVP-Nationalrat Roger Köppel (55) auf Twitter. «Hart verhandelt, keine Unterwürfigkeit, Deal erreicht – ohne fremde Gesetzgeber und fremde Richter.» Denn: Im Abkommen spielt der Europäische Gerichtshof bei der Streitschlichtung keine Rolle.
«Zwei grundlegend verschiedene Systeme»
In der Schweiz hingegen ist der vorgesehene Schlichtungsmechanismus heiss umstritten. Muss der Bundesrat diesen neu verhandeln? Wird Grossbritannien nun sogar zum Vorbild für die Schweiz?
Für Europarechtlerin Christa Tobler (59) ist die Antwort eindeutig: «Nein, der Deal zwischen der EU und Grossbritannien ist kein Vorbild für die Schweiz. Da werden wieder einmal Äpfel und Birnen verglichen.»
Der Grund sei einfach, sagt die Basler Professorin zu BLICK: «Es handelt sich um zwei grundlegend verschiedene Systeme.» Die bilateralen Abkommen der Schweiz mit der EU seien voll mit EU-rechtlichen Regelungen. Die Schweiz sei bis zu einem gewissen Grad Teil des erweiterten EU-Binnenmarkts. «Da muss der Europäische Gerichtshof eine Rolle spielen – alles andere kann und wird die EU nicht akzeptieren.»
Brexit-Deal ohne EU-Recht
Ganz anders der Handelsvertrag zwischen Grossbritannien und der EU. «Dieses Abkommen beinhaltet kein EU-Recht, da braucht es auch keinen Europäischen Gerichtshof zur Streitschlichtung.» Grossbritannien ist explizit nicht mehr Teil des EU-Binnenmarkts. Das Abkommen basiere vielmehr auf WTO-Recht und gehe viel weniger weit als die bilateralen Verträge.
So verzichte Grossbritannien eben nicht nur auf die Personenfreizügigkeit, sondern auf viele vorteilhafte Regelungen. Zum Beispiel bei den technischen Handelshemmnissen. «Produkte müssen nun wieder doppelt – in der EU und Grossbritannien – zertifiziert werden. Es fehlt eine gegenseitige Anerkennung», so Tobler. Das vergrössere den finanziellen und bürokratischen Aufwand.
Kommunikativ schwieriger
Tobler glaubt daher nicht, dass der Bundesrat den Schlichtungsmechanismus in den anstehenden Gesprächen nochmals aufs Tapet bringt. «Will man das bilaterale System beibehalten, kommen wir um gewisse Eingeständnisse nicht herum», so Tobler. «Sonst muss man grundsätzlich auf ein Rahmenabkommen verzichten.»
Auch in Bundesverwaltung geht man nicht davon aus, dass sich an der Ausgangslage nun materiell gross etwas ändert. Unser Zugang zum Binnenmarkt sei viel tiefer, erklärt eine involvierte Person. Kommunikativ hingegen ändert sich viel: Es werde nun schwieriger zu vermitteln sein, weshalb der Europäische Gerichtshof hierzulande etwas zu sagen haben soll.
Das sieht auch Tobler so: «Der Bundesrat wird viel Erklärungsarbeit leisten müssen. Das Bild mit den Äpfeln und Birnen leuchtet den Leuten in der Regel aber ein.»