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Brexit-Deal in letzter Minute
Hurra, eine Niederlage!

Kurz vor knapp einigten sich London und Brüssel doch noch auf einen Handelsvertrag. Verloren haben dabei beide.
Publiziert: 27.12.2020 um 12:55 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2021 um 10:34 Uhr
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Auslandsredaktorin Fabienne Kinzelmann.
Foto: Paul Seewer
Fabienne Kinzelmann

Die gute Nachricht zuerst: Weder Grossbritannien noch die Europäische Union gehen am 1. Januar 2021 unter. Pünktlich zu Heiligabend haben die Insel und ihr ehemaliger Dachverband ein Schleifchen um den Brexit-Deal gebunden.

Das war es dann aber auch schon mit den «good news».

In beiden Ländern beziehungsweise Werte- und Währungsgemeinschaften muss der Handelsvertrag jetzt in Rekordgeschwindigkeit durchs Parlament gepeitscht werden. Die Extraarbeit zwischen den Jahren nervt die Abgeordneten nicht nur, sondern bietet ihnen auch keine realistische Chance, den 1256-seitigen Gesetzestext angemessen durchzuarbeiten.

Wer hat gewonnen? Die Frage beantwortete EU-Chefverhandler Michel Barnier am Freitag klar in einem Fernsehinterview: «Niemand hat gewonnen. Es ist eine Lose-lose-Situation.» Oder um es sinngemäss mit Helmut Kohl zu sagen: Hurra, es wurde eine Niederlage errungen!

Grossbritannien verlässt nach fast 40 Jahren Mitgliedschaft endgültig die EU. Binnenmarkt und Zollunion sind passé – damit ist London weiter von Brüssel entfernt als die Schweiz. Die Brexiteers konnten kaum eine ihrer Versprechungen halten. Handel und Grenzübertritt werden aufwendig und teuer, der ökonomische Schaden ist vielleicht nie wieder aufzuholen. Das Erasmus-Programm für Studierende wurde aus Budgetgründen direkt gestrichen. Und die goldenen Zeiten des britischen Empires werden nicht wiederkommen.

Die EU verliert final 13 Prozent ihrer Bevölkerung. Und muss Haushaltslöcher stopfen. Im Jahr 2019 – dem letzten Jahr, in dem sie voll zahlten – waren die Briten selbst mit einem ordentlichen Rabatt immer noch viertgrösster Einzahler nach Deutschland, Frankreich und Italien. Umgerechnet trugen sie rund 11,3 Milliarden Franken netto zum Gesamtbudget der EU bei. Ciao Kakao gilt auch für Grossbritannien als Bindeglied zu Asien und für den Finanzplatz London. Und künftig gibts in der englischsprachigen EU kaum noch Muttersprachler. «Not so good.»

Und dann mault auch die Schweiz noch. Wie ein ungeliebtes Stiefkind wittert sie hinter dem Brexit-Deal eine Bevorzugung gegenüber dem Rahmenabkommen (auch so eine unendliche Geschichte). Aber immerhin ist sie mit den Roamingkosten künftig nicht mehr allein – auch die müssen die Briten ab Januar wieder bezahlen.

Sollen die Bürgerlichen ruhig aufbegehren. Für Schweizer Sperenzchen wird die EU auch jetzt nicht mehr Zeit haben. Der Brexit hört mit dem Deal nicht schlagartig auf. Unternehmen und Verwaltungen werden noch lange mit der Umstellung beschäftigt sein, es wird laufend Gespräche und Verhandlungen geben. In dem Sinne: «Keep calm and carry on.»

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Brexit-Handelspakt
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Durchbruch:EU einigt sich mit Briten auf Brexit-Deal
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