Sie fliehen vor den russischen Bomben. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sollen knapp 400'000 Menschen auf der Flucht sein, schätzt das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Die meisten retten sich in die Nachbarländer Polen, Ungarn, Rumänien oder Moldawien. Und die Zahlen steigen weiter. Die ukrainischen Behörden befürchten bis zu fünf Millionen Vertriebene, sprechen bereits von einer der grössten Flüchtlingskrisen der Gegenwart.
Auch die Europäische Union bereitet sich auf eine riesige Fluchtbewegung aus der Ukraine vor. Erstmals will die EU-Kommission vorschlagen, Regeln für den Fall eines «massenhaften Zustroms» in Kraft zu setzen. Ukrainischen Flüchtlingen könnte so ohne langes Asylverfahren unverzüglich vorübergehender Schutz mit bestimmten Mindeststandards gewährt werden.
EU rechnet mit sieben Millionen Flüchtlingen
Sie wisse nicht, wie viele Menschen kommen werden, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson (58) am Sonntag nach einem Krisentreffen in Brüssel. «Aber ich denke, wir müssen uns auf Millionen vorbereiten.» Konkret war von rund sieben Millionen Vertriebenen die Rede. Die neue Richtlinie soll beim nächsten Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag vorgelegt werden.
«Wir haben erstmals einen Schulterschluss aller EU-Staaten zur gemeinsamen, schnellen und unbürokratischen Aufnahme von Kriegsflüchtlingen erreicht», sagte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (51). Europa sei angesichts der russischen Bedrohung enger zusammengerückt. «Alle EU-Staaten sind zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine bereit. Das ist eine starke Antwort Europas auf das furchtbare Leid, das Putin mit seinem verbrecherischen Angriffskrieg verursacht.»
«Wir werden die Menschen nicht im Stich lassen»
Auch Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) sicherte dabei den betroffenen Staaten die Solidarität und die Unterstützung der Schweiz zu. Sie geht ebenfalls von einem grossen Flüchtlingsstrom aus, ohne Zahlen nennen zu wollen.
Bisher zählt alleine Polen etwa 250'000 Geflüchtete. «Es zeigt sich aber, dass es praktisch keine Asylgesuche gibt.» Viele seien bei Freunden und Verwandten untergekommen. «Man war sich einig, dass man sie einreisen lassen soll», so Keller-Sutter.
Zudem könnten Ukrainer ohne Visum in den Schengen-Raum einreisen. Nun sei zu klären, was nach 90 Tagen geschehe, so Keller-Sutter. Denn dieser visafreie Aufenthalt im Schengen-Raum gilt nur für 90 Tage. Bei der vorgeschlagenen Richtlinie für vorübergehenden Schutz seien sich die Mitgliedstaaten praktisch einig gewesen. Ein Entscheid fällt wohl am Treffen vom Donnerstag.
Für Keller-Sutter aber ist klar: Die Schweiz sei bereit, jene Personen aufzunehmen, die Schutz benötigten und auch die betroffenen Nachbarstaaten zu unterstützen. «Wir werden die Menschen nicht im Stich lassen.»
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Mit ihrer Haltung scheint Keller-Sutter eine klare Mehrheit der Schweizer Bevölkerung hinter sich zu haben. Das zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag von SonntagsBlick. Demnach finden satte 73 Prozent der Befragten, dass die Schweiz Schutzsuchende aufnehmen sollte.