Exklusiv-Umfrage zum Ukraine-Krieg
Mehrheit der Schweiz will EU-Sanktionen übernehmen

Die Bevölkerung zeigt sich gegenüber Strafmassnahmen für Putin offener als der Bundesrat. Der Rückhalt für einen Sitz im Uno-Sicherheitsrat überrascht.
Publiziert: 27.02.2022 um 01:33 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2022 um 11:35 Uhr
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Guy Parmelin trifft 2021 Wladimir Putin in Genf: 52 Prozent der Schweizer möchten, dass die Schweiz die EU-Sanktionen übernimmt.
Foto: DUKAS
Reza Rafi

Selten hat die Landesregierung schneller für internationalen Ärger gesorgt als nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Das eidgenössische Lavieren um die Sanktionen gegen Moskau provozierte Empörung im In- und Ausland. Die Alpenrepublik wird in aller Welt als sicherer Hafen von Kriegstreiber Putin und dessen Clique gebrandmarkt. Man fühlt sich an die Tage erinnert, als der britische «Independent» die Schweiz zu «Europe’s Heart of Darkness» (Europas Herz der Finsternis) stempelte.

Andere Nichtmitglieder der EU tragen ohne Zögern die von Brüssel beschlossenen Strafmassnahmen gegen Moskau mit, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine angekündigt hatte. Der Bundesrat hingegen ziert sich bislang.

Was denken die Schweizer und Schweizerinnen?

Die offene Frage lautet: Wie denkt die Bevölkerung? Eine repräsentative, gewichtete Online-Umfrage des Forschungsinstituts Link bei 1009 Schweizerinnen und Schweizern zuhanden des SonntagsBlicks offenbart eine andere Haltung als jene in Bundesbern.

Mit 52 Prozent spricht sich eine knappe absolute Mehrheit der Befragten dafür aus, dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Moskau übernimmt. Ein Viertel ist dagegen, ein weiteres Viertel zeigt sich in dieser Frage unentschlossen.

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Es fällt auf, dass der Widerstand gegen die EU-Sanktionen im Volk ziemlich genau dem Wähleranteil der SVP entspricht, welche diese Linie mit Verweis auf die Neutralität vertritt.

Der Knackpunkt Neutralität

Doch es ist klar eine Minderheit, die dieser Argumentation folgt: 22 Prozent, also jeder Fünfte, teilt die Haltung, dass Sanktionen nicht mit der schweizerischen Neutralität in Einklang stehen. 56 Prozent halten wirtschaftliche Massnahmen sehr wohl für vereinbar mit der traditionellen Neutralität.

Dass der Bundesrat in dieser Krise generell auf Zurückhaltung setzt, kommt bei den Umfrageteilnehmern dennoch gut an: 45 Prozent begrüssen das, nur ein gutes Drittel, 37 Prozent, möchte eine stärkere Einmischung der Schweiz.

Das kann als Bekenntnis zur traditionellen Schweizer Neutralitätspolitik gelesen werden, aber auch als Ausdruck der Angst vor einer Ausweitung des Krieges. So sind nur 26 Prozent der Meinung, dass der Westen militärisch direkt eingreifen sollte. Eine Mehrheit von 54 Prozent lehnt dies ab.

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Fast die Hälfte befürchtet Dritten Weltkrieg

Dazu passt, dass sich 70 Prozent vor einer weiteren Eskalation des Krieges fürchten, 48 Prozent sogar vor dem Szenario eines Dritten Weltkriegs. Lediglich ein Drittel der Befragten bleibt gelassen.

Rückhalt hat der Bundesrat mit seiner Politik der Guten Dienste: Zwei Drittel, 66 Prozent, finden, dass die Schweiz eine aktive Vermittlerrolle einnehmen sollte. Bloss 15 Prozent sind dagegen.

Sondersession zum Uno-Sicherheitsrat

Interessant ist der Befund bei einem aktuell heiss diskutierten Dossier: Dass der Bund einen Sitz im Uno-Sicherheitsrat anstrebt, hat vor dem kriegerischen Hintergrund an Brisanz gewonnen. Auf Druck der SVP wird das Parlament im März in einer Sondersession erneut über die Kandidatur debattieren.

Obwohl in Osteuropa Bomben fallen, befürworten noch immer 49 Prozent einen Beitritt zum umstrittenen Uno-Gremium. 28 Prozent sagen Nein.

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Bemerkenswert eindeutig fällt das Urteil in der Flüchtlingsfrage aus: 66 Jahre nach dem Ungarn-Aufstand und 54 Jahre nach dem Prager Frühling ist die Solidarität mit Osteuropas Völkern unter der Knute Moskaus ungebrochen: 72 Prozent finden, dass die Schweiz Schutzsuchende aus der Ukraine aufnehmen soll.

Ob der Bundesrat seinem aussenpolitischen Schlingerkurs kommende Woche ein Ende setzt und Klartext über die EU-Sanktionen redet, wird sich weisen. Gut möglich, dass die öffentliche Meinung bei der Entscheidung ihren Beitrag leistet.

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