Der Bundesrat stellt sich quer. Vier Jahre ist es her, seit das Parlament den Bundesrat aufgefordert hat, den Atomwaffenverbots-Vertrag zu unterzeichnen. Doch bis heute weigert sich Aussenminister Ignazio Cassis (61), dem Willen des Parlaments nachzukommen. Bei der Aussenpolitik lässt sich die Regierung von National- und Ständerat nicht dreinreden.
Nun wird der Druck auf den Bundesrat erhöht. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, wendet sich in einem Appell an die Schweizer Regierung. Das Schreiben unterzeichnet haben auch zahlreiche aktuelle und ehemalige Schweizer Polit-Grössen, darunter die alt SP-Bundesrätinnen Micheline Calmy-Rey (77) und Ruth Dreifuss (82).
Weitere Unterzeichnende sind Jakob Kellenberger (78), ehemaliger Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK), zahlreiche frühere Botschafterinnen und Botschafter sowie die Stadtpräsidentinnen und -Präsidenten der grössten Deutschschweizer Städte. Die meisten der Unterstützenden gehören der SP an, mit dem ehemaligen Nationalratspräsidenten Dominique de Buman (66), der für die CVP politisierte, und alt FDP-Ständerat Dick Marty (77) beispielsweise finden sich auf der Liste aber auch Mitglieder anderer Parteien.
Ansehen der Schweiz sei in Gefahr
Die Politiker und Botschafterinnen sehen das Ansehen und den Einfluss des Landes in Gefahr, wenn die neutrale Schweiz den Atomwaffenverbots-Vertrag nicht ratifiziert. Er verbietet unter anderem die Entwicklung, die Produktion, den Test und den Einsatz von Nuklearwaffen.
Man befürchte, dass die Haltung der Schweiz dazu führen werde, «dass andere uns zunehmend nur noch als ‹Schönwetter-Freundin› der humanitären Grundsätze und des Völkerrechts sehen, die bereit ist, beides im Interesse der politischen Opportunität oder als Reaktion auf Unsicherheit und Instabilität aufzugeben».
Vergangenen September hat sich bereits der damalige IKRK-Direktor Peter Maurer (66) an die Schweiz und andere Nicht-Unterzeichnerstaaten gewandt: Er fordere «alle Staaten, die dem Vertrag noch nicht beigetreten sind, auf, dies unverzüglich zu tun».
Bringt der Vertrag wirklich was?
Bisher haben 91 Staaten das Abkommen unterzeichnet, das Anfang 2021 in Kraft getreten ist. Die Atommächte gehören nicht dazu – und sie haben das auch nicht vor. Das ist mit ein Grund für die Bedenken des Bundesrats dem Vertrag gegenüber. Er zweifelt daran, dass der Vertrag etwas bringt – ja fürchtet gar, dass er kontraproduktiv sein könnte. Bestehende Standards, Instrumente und Foren – allen voran jene, die im Atomwaffensperrvertrag festgehalten sind –, könnten geschwächt werden, glaubt die Regierung.
Der Bundesrat vertröstete das Parlament aber mit dem Versprechen, das Ganze noch einmal zu analysieren. 2018 solle der Bericht vorliegen, hiess es 2017 in einer Antwort auf den Vorstoss. Doch bis heute wartet das Parlament auf diese Analyse. Aufgrund von «pandemiebedingten Verschiebungen» wichtiger Konferenzen verzögere sich die Neubeurteilung, teilte der Bundesrat dieses Jahr in einer Antwort auf einen weiteren Vorstoss zum Thema mit. Sie soll nun Anfang nächstes Jahr vorliegen.
Es ist allerdings höchst unwahrscheinlich, dass der Bundesrat dann plötzlich zu einem anderen Schluss kommt. Das geht deutlich aus der Antwort des Bundesrats hervor. Es gebe derzeit keine Anzeichen, dass sich die sicherheitspolitischen Partner der Schweiz oder andere neutrale Staaten dem Vertrag zuwenden würden, heisst es darin. Ausserdem deute nichts darauf hin, dass der Atomwaffenverbots-Vertrag irgendeinen Einfluss auf das Handeln der Atommächte, zum Beispiel Russland, habe.