Die wichtigsten Antworten zum atomaren Säbelrasseln
Was würde ein Nuklearschlag für die Schweiz bedeuten?

Die Ukraine und Russland warnen beide vor angeblich anstehenden Angriffen auf das Atomkraftwerk Saporischschja. Wie gross das Risiko wirklich ist und welche Auswirkungen das auf die Schweiz hätte.
Publiziert: 06.07.2023 um 13:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.07.2023 um 16:05 Uhr
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Immer wieder gibt es Meldungen über einen drohenden Anschlag auf Europas grösstes Atomkraftwerk, das AKW Saporischschja.
Foto: DUKAS
Sermîn Faki

Warum reden jetzt wieder alle über das Atomkraftwerk Saporischschja?

Russland und die Ukraine werfen sich derzeit gegenseitig einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine vor. In der Nacht zum Mittwoch planten ukrainische Streitkräfte, das AKW mit Raketen und Drohnen anzugreifen, behauptete Renat Kartschaa, Berater des Chefs der russischen Atomenergiebehörde, Rosenergoatom, im Staatsfernsehen.

Der ukrainische Generalstab wiederum schreibt in seinem täglichen Lagebericht von angeblichen Sprengkörpern auf dem Dach des Kraftwerks, deren Explosion den Eindruck eines Beschusses wecken sollten. Demnach seien Sprengsätze am Dach des dritten und vierten Reaktorblocks angebracht, sollen die Reaktoren aber nicht beschädigen. Bereits vor Kurzem hatte der ukrainische Geheimdienst vor Sabotageakten gewarnt.

Russische Truppen halten das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine seit März 2022 besetzt. Die Nuklearanlage ist während der Gefechte mehrfach unter Beschuss geraten, was international die Sorge vor einer Atomkatastrophe weckte. Aus Sicherheitsgründen wurde die Anlage inzwischen heruntergefahren. Eine Beobachtermission der Internationalen Atomenergiebehörde ist vor Ort.

Bereits im Oktober vergangenen Jahres stieg bei westlichen Experten und Staatsführern die Befürchtung, dass Putin so sehr in die Ecke gedrängt würde, dass er sich nur noch mit dem Einsatz von taktischen Atomwaffen zu helfen weiss. Putin und sein Umfeld haben auch bereits mehr oder weniger offen mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Dabei stehen taktische Atomwaffen im Fokus.

Was sind taktische Atomwaffen?

Taktische Atomwaffen sind verhältnismässig kleine Waffen, sie werden – ähnlich wie konventionelle Waffen – zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte auf dem Schlachtfeld eingesetzt. Ihr Wirkungskreis und in der Regel auch ihre Sprengkraft sind deutlich geringer als bei strategischen Waffen.

Strategische Atomwaffen sind viel grösser. Sie wurden gebaut, um gar nicht erst eingesetzt zu werden – sondern, um so abschreckend zu wirken, dass der Gegner davor zurückschreckt anzugreifen. Darum wurde beim Atom-Patt zwischen der Sowjetunion und den USA im Kalten Krieg vom «Gleichgewicht des Schreckens» gesprochen.

Wie wahrscheinlich ist der Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine?

Putin hat seit Beginn seines Angriffskriegs immer wieder mit einer «globalen Katastrophe» gedroht, sollten seine Truppen auf solche der Nato treffen. US-Präsident Joe Biden (80), die ehemalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel (68) und auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (64) zeigten sich in der Vergangenheit äusserst besorgt. Allerdings sei bei Putin auch viel Rhetorik dabei, wie Experten versichern.

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Im Schweizer Verteidigungsdepartement hält man einen Einsatz von taktischen Atomwaffen für unwahrscheinlich. Dem stimmte Werner Salzmann (59), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats, im vergangenen Herbst zu: «Putin hat sich nicht geändert, er ist und bleibt unberechenbar. Dennoch ist nach unseren Informationen das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen in der Ukraine derzeit gering.»

Wie würde der Westen darauf reagieren?

Die Nato schweigt sich offiziell darüber aus, doch wichtige Stimmen wie der französische Präsident Emmanuel Macron (45) oder der ehemalige CIA-Chef David Petraeus (70) sagen immer wieder mehr oder weniger deutlich, dass man nicht mit Atomwaffen zurückschlagen würde. Das hat auch damit zu tun, dass dies nach Expertenmeinung nicht nötig ist. «Inzwischen sind die konventionellen Waffen des Westens so weit entwickelt, dass sie eine so grosse Bedrohung sind wie früher nur die Atomwaffen», sagte der Ex-CIA-Analyst George Beebe im «Tages-Anzeiger».

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Was wären die Auswirkungen auf die Schweiz, wenn in der Ukraine Atomwaffen eingesetzt würden?

Das menschliche Leid in der Ukraine wäre gross, die symbolische Wirkung wäre enorm. Abgesehen davon würden wir in der Schweiz kaum Auswirkungen spüren. Die Strahlenwirkung wäre sehr gering, wie Atomwissenschaftler Walter Rüegg der NZZ sagte: «Wenn es windstill ist, kommt das Material in einem Umkreis von ungefähr zwei Kilometern wieder herunter.»

Je nach Windstärke könne die sogenannte Fallout-Zone auch 30 Kilometer und mehr betragen. Und nach einigen Tagen sind die Spaltprodukte grösstenteils zerfallen, so der ehemalige Chefphysiker der Schweizer Armee: «Ich zweifle daran, dass wir hier mit unseren normalen Messinstrumenten überhaupt etwas von der Radioaktivität nachweisen könnten.»

Was wären die Auswirkungen, wenn ein AKW in die Luft fliegt?

Sie wären grösser als bei einem Einsatz taktischer Atomwaffen. «Hier geht es um ganz andere Dimensionen», sagt Atomwissenschaftler Rüegg. «Tschernobyl hat ungefähr 400-mal so viel von dem radioaktiven Isotop Cäsium-137 freigesetzt wie die Hiroshima-Bombe.»

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Doch selbst in diesem Fall wäre die Schweiz nur marginal betroffen, wie Andreas Bucher vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs) sagt: «Auch bei einem AKW-Unfall wären die gesundheitsgefährdenden Auswirkungen überschaubar. Dafür ist die Distanz einfach zu gross.»

Bucher beruhigt: «Käme es zu einem AKW-Unfall, müsste die Bevölkerung keine Schutzräume aufsuchen.» Diese seien für einen bewaffneten Konflikt in der Schweiz ausgelegt. «Stattdessen ist ein Szenario wie nach dem Unfall im AKW Tschernobyl denkbar. Möglich wären etwa gewisse Ernte- und Weideverbote.»

Wie ist die Schweiz vorbereitet?

Die Nationale Alarmzentrale überwacht – gemeinsam mit Behörden anderer Staaten und internationalen Organisationen – die radiologische Lage konstant, wie Bucher erklärt. Da keine grösseren Massnahmen nötig sind, falls es in der Ukraine zu einem nuklearen Zwischenfall kommt, sei vor allem die korrekte Information wichtig. «Darauf sind wir vorbereitet», so der Babs-Sprecher.

Auch Sicherheitspolitiker Salzmann sagt, die entscheidenden Behörden gingen verschiedene Szenarien durch. «Da geht es erstens um den Schutz der Bevölkerung», erklärt er. «Aber zweitens muss man auch in Betracht ziehen, dass ein solcher Unfall eine grössere Migrationsbewegung auslösen kann.» In der Tat dürfte ein Einsatz von Nuklearwaffen – und erst recht ein AKW-Unfall – eine weitere Fluchtbewegung aus der Ukraine verursachen.

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Sollte man sich selbst vorbereiten – etwa, in dem man Jodtabletten kauft und diese prophylaktisch einnimmt?

Auf keinen Fall, sagt Babs-Sprecher Bucher: «Jodtabletten sind für einen AKW-Unfall in der Schweiz und Umgebung vorgesehen.» Er warnt dringlich: «Nehmen Sie keine Jodtabletten vorbeugend ein. Diese sind nur wirksam, wenn man sie zur richtigen Zeit einnimmt.» Wann das ist, würde die Nationale Alarmzentrale anordnen.

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