Bundesrat Albert Rösti (56) stellte unlängst die Dotierung des Bahninfrastrukturfonds für die kommenden Jahre vor. Von 16,4 Milliarden Franken steht den Schweizer Bundesbahnen (SBB) rund die Hälfte zur Verfügung. Das meiste Geld benötigt die Staatsbahn für den Unterhalt. Dieser verschlingt so viel, dass weniger Finanzmittel für den nötigen Ausbau von Bahnhöfen und Kapazitäten bleiben. Das sorgt hierzulande für Kritik.
Fahrgäste beschweren sich über fehlende Züge und Laptop-Plätze, überfüllte Bahnhöfe, geschlossene WCs während der Fahrt und steigende Billettpreise. Eine starke Zuwanderung sorgt für volle Züge und belastet die alternde Infrastruktur. Damit die SBB ein Vorzeigebetrieb des öffentlichen Verkehrs bleiben, hat ihr Chef Vincent Ducrot (61) einiges vor. Was konkret – darüber spricht er im Interview.
Herr Ducrot, bereits 2015 machten sich die SBB für eine kleinere Variante des Bahnausbaus stark, zugunsten des Unterhalts. Ein ewiges Thema?
Vincent Ducrot: Es hat sich seither noch weiter akzentuiert. Wir brauchen immer noch sehr viel Geld für den Unterhalt, haben seitdem aber eine stabile Finanzierung für den Ausbau. Und zugleich haben wir ein Gesetz, das uns zum Substanzerhalt vor dem Ausbau der Bahninfrastruktur verpflichtet. Insgesamt haben wir viele Projekte, die immer noch in der Pipeline stecken, fast zu viele.
Nun bekommen Sie mehr Geld vom Bund, konkret 8,4 Milliarden Franken über vier Jahre. Reicht das nicht für beides?
Wir haben immer noch einen grossen Rückstand beim Unterhalt, den wir aufholen müssen. Das ist wichtig, damit wir einen sicheren und pünktlichen Bahnbetrieb auch langfristig gewährleisten können. Mit dem vorgegebenen finanziellen Rahmen können die SBB eine sichere Infrastruktur bereitstellen.
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Wie viel Geld bräuchten Sie denn für den Unterhalt plus Ausbau?
Derzeit weisen wir einen Rückstand beim Unterhalt von 8 Milliarden Franken über mehrere Jahre aus. Das zeigt unser Netzzustandsbericht. Dieser Rückstand wächst weiter an, und das ist langfristig nicht gut.
Wird sich das ändern?
Der vom Bund gesprochene Betrag ist das Resultat von Diskussionen. Wir verstehen, dass unser Gesamtbedarf in der aktuellen Finanzlage nicht gedeckt werden kann. Wir haben 500 Millionen Franken mehr beantragt und detailliert begründet und werden mit den uns zur Verfügung gestellten Mitteln auskommen müssen.
Was ist der Grund für die knappen Mittel?
Der Unterhalt verläuft zyklisch, dem können wir uns nicht entziehen. Ausserdem wurde das Schweizer Bahnnetz in den letzten Jahren stetig ausgebaut, und das wird es auch in den nächsten Jahren. Jeder Franken, den wir in den Ausbau investieren, verursacht Folgekosten von 3 Prozent – und das Jahr für Jahr. Ein Infrastrukturprojekt von 1 Milliarde Franken kostet uns also jährlich 30 Millionen Franken im Substanzerhalt der neuen Bahnanlagen. Damit steigen die Kosten für den Unterhalt stetig an.
Ein Ausbau wäre aber dringend. Allein im Jahr 2023 sind gut 180'000 Menschen zugewandert. Sie warnen jedoch vor Folgekosten, die nicht zu verdauen wären. Setzen Sie die Prioritäten richtig?
Über den Ausbau des Bahnnetzes entscheidet das Parlament. Die SBB äussern sich jeweils im Rahmen der Vernehmlassungen. Unsere Haltung ist, dass eine Diskussion über das Bahnangebot und nicht über die Infrastruktur geführt werden sollte.
Die Debatte wird falsch geführt?
In der Öffentlichkeit wird viel über neue Tunnels und grössere Bahnhöfe gesprochen. Stattdessen müsste zuerst die Frage gestellt werden, welches Bahnangebot künftig den Reisenden am meisten bringt. Aktuell wird das Angebotskonzept 2035 überarbeitet. Aber die Regionen fokussieren mehr auf neue Ausbauten. Die Politik muss auch die folgenden Fragen beantworten: Wollen wir eine Verlagerung von der Strasse auf die Schiene? Wollen wir den Mehrverkehr bewältigen können? Oder wollen wir schneller unterwegs sein?
Was möchten Sie?
Das ist eine politische Diskussion, und die wird im Rahmen der Botschaft 2026 geführt. Ich möchte mich heute nicht zu einzelnen Vorhaben äussern.
Wo sind heute die grössten Nadelöhre?
Der Léman Express ist erfolgreicher als erwartet. Deshalb haben wir Kapazitätsprobleme im Raum Genf. Das werden wir lösen, indem wir ab 2025 einen Regioexpress an allen Bahnhöfen halten lassen. Zwischen Genf und Annemasse wird die Kapazität mit sechs Zügen pro Stunde und Richtung erhöht. Künftig werden wir noch mehr doppelstöckige Fahrzeuge einsetzen.
Wo hapert es zudem?
Im Raum Basel, deshalb haben wir für diese Region neue Fahrzeuge beschafft, und die grenzüberschreitende S-Bahn wird stark ausgebaut. Auch im Raum Lausanne schaffen wir mehr Kapazitäten mit der Optimierung der S-Bahn-Linien ab Fahrplanwechsel. Zu Hauptverkehrszeiten gibt es vielerorts punktuell Stehplätze, aber nicht in dem Ausmass wie in Genf, Basel und Lausanne.
Besonders der Bahnhof Lausanne macht Probleme. Wie geht es dort voran?
Das ist unsere grösste Baustelle. Wir haben zwar bereits mehr als 400 Millionen Franken verbaut, aber wir kommen weniger schnell voran, als ich möchte.
Warum dauert es länger?
Wir haben das Projekt angepasst, weil der Bahnhof mehr Reisende aufnehmen muss als in der ursprünglichen Planung vorgesehen. Dass Projekte wie in Lausanne oder anderswo weit weniger schnell vorankommen, als wir möchten, hat viele Gründe.
Welche?
Die Bewilligungsverfahren werden immer komplizierter. Oft braucht es auch viel mehr Zeit als in der Planung vorgesehen. Bei der Bahn müssen wir geduldig sein, ähnlich wie beim Ausbau der Stromversorgung. Auch brauchen wir viele gute Ingenieure, und die sind schwierig zu finden.
Die Fahrgäste möchten mit der Bahn bis in den hintersten Winkel des Landes fahren können. Sind Sie in einer ähnlichen Zwangslage wie die Post – also Service public versus Kosten und Aufwand?
Das kann man nicht direkt vergleichen, weil der Regionalverkehr von den Kantonen und vom Bund bestellt und bezahlt wird.
Was zu Verlusten führt. Wie könnten Sie diese reduzieren?
Man müsste sich zum Beispiel überlegen, wie viele schlecht ausgelastete Haltestellen und Angebote in Zukunft vielleicht besser bedient werden könnten, auch ohne die Bahn. Das sind aber sehr langfristig ausgerichtete Fragen, also für in 15 bis 20 Jahren. Wir haben diese Diskussion kürzlich mit unserer Standortbestimmung angeregt. Mit verschiedenen Pilotprojekten möchten wir konkret herausfinden, wie wir die letzte Meile sinnvoll organisieren können. Dazu arbeiten wir mit der Post und diversen Industriepartnern zusammen, die etwa neue Busse entwickeln. Auch über die Grenzen hinweg pflegen wir Verbindungen. In Asien zum Beispiel haben wir gute Kontakte.
Ausnahmsweise sind also nicht die SBB das Vorbild, sondern Betriebe im Ausland?
Wir lernen viel von anderen, eine solche Kontaktpflege gehört auch zu meiner Aufgabe.
Der Aufwand für Personal, Erneuerung und Unterhalt steigt. Dafür zahlen Steuerzahlende und Fahrgäste. Wo sehen Sie die Grenze, nur um den Stolz der tollsten Bahn der Welt zu wahren?
Darum geht es nicht. Und als SBB möchten wir uns nicht selber loben. Aber es stimmt schon: Wir fahren im internationalen Vergleich sehr pünktlich. Das erwarten die Kundinnen und Kunden auch von uns. So gesehen können wir als Schweiz auf unsere Mobilitätssysteme stolz sein.
Nun sagen Sie es ja doch noch.
Es ist ein Wirtschaftsfaktor, ein gut funktionierendes Mobilitätssystem zu haben. Dieser würde gefährdet, wenn wir aufhören würden, zu investieren. Dann bekäme unser Land Probleme. Das sieht man in Deutschland, wo schon vor 20 Jahren zu wenig investiert wurde. Das bezahlt man dort heute teuer.
Noch eine Frage zur Kostenwahrheit: Wie viel sollen Passagiere künftig zahlen, um das Betriebsdefizit zu kompensieren? Heute ist es ungefähr die Hälfte.
Die ÖV-Tarife sind abhängig von den Trassenpreisen, die der Bund festsetzt. Kostenwahrheit ist auch im Strassenverkehr ein Thema. Wenn man die Preise für den ÖV oder den Individualverkehr stark ändern würde, müssten der ÖV oder die Strasse plötzlich viel mehr Nutzerinnen und Nutzer bewältigen und würde kollabieren. Das System von heute ist ein Kompromiss und am Schluss ein politischer Entscheid. Natürlich gibt es die Befürworterinnen eines Gratis-ÖV. Andere wiederum sagen, dass die Preise erhöht werden sollen. Die Benutzung der Autobahn ist relativ günstig, für den ÖV zahlen wir einen akzeptablen Preis. Ich habe den Eindruck, dass die Politik versteht, dass das System kippen könnte, wenn man das in die falsche Richtung dreht. Das wollen wir vermeiden.
Das heisst, Sie schützen sich durch zunehmend prohibitive Preise vor zu vielen Fahrgästen?
Nein. Die ÖV-Branche mit über 260 Transportunternehmen und Verbünden musste die Preise 2023 wegen gestiegener Kosten erhöhen. Notabene zum ersten Mal seit sieben Jahren. Diese Transportunternehmen des Regionalverkehrs können keinen Gewinn und keinen Verlust machen. Wenn die steigenden Kosten nicht vollständig von den Bestellern, also den Städten, Kantonen und dem Bund, getragen werden, müssen wir Preisanpassungen vornehmen. Grundsätzlich bin ich aber gegen Preiserhöhungen, die nicht absolut notwendig sind.
Geld kommt vom Steuerzahler, der selber auch Bahnfahrer ist. Obwohl der Bund mehr Geld spricht, müssen die Fahrgäste mehr fürs Ticket zahlen. Wird der Kunde doppelt zur Kasse gebeten?
Im nächsten Jahr werden die Preise nicht erhöht. Und die Kundinnen und Kunden werden nicht doppelt zur Kasse gebeten. Sie bekommen für die ÖV-Tarife eine Leistung, die permanent zunimmt. Solange die Kantone und die Städte mehr Leistung bestellen, werden auch die Kosten steigen. Und diese müssen entweder durch mehr Steuergelder oder teurere Fahrpreise abgegolten werden. Die Mobilitätsbedürfnisse der Gesellschaft nehmen zu. Der ÖV wird stetig ausgebaut. Damit steigen in der Tendenz auch die Preise. Und mir ist es wichtig, dass auch wir als SBB immer effizienter werden.
Apropos Leistung: Warum ist es nicht möglich, auf Strecken wie Zürich–Basel oder Zürich–Bern schneller zu fahren?
Das hängt auch von der Menge der Verkehrsmittel auf der Strecke ab. Mehr Züge auf derselben Strecke verunmöglichen schnellere Fahrten. Es braucht im dichten Bahnverkehr Reserven, damit ein stabiler und pünktlicher Betrieb möglich ist. Wir können für mehr Kapazität nicht immer längere Züge einsetzen. Da sind wir im Fernverkehr mit 400 Meter langen Doppelstockzügen bereits im Maximum. Länger sind die Perrons in den Bahnhöfen nicht. Im Regionalverkehr sind die Perrons kürzer, zwischen 100 und 300 Meter. Welche Züge wo zum Einsatz kommen, folgt einem ausgeklügelten System. Die Perronlänge der angefahrenen Bahnhöfe bestimmt die Zuglänge.
Haben die SBB ein Monopolproblem? Ohne nennenswerte Konkurrenz sind Sie weniger gezwungen, gewisse Mängel auszugleichen. Etwa fehlenden Strom am Sitzplatz für Handy und Laptop oder keine respektive zu kurze Tische zum Arbeiten in der zweiten Klasse.
Nur in wenigen älteren Zügen hat es nicht an allen Sitzplätzen Steckdosen. Wir kaufen nur Standardzüge und keine Spezialanfertigungen mehr.
Also Pech für die Kundin?
Das sehe ich anders. Wir erfüllen die Kundenbedürfnisse für die Mehrheit der Reisenden mit der Inneneinrichtung unserer Züge. Nicht zufrieden bin ich beim Velotransport: Hier gibt es noch ungelöste Probleme. Die Entwicklung der letzten Jahre mit den vielen Elektrovelos war nicht absehbar, als wir die Züge vor vielen Jahren beschafft haben. Wir beschaffen Rollmaterial für eine Lebensdauer von 25 Jahren.
Das heisst, je nach Stand der Technik muss man sich Jahrzehnte gedulden, bis die Züge ein Update erfahren?
Wir sind laufend daran, die Züge anzupassen, aber auch das braucht Zeit. Ein Beispiel dafür, welchen Einfluss die rasante Entwicklung der Telekommunikation hat: Wir haben vor vielen Jahren begonnen, in Telefonkabinen in Zügen zu investieren. Dann kam das Mobiltelefon, und wir konnten die Kabinen wieder abmontieren. Heute haben wir unsere Züge für den Mobilfunk technisch aufgerüstet, um guten Empfang bieten zu können.
Laptops und Tablets gibt es schon lange genug, um ausreichend mobile Arbeitsplätze im Zug haben zu können.
Eine gewisse Anzahl an Businessplätzen mit grossen Tischen bieten wir an. Den meisten Kundinnen und Kunden reicht ein Sitzplatz, darauf liegt unser Fokus. Ein Teil der Kundschaft will einen guten Handyempfang, ein Teil will auch mobil arbeiten können. Einige Züge wie den IC2000 haben wir bereits darauf umgerüstet. Aber insgesamt sind Züge ein Massentransportmittel und können nicht alle Bedürfnisse jedes einzelnen Kunden und jeder einzelnen Kundin befriedigen.
Wieso kriegen das private Anbieter wie eine BLS oder die Südostbahn hin?
Die BLS und die SOB haben viele ihrer Züge nach uns bestellt und besitzen daher auch modernere Züge. Zugbestellungen erfolgen in Zyklen. Wir bekommen nächstes Jahr eine neue Generation für den Regionalverkehr. Das wird einen Schub geben. Dann wird es heissen, wir hätten modernere Züge als die Privatbahnen.
Die Liste der Mängel lässt sich beliebig fortsetzen: Fehlende Kaffeemaschinen, gesperrte WCs, geschlossene Zugrestaurants, stinkende Züge – ist das die Superbahn, von der alle reden?
Die Bahn ist mit einer Unmenge an technischen Herausforderungen konfrontiert. Das System ist fast zu komplex geworden. Immer mehr Elektronik und IT führen zu insgesamt mehr Störungen. Vor allem im Vergleich zu früher, als es keine Klimaanlagen und nur Plumpsklos gab.
Kaffeemaschinen und Toiletten sind zu komplex?
Ja. Eine moderne Zugtoilette ist technisch hochkomplex. Da gibt es ständig Probleme zu lösen.
Ist das Ihr Ernst?
Absolut. Eine moderne Zugtoilette verfügt über einen Bioreaktor. Das ist eine kompakte, vollwertige Kläranlage an der Unterseite des Zuges, mit Bakterien, die leben müssen. Wenn diese sterben, dann stinkt es. Der Zug wird in der Nacht energiesparend abgestellt. Während dieser Zeit reicht die Luftzufuhr für die Bakterien nicht aus. Das müssen wir jetzt mit einer Anpassung der Software korrigieren.
Und Kaffeemaschinen?
Auch bei einer Kaffeemaschine im Zug wird es richtig kompliziert. Die Maschine steht nie still am Ort, sondern wird ständig durchgeschüttelt, und Kaffeemaschinen sind darauf nicht ausgelegt. Kaffeemaschinen in einem Zug haben mehr Pannen, als wenn sie fix in einem Restaurant stehen. Ausserdem ist hier die Planung einer Reparatur aufwendiger, denn der Speisewagen ist ja unterwegs.
Vielleicht wäre eine privatisierte SBB flexibler. Ein Tabu für Sie?
Ja.
Warum?
Wir sind ein Service-public-Betrieb im Besitz der Eidgenossenschaft und Teil eines ganzen ÖV-Systems. Wenn man den Bahnbetrieb privatisieren würde, würden sich alle um die Strecken zwischen den grossen Städten reissen. Nur schon mittelgrosse Orte wie Thalwil oder die Gotthard-Bergstrecke würden niemanden mehr interessieren. In Frankreich etwa herrscht solche Konkurrenz. Aber zwischen St. Etienne und Lyon kann man nicht vernünftig reisen. Und das sind Millionenstädte. So, wie wir in der Schweiz mit unseren gut aufeinander abgestimmten ÖV-Systemen aufgestellt sind, kann eine Privatisierung der SBB nur tabu sein.
Gibt es ausländische Bahnkonkurrenten, mit denen Sie es schwer haben, wenn es bei ihnen schlechter läuft?
Wir arbeiten grenzüberschreitend mit allen zusammen. Wir kämpfen aber zum Beispiel regelmässig mit der Infrastruktur der Deutschen Bahn (DB). Das ist kein Fehler der DB, sie macht das Unmögliche möglich. Aber wegen der vielen Verspätungen fahren sehr viele Züge aus Deutschland beispielsweise nicht nach Zürich, Chur oder Interlaken, sondern müssen in Basel gewendet werden. Innerhalb der Schweiz lassen wir pünktlich Ersatzzüge verkehren.
Probleme gibt es nur mit Deutschland?
Wir haben immer wieder Diskussionen mit Italien, weil dort die Priorität auf dem Regionalverkehr liegt und das Geld für den Ausbau des Fernverkehrs oft fehlt. Auf den Strecken Zürich–München oder Genf–Lyon würde ich mir eine bessere Situation wünschen; das diskutieren wir derzeit intensiv. Innerhalb der Schweiz arbeiten wir gut mit den anderen Bahnen zusammen, wir haben eine Kultur der Kooperation.
Ausserhalb der Schweiz stellt sich die Kooperation schwieriger dar. Sie hegen Bedenken gegen Verhandlungen mit der EU, befürchten, dass bei einer stärkeren Liberalisierung des internationalen Bahnverkehrs inländische Verbindungen wegfallen könnten und die Pünktlichkeit der SBB bedroht wäre. Ist das Panikmache oder real?
Das ist das, was unsere Bahnkollegen uns melden. Mehr sage ich nicht dazu, es ist Teil der Verhandlungen der Schweiz mit der EU.
Bundesrat Rösti hat sich dazu geäussert: Eine Öffnung für ausländische Züge käme dann infrage, wenn diese in den Schweizer Taktfahrplan integrierbar seien. Wenn das gelingt, dann werden Schweizer Strecken vermehrt von der ausländischen Konkurrenz bedient?
Die Verhandlungen dazu laufen jetzt. Wir warten ab, was in Brüssel herauskommen wird und möchten nicht spekulieren. Für den Taktfahrplan soll es Schutzmassnahmen geben. Das ist die Verhandlungsbasis der Schweiz mit Brüssel. Das Verhandlungsmandat des Bundesrats entspricht der Position der SBB.
Auch im Güterverkehr harzt es. Umsatz und Profitabilität haben sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Was tun Sie dagegen?
Wir glauben an den Güterverkehr und wollen wachsen. Deshalb haben wir die Anteile der Minderheitsaktionäre an SBB Cargo übernommen. SBB Cargo ist wieder eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der SBB. Der Güterverkehr der Zukunft muss automatisiert und digital sein. Wie im Personenverkehr müssen Güterwagen automatisch gekuppelt werden können und durch Strom- und Datenleitungen miteinander verbunden sein. Daran arbeiten wir, brauchen aber für den unrentablen Einzelwagenladungsverkehr die Unterstützung der öffentlichen Hand, für eine Übergangszeit.
Und wie sieht es bei SBB Cargo International aus?
Da sieht es vergleichsweise besser aus. Wir sind beim Gewinn knapp unter null. In gewissen Jahren machen wir einen kleinen Gewinn. Derzeit haben wir in Deutschland grosse Schwierigkeiten, effizient zu fahren.
Es läuft schon sehr lange nicht gut. Warum verkaufen oder privatisieren Sie wenigstens dieses Geschäft nicht?
Wer hätte Interesse am heutigen Geschäft, mit dem niemand in Europa gross Geld verdient? Die DB verlor damit in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Millionen Euro. Das Problem in der Schweiz sind die kurzen Distanzen und der heute unrentable Einzelwagenladungsverkehr. Und die Güterzüge teilen sich die Schienen mit den vielen Personenzügen. Wie gesagt: Automatisierung, Digitalisierung und eine grundlegende Transformation des Einzelwagenladungsverkehrs, unter anderem durch eine zeitlich limitierte Übergangsfinanzierung, werden das Güterverkehrsgeschäft auf eine neue Basis stellen. Die Alternative wären massiv mehr Güter auf der Strasse.
Noch so ein Ärgernis für die Kundschaft: Warum kann man noch immer kein Ticket im Zug nach der Abfahrt lösen?
Am besten löst man das Ticket schon vor dem Einsteigen, damit es vor der Abfahrt sicher gültig ist. Der ÖV-Branche entgehen pro Jahr mehrere Hundert Millionen Franken wegen Schwarzfahrens – das sind rund 3 Prozent unserer Verkehrserträge. Da können wir nicht systematisch ein Auge zudrücken. Sie können ja auch kein Ticket für ein Eishockeyspiel lösen, wenn Sie bereits im Stadion sitzen.
Gutes Stichwort: Zwei grosse Sportevents stehen bevor, die Fussball-EM und die Olympischen Spiele. Fürchten Sie sich schon vor randalierenden Fussballfans und Verspätungen wegen überfüllter Züge und Perrons?
Nein, gar nicht. Vandalismus kommt immer wieder vor im Clubfussball, bei Länderspielen gibt es jedoch kaum Probleme. Für die Fussball-EM organisieren wir Extrazüge nach Köln und Frankfurt, wo die Gruppenspiele der Schweiz stattfinden. TGV Lyria, die gemeinsame Tochter der französischen Staatsbahnen und der SBB, ist Partnerin von Swiss Olympic und Swiss Paralympic, die olympischen Athletinnen und Athleten werden mit der Bahn nach Paris reisen. Für Fans aus der Schweiz gibt es täglich 17 Verbindungen nach Paris.
Wie gehen Sie mit der Konkurrenz durch die Fernbusse um?
Das ist für uns keine grosse Konkurrenz. Die Strecken, auf denen viele Fernbusse verkehren, laufen auch bei uns sehr gut.
Welche Rolle spielt der Nachtzugverkehr in den zukünftigen Plänen der SBB?
Nachtzüge sind die nachhaltige Alternative zum Flugzeug. Wir betreiben sie in Kooperation mit den ÖBB und weiteren Partnern, denen das Rollmaterial gehört. Vom Volumen her werden Nachtzüge aber immer ein Nischenmarkt bleiben. Denn ein Bett in einem Nachtzug verkaufen Sie einmal pro Nacht, und tagsüber steht der Zug auf einem Abstellgleis. Einen Sitzplatz in einem Tageszug verkaufen Sie bis zu viermal. Nur in einer kurzen Nachtpause von wenigen Stunden steht der Zug still.
Die SBB sind bei der Idee eines europaweiten Ticketverkaufssystems dabei. Werden internationale Zugbuchungen auch bald so einfach wie in der Airline-Welt?
Die Buchungen werden weniger kompliziert als heute. Nicht ganz so einfach wie für Flüge, weil es zu viele verschiedene Systeme in Europa und unterschiedliche Bahnphilosophien gibt. Aber der Verkauf der Bahnbilletts wird europaweit einfacher. Die Schnittstelle gibt es schon, die SBB sind massgeblich an der Entwicklung beteiligt.
Bis 2040 sollen die betrieblichen Treibhausgasemissionen um netto 92 Prozent sinken. Klappt das?
Wir werden das sogar unterbieten. Bis 2030 werden wir vor allem die Heizungen in unseren Gebäuden ersetzen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Wir haben 3500 Gebäude, von denen ein Grossteil noch umzurüsten ist. Darüber hinaus gibt es noch viel CO2-Einsparpotenzial bei dieselbetriebenen Rangierloks. Erste Hybridloks und Loks mit Batterien haben wir bereits.
Die verbleibenden 8 Prozent sollen durch die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre kompensiert werden. Kaufen Sie dafür wie die Post auch einen Wald?
Nein. Wir liegen vor dem ursprünglichen Plan und haben mehr als 200 Nachhaltigkeitsprojekte am Laufen. Wir werden unsere Ziele übertreffen und voraussichtlich bereits 2040 aus eigenen Kräften klimaneutral sein.