Profitieren nur die Bauern?
Warum die «Geld-und-Gülle-Allianz» bröckelt

Der Bauernverband agiert in wichtigen Themen gegen Wirtschaftsinteressen. Die junge Allianz mit den Wirtschaftsverbänden kommt unter Druck.
Publiziert: 15.03.2024 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2024 um 07:18 Uhr
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Die Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl muss dem Vorstandsausschuss eine Bilanz zur Allianz mit den Bauern liefern.
Foto: keystone-sda.ch
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Andreas Valda
Handelszeitung

Was bringt uns der Pakt mit dem Bauernverband? Diese Frage wird in den Reihen des Dachverbands Economiesuisse mit zunehmender Härte gestellt. Die Verbandsspitze unter Markus Ritter versprach der Allianz, das bäuerliche Milieu von einem Nein zur 13. AHV-Rente zu überzeugen. Dies gelang nicht. Auch die Bauernfamilien stimmten mehrheitlich gegen die Interessen der Wirtschaftsverbände und für die Initiative.

Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl muss in den nächsten Tagen eine Analyse zu Händen des Vorstands abgeben, ob die Allianz noch im Interesse der Wirtschaft sei. Dies hat die «Handelszeitung» aus zwei unabhängigen Quellen erfahren. Den Pakt gibts seit 2020.

Der Sprecher des Wirtschaftsdachverbandes, Silvan Lipp, sagt lediglich, dass man nach den Wahlen eine Bilanz gezogen habe. Verbandspräsident Christoph Mäder äussert sich nicht dazu. Er hat die Allianz immer wieder verteidigt und gefordert, man solle die Gemeinsamkeiten und nicht die Differenzen betonen. Im Vorstandsausschuss aber wird der Pakt, den die Linke als «Geld-und-Gülle-Allianz» betitelt hat, hinterfragt.

Einer, der die Bedenken ausspricht, ist der Wirtschaftsführer Simon Michel. «Ich persönlich denke, dass diese Allianz den Wirtschaftsverbänden wenig gebracht hat», sagt er als FDP-Nationalrat.

Er ist Mitglied des Economiesuisse-Vorstandsausschusses und leitet den erfolgreichen Schweizer Konzern Ypsomed mit einer halben Milliarde Franken Umsatz. Michel sagt, was das Problem ist: «Die Bauern haben ein extremes Eigeninteresse, ihre Interessen zu schützen. Diese stehen tendenziell den Wirtschaftsinteressen entgegen.»

Im EU-Dossier geht es ihnen ums Geld

Michel macht es an vier wichtigen Themen fest: den EU-Verhandlungen, dem Freihandelsabkommen mit der EU, dem Mercosur-Abkommen und den Staatsfinanzen. Zum Konflikt im EU-Dossier sagt er: «Die Bauernvertreter stehen im Fahrwasser der SVP. Sie sind beeinflusst vom Landwirt Marcel Dettling, dem designierten SVP-Präsidenten, der die EU-Verhandlungen kategorisch ablehnt.»

Dettling mobilisiert das bäuerliche Milieu gegen die EU-Verträge mit dem Argument Geld. Sollte die Schweiz näher an die EU rücken, würde weniger Subventionsgeld für die Bauern übrig bleiben, weil die Zahlungen der Schweiz an die EU sich vervielfachen würden.

Michel sagt, das Argument Geld sei vorgeschoben. Es gehe um geschätzt 200 Millionen Franken Mehrausgaben für die EU, die Agrarsubventionen aber betragen jährlich 3,6 Milliarden Franken. «Ein Anstieg in dieser kleinen Grössenordnung bedroht das Agrarbudget in keiner Weise», sagt Michel. Er erachtet die Abwehrstrategie des Bauernverbandes «als äusserst gefährlich auch für die Landwirtschaft».

Sollten die EU-Verhandlungen scheitern, dürfte die bäuerliche Opposition zur Economiesuisse noch zunehmen. Denn dann lautet die einzige Alternative aus Wirtschaftssicht eine Modernisierung des Freihandelsabkommens mit der EU von 1972. Ein solche schliesst der Bauernverband kategorisch aus, weil die EU eine Öffnung zum Schweizer Agrarmarkt verlangen würde: «Der Grenzschutz für Agrarprodukte würde auf breiter Front fallen», sagt Michel.

Bauern gegen die Exportwirtschaft

Wegen dieses Beharrens auf dem Agrargrenzschutz steht der Bauernverband immer wieder in Opposition zur für die Schweiz lebenswichtigen Exportindustrie. Beispiel: Das Freihandelsabkommen mit den USA – die Exportindustrie will es, die Bauern nicht. Weiteres Beispiel: Das Freihandelsabkommen mit Südamerika (Mercosur) – die Bauern wollen es verhindern, sofern die Fleischimportkontingente zu hoch sind. Michel sagt: «Dieses Abkommen wäre wichtig für die Exportwirtschaft. Eine ablehnende Haltung gegenüber Mercosur wäre sicherlich nicht im Interesse der Wirtschaft.»

Schliesslich ist man sich auch bei der Staatsfinanzierung öfters übers Kreuz. «Die Bauern fordern konstant Erhöhungen des Agrarbudgets bei knappen Mitteln des Bundes und nehmen damit in Kauf, dass Steuern allenfalls erhöht werden, sagt Michel.» Dies sei nicht im Interesse der Wirtschaft. Ein Paradebeispiel: Im Winter stimmte die Bauernvertretung im Parlament für eine Milliarden-Subvention zugunsten der SBB, um im Gegenzug die Stimmen der Linken zu erhalten, damit ihr Subventionsbudget nicht gekürzt werde.

Gegen die Pensionskassenreform

Die Liste der Konfliktthemen ist lang. Zwei letzte wichtige Beispiele noch: Die Pensionskassenreform etwa lehnt der Verband ab. Die Wirtschaft will sie. Im Herbst stimmt die Schweiz darüber ab. Die Vorlage zum Autobahnausbau kommt vors Volk. Der Gewerbeverband will die Abstimmung unbedingt gewinnen. Doch der Bauernverband hat bisher keine Stellung bezogen, man warte auf Daten vom Bund zum Ausmass des Kulturlandverlustes.

Der politische Einfluss der Bauernschaft steht in keiner Weise zur wirtschaftlichen Bedeutung. Die Landwirtschaft erzielt bloss 0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung, die 150’000 Bäuerinnen und Bauern machen 2,8 Prozent der Beschäftigten des Landes aus.

Die Exportwirtschaft hingegen steht für zwei Drittel der Schweizer Wirtschaftsleistung. Von ihr hängt der Wohlstand der Schweiz ab. Und dennoch sichert sich der Bauernverband einen grossen Einfluss auf Economiesuisse, den Arbeitgeberverband und den Gewerbeverband. Gewerbeverbandspräsident Fabio Regazzi erklärte im Januar der «Handelszeitung», warum er der Allianz die Stange halte: «Wir müssen Realpolitik betreiben und wollen uns nicht gegenseitig angreifen.»

Ja, es gebe Nachteile, aber es gebe auch viele Vorteile. «Der Pakt lässt uns Volksabstimmungen gewinnen, und er half uns, die letzten nationalen Wahlen zu gewinnen.» Er will den Allianzpartner nicht attackieren. «Die Bauern werden in der Bevölkerung und bei den KMU positiv wahrgenommen. Sie anzugreifen, ist nicht zielführend.»

Der Bauernverband steht dazu

Vater der Allianz ist Bauernverbands-Direktor Martin Rufer. Er und Präsident Markus Ritter riefen sie 2020 mit Regazzi, Mäder und dem Ex-Präsidenten des Arbeitgeberverbands Valentin Vogt ins Leben. «Dies als Reaktion darauf, dass zuvor die Zusammenarbeit nicht gut funktioniert hatte», sagt Rufer.

Die Wirtschaft verlor zwischen 2010 und 2020 mehrere Abstimmungen in Serie, darunter die Abzocker-Initiative. Den Bauern wurden von links-grün immer mehr Ökoauflagen gemacht, unter dem Titel des Umweltschutzes. «Diesen Entwicklungen galt es Einhalt zu gebieten in einer Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverbänden», so der Bauerndirektor.

Rufer verteidigt den Pakt: «Aus Bauernsicht macht er weiter Sinn.» Im Parlament würden die Bauern- und Wirtschaftsvertreter oft wichtige Geschäfte unterstützen. «Das sind pro Session ein paar wenige, wichtige Geschäfte», sagt Rufer. In dieser Session sei es das Zollgesetz gewesen, wo man ein paar wichtige Anliegen durchgebracht habe.

Dass man die AHV-Abstimmung verloren habe, liege am Interesse der Bauernschaft: «Weil die AHV bei vielen Bauern die einzige Altersvorsorge ist», sagt Rufer.

In den nächsten Abstimmungen am 9. Juni werde der Bauernverband gleich wie die Wirtschaft mobilisieren: gegen die Prämienverbilligungsinitiative der SP und für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Im EU-Dossier habe man sich für den Eintritt in Verhandlungen ausgesprochen – im Gegensatz zur SVP. Der Verband sei nicht im Fahrtwasser der Blocher-Partei, betont Rufer.

Falsch sei vor allem, dass der Bauernverband generell alle Freihandelsabkommen bekämpfe. Das Abkommen mit Indonesien oder China hat man unterstützt. Rufer sagt, man habe «in vielen Dossiers die gleichen Interessen» und schaffe «viele gute Mehrheiten im Sinne der Wirtschaft und der Landwirtschaft».

Ob der Vorstand von Economiesuisse dies ebenso sieht, wird sich nächstens zeigen. Die Ausschussmitglieder warten sehr gespannt auf die Analyse von Direktorin Monika Rühl. Ihr Sprecher verrät so viel: «Die Zusammenarbeit wird fortgesetzt. Sie ruht auf der Erkenntnis, dass wir bei vielen Themen einen gemeinsamen Nenner haben.»

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