Als Russland Ende Februar über die Ukraine herfiel, war der Bundesrat ganz verdattert. Sanktionen ergreifen gegen den Aggressor? Lieber nicht. Oder lieber nicht direkt und am besten ohne Kommentar. Es war der Druck von aussen (von den westlichen Demokratie) und von innen (von der Strasse, vom Parlament), der die Landesregierung zur Kurskorrektur zwang. Ein Ende des Kriegs zeichnet sich nicht ab. Und je länger die Schlacht im Osten der Ukraine tobt, desto lauter werden wieder die Stimmen, bei denen nur schwer zu erkennen ist, wo die neutrale Haltung aufhört und die kaltschnäuzige Gleichgültigkeit anfängt.
Wirtschaftsdepartement zauderte
In der Politik sitzen diese Stimmen in der SVP. Und die SVP sitzt mit zwei Mann im Bundesrat. Vor einer Woche entschied dieser Bundesrat, das sechste Sanktionspaket der EU gegen Russland zu übernehmen. Darin enthalten: ein Embargo für russisches Rohöl und bestimmte Erdölprodukte. Importverbote, die nun schrittweise bis Anfang des kommenden Jahres in Kraft treten. Eine Vollzugsmeldung? Nicht ganz. Einige Beamte im Wirtschaftsdepartement (WBF) von Bundesrat Guy Parmelin (62, SVP) zögerten. Die Schweiz solle sich Zeit lassen mit dem Entscheid, ob sie das Ölembargo mittrage. Vor der Bundesratssitzung am 10. Juni bereitete das WBF einen mehrseitigen Bundesratsbeschluss vor. Dieser Entwurf liegt SonntagsBlick vor. Darin rät das WBF, sich erst einmal mit den Kollegen im Finanz- und Umweltdepartement zu beraten. «Die Massnahmen bezüglich Rohöl und Erdölprodukte sollen einer vertieften Analyse durch das WBF in Zusammenarbeit mit EFD und Uvek unterzogen werden und dem Bundesrat zu einem späteren Zeitpunkt für einen Übernahmeentscheid unterbreitet werden.» An anderer Stelle heisst es: «Mit Hinblick auf die grosse politische und wirtschaftliche Tragweite der Übernahmeentscheidung und den mangelnden Zeitdruck sollen die EU-Verbote einer vertieften Analyse unterzogen werden, bevor ein Übernahmeentscheid gefällt wird.»
Entwurf des Wirtschaftsdepartements wurde pulverisiert
Wann dieser Entscheid hätte fallen sollen, ist unklar, der Entwurf nennt keine Frist. Ziemlich klar jedoch wäre die Reaktion der Europäer ausgefallen, die wochenlang über Ausnahmen stritten und zunehmend Mühe bekunden, die Reihen zu schliessen. Ein Querschuss aus der Schweiz, der grossen Drehscheibe für russische Rohstoffe, wäre in Brüssel schlecht angekommen.
Das sahen auch die anderen Departemente so, als sie den Entwurf prüften. In der Ämterkonsultation, bei der die verschiedenen Verwaltungseinheiten zu Geschäften der Regierung vorab Stellung beziehen, pulverisierten sie die Idee, erst später über das Embargo zu entscheiden. Das zeigte Wirkung: Parmelin beantragte im Bundesrat schliesslich die vollumfängliche Übernahme aller Sanktionen, der Bundesrat stimmte zu. Nun analysieren die Experten des Bundes die möglichen Auswirkungen des Entscheids.
Parteipolitik hat in Kriegszeiten nichts zu suchen
Der aussenpolitische Schaden blieb aus – in Bern aber flammt der Richtungsstreit über den Umgang mit Putins Krieg erneut auf. FDP-Präsident Thierry Burkart (46, FDP) kritisiert die Überlegungen im WBF scharf. «Es war ja kein Geheimnis, dass dieses Ölembargo der EU kommt!», sagt der Aargauer Ständerat. «Das stand in jeder Zeitung. Es ist unverständlich, warum das Wirtschaftsdepartement nicht rechtzeitig verschiedene Szenarien vorbereitet hat.» Eventualplanungen seien notwendig für fundierte und zeitnahe Entscheide. «Hätte der Bundesrat nicht sofort erklärt, das Embargo mitzutragen, hätte das unserer Wirtschaft gar nichts gebracht», ist Burkart überzeugt. Stattdessen hätte der Ruf der Schweiz gelitten. «Differenzen in der westlichen Wertegemeinschaft nützen einzig und allein Russland», so der FDP-Chef. Für ihn ist der Vorgang kein Geplänkel unter Beamten, sondern hochpolitisch. «Bundesrat Parmelin steht in der Frage der Sanktionen offensichtlich stark unter dem Einfluss seiner Partei», sagt Burkart. «Die Interventionen der anderen Departemente waren nötig. Denn Parteipolitik hat in diesen Zeiten im Bundesrat keinen Platz.»
WBF weist die Kritik zurück
Kritik kommt auch von der SP. «Verzögern, verschieben, blockieren», es sind immer die gleichen Signale, die das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) aussende, sagt Cédric Wermuth (36, AG), Co-Präsident der Partei. Weder in der Schweiz noch im Ausland wäre ein Aufschub bei der Übernahme dieser Sanktionen zu vermitteln gewesen. «Die Regierung hätte sich erneut blamiert.» Es sei an der Zeit, dass dies auch im Seco zur Kenntnis genommen werde.
Das Departement Parmelin weist die Kritik entschieden zurück. «Das WBF zögerte nicht», schreibt Kommunikationschef Urs Wiedmer. Aufgrund der langen Übergangsfristen von mehreren Monaten bestehe kein Zeitdruck und damit auch kein Umgehungsrisiko. «Der Grundsatz, die Sanktionen der EU gegenüber Russland zu übernehmen, wurde zudem bereits mit dem ersten Paket gefällt. Dem WBF ist es allerdings wichtig, die Auswirkungen der einzelnen Sanktionen im Detail abschätzen zu können.» Die Sanktionen an sich seien nicht in Frage gestellt. Vertiefte Abklärungen brauchen eben Zeit, so das WBF.
Aber manche Uhren ticken seit Februar ein wenig anders.