Seit über 20 Jahren kämpft Sabine Plüss (60) mit Schlafproblemen. In manch einer Nacht schläft sie nur zwei Stunden – und erscheint am nächsten Tag trotzdem pünktlich bei der Arbeit. «Das ging schon, aber ich war teilweise gereizt und emotional», erzählt sie Blick.
Die Aargauer Pflegefachfrau leidet seit vielen Jahren unter chronischen Schlafstörungen. Während der Pandemie wurde der Stress so massiv, dass sich der Schlafmangel noch verstärkte.
Das zeigte sich damals in körperlichen Symptomen: Plüss' Arme und Beine schmerzten. «Ich konnte teilweise nur noch schwer gehen, das war äusserst beängstigend.» Ihre Symptome glichen jenen bei Amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer schweren Nervenkrankheit. Deshalb suchte sie einen Spezialisten auf. Doch es war die fehlende Nachtruhe, die ihr Schmerzen verursachte.
Selbst langweilige Anleitungen brachten keinen Schlaf
Irgendwann wurde es Plüss sogar zu anstrengend, Gäste zu empfangen. Dabei kocht sie leidenschaftlich gerne für Freunde und Familie. «Doch dazu fand ich immer weniger Energie und zog mich zurück.»
Zu Schlafmedikamenten griff sie nur zaghaft. Als Pflegefachfrau sei ihr bewusst, wie schnell diese in die Abhängigkeit führen können, erzählt sie. Ab und an nahm sie doch welche, um zur Ruhe zu kommen.
Nächtelang habe sie Krimis und Reiseliteratur auf dem Sofa gelesen, weil sie keinen Schlaf fand. Auch die Lektüre von langweiligen Anleitungen und Literatur zum Thema hatten sie nicht ins Land der Träume befördert. Besserung brachte erst der Aufenthalt in der Schlafklinik.
Politik schläft nicht
Mit ihrem Leiden ist Plüss nicht alleine: Gemäss der neusten schweizerischen Gesundheitsbefragung klagt jeder vierte Mann und jede dritte Frau über Einschlaf- oder Durchschlafstörungen. Häufige und anhaltende Schlafprobleme, die zu Beeinträchtigungen im Alltag führen, werden als chronische Insomnie bezeichnet. Über zehn Prozent der Schweizerinnen und Schweizer leiden an diesem Krankheitsbild.
Das hat wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, wie eine Studie der Denkfabrik Rand zeigt. So fehlen Menschen mit chronischer Insomnie doppelt so viel am Arbeitsplatz als jene ohne chronische Schlafstörung. Würde die Schlaflosigkeit in der Schweiz wirksam behandelt, könnte damit das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 1,31 Prozent gesteigert werden, hat Rand ausgerechnet. Das entspricht einem Betrag von 10,2 Milliarden Franken.
Inzwischen hat das Thema auch das Interesse der Politik geweckt. Sowohl die grüne Nationalrätin Manuela Weichelt (56) und der freisinnige Beat Walti (55) wollten vom Bundesrat wissen, wie dieser die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen von chronischer Insomnie beurteilt. Weichelt sagt, die Sensibilität für das Thema sei beim Bund noch zu gering. Doch: «Die Schlafdauer der Kinder und der Erwachsenen nimmt immer mehr ab.»
Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf
Die Regierung hält in ihrer Antwort auf die beiden Vorstösse der Politiker fest, dass chronische Schlafstörungen für Betroffene eine grosse Belastung darstellen würden und anerkennt, dass das weitreichende gesundheitliche Folgen mit sich bringt.
Der Bundesrat hält es aber nicht für notwendig, ein routinemässiges Screening auf Schlafprobleme und -störungen vorzunehmen, wie Weichelt das gerne gehabt hätte. Die Grundversicherung berappe schon verschiedene Angebote zur Behandlung der chronischen Schlaflosigkeit. Genauso Psychotherapie, argumentiert der Bundesrat.
Es geht dennoch etwas: Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz baut ihr Engagement zum Thema gerade aus. In den nächsten Monaten soll ein «Netzwerk Schlaf» gegründet werden, wo sich etwa Betroffene, Mediziner, Versicherung und Firmen austauschen und vernetzen.
Ein solches Netzwerk begrüsst auch Sabine Plüss. Nach einer stationären dreiwöchigen Therapie in der Schlafklinik Zurzach leidet sie phasenweise noch immer unter schlaflosen Nächten: «Ich bin aber weniger gestresst, weil ich weiss, dass auch wieder bessere Nächte kommen.» Zudem habe sie in der Klinik Atem- und Achtsamkeitsübungen gelernt, die ihr bei Einschlafschwierigkeiten helfen. Betroffenen rät sie, sich schneller Hilfe zu holen, und nicht abzuwarten, bis der Schlafmangel chronisch wird.