Weihnachtswunder sollten in Bern nicht erstaunen. Schliesslich ist Bethlehem ein Quartier in der Bundesstadt. Das jüngste Wunder spielte sich im Bundeshaus ab, es ging so: Der neugewählte Bundesrat Albert Rösti (55, SVP) erhielt an seiner Wahlfeier in Kandersteg von der Gemeinde ein E-Bike und ein Bild von der Blüemlisalp geschenkt, dem Kandersteger Hausberg.
Besonders das zweite Präsent komme ihm sehr gelegen, sagte Rösti an der Wahlfeier auf dem Bahnhofsvorplatz. Denn er dürfe von seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga (62, SP) zwar das Amt, aber nicht das Bild in ihrem Büro übernehmen, beklagte er sich.
Rösti kann das Werk doch haben
Blick wollte daraufhin wissen, warum der neugewählte Bundesrat den Zimmerschmuck nicht übernehmen darf. Schliesslich gehört besagtes Kunstwerk der Eidgenossenschaft. Aber ein Bild einfach hängen lassen, das schon bei der Vorgängerin hing – so simpel geht es beim Bund aber anscheinend nicht zu und her.
Nun folgt zum Fest der Liebe aber doch noch die frohe Botschaft. Eine Sprecherin des Umwelt- und Energiedepartements verkündet: «Bundesrat Rösti kann das Werk gerne in seinem zukünftigen Büro behalten.» Wie es zum Weihnachtswunder kam – die Wege des Herrn sind unergründlich und die der Bundesverwaltung verschlungen.
Ein Geschenk vom Asyl-Kritiker
Da kann sich Rösti also freuen. Oder doch nicht? Weiss er, was für ein Kunstwerk er da zugesprochen erhielt? Die heimische Künstlerin Christine Isperian hat die aus verschiedenen Textilien gefertigte Schweizer Flagge gestaltet. Anders als eine herkömmliche Schweizer Fahne setzt sich die Flagge von Isperian aus Blumentüchern vom Balkan, asiatischen Batiken und indischen Seidenstoffen zusammen. Dieses Werk stellt die Schweiz als ein multikulturelles Flickwerk dar.
Die Flagge schenkte der Filmemacher Fernand Melgar (61) 2018 der Eidgenossenschaft. Er hatte sie vier Jahre zuvor selbst erworben. Der Regisseur sagte gegenüber «24 Heures», dass ihn das Werk «perfekt an unser Land» erinnere, das durch aufeinanderfolgende Migrationswellen entstanden sei. Melgar gilt als scharfer Kritiker der Schweizer Asylpolitik. Sein Dokumentarfilm «Vol spécial» zeigte 2011 den Alltag im Ausschaffungsgefängnis.
Lob für den Film erhielt Melgar damals ausgerechnet von der zuständigen Bundesrätin Sommaruga. Die Justizministerin und damalige Verantwortliche für die Schweizer Asylpolitik nannte «Vol spécial» an einem Filmfestival einen «extrem wichtigen Film, der das Dilemma unseres Rechtsstaats auf den Punkt bringt».
Geschenke der Könige
Weihrauch, Gold und Myrrhe, das sind die Gaben, mit denen das Jesus-Kind wohl nicht allzu viel anzufangen wusste. Rösti hingegen freut sich über die Flagge, auch wenn die Herkunft ihrer Bestandteile auch nicht minder exotisch ist als die Geschenke der Drei Könige.