Risikofälle ausschliessen
Bund will alle angehenden Soldaten durchleuchten

Wer ein mögliches Risiko für sich oder sein Umfeld darstellt, soll keine Armeewaffe in die Hände bekommen. Heute aber kann die Armee nicht alle Stellungspflichtigen durchleuchten. Diese Gesetzeslücke will der Bundesrat nun schliessen.
Publiziert: 11.04.2024 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2024 um 21:24 Uhr
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Im Jahr 2023 wurden insgesamt 35'700 Stellungspflichtige abschliessend beurteilt.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Die Bluttat erschütterte die Schweiz. Es ist November 2007. Luis W. hat gerade die Rekrutenschule abgeschlossen. Er lädt eine geklaute Patrone in sein Sturmgewehr und geht zu Fuss auf den Hönggerberg ZH. Von dort aus nimmt er die 16-jährige Coiffeuse-Lehrtochter Francesca P. ins Visier, die in 80 Meter Distanz auf den Bus wartet.

Der damals 21-Jährige drückt ab. Sein Opfer verstirbt noch an Ort und Stelle. Besonders verstörend: Luis W. kannte die junge Frau nicht, wählte sie offenbar zufällig aus. Erst nach der Tat stellte sich heraus, dass er bereits wegen verschiedener Delikte vorbestraft war.

Sie sind sogar der Armee zu gefährlich

Der Fall Hönggerberg hatte auch die Schweizer Armee aufgeschreckt. Seither werden alle angehenden Rekruten auf Herz und Nieren geprüft. Doch das reicht dem Bundesrat nicht. Und weil das Militärgesetz wegen des Ukraine-Kriegs und der Corona-Pandemie ohnehin angepasst werden soll, will er nun die Schraube weiter anziehen.

Schon heute kann die Armee eine sogenannte Risikoerklärung erlassen. Betroffenen wird der Dienst verwehrt, da sie «ein mögliches Risiko für sich oder ihr Umfeld darstellen», wenn sie eine Armeewaffe in die Hände bekämen. Sie sind sogar der Armee zu gefährlich.

Der Haken an der Sache: Das Militär dürfe nur in Strafakten oder Polizeiberichte schauen, wenn die Stellungspflichtigen zustimmen – denn sie seien noch keine Armeeangehörigen, argumentiert der Bundesrat. Wer ablehnt, darf nicht rekrutiert werden, da ihm oder ihr keine Waffe überlassen werden darf.

Diese Gesetzeslücke will der Bundesrat nun stopfen. Künftig soll niemand mehr um eine Personensicherheitsprüfung herum kommen, «um das Gewaltpotential und allfällige Sicherheitsrisiken frühzeitig identifizieren zu können». Das kommt in der öffentlichen Vernehmlassung auch bei den politischen Parteien mehrheitlich gut an.

Mehr als ein Prozent bleibt in Sicherheitsprüfungen hängen

Das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik sieht das allerdings anders als der Bundesrat. Schon heute könne ohne Zustimmung Betroffener Einsicht in Strafakten genommen werden. Seine Begründung: Dienstpflichtige würden während der Rekrutierung ihren Status von «Stellungspflichtigem» zu «Angehörigen der Armee» wechseln. Weil das bei den kantonalen Kreiskommandos aber offensichtlich immer wieder zu Unsicherheiten führt, was denn nun gilt, soll das Gesetz präzisiert werden.

Lückenlose Personensicherheitsprüfungen bedeuten aber auch einen grossen Aufwand. So wurden etwa 2023 insgesamt 35'700 Stellungspflichtige abschliessend beurteilt. 28'449 oder knapp 80 Prozent wurden als tauglich für Militär oder Zivilschutz erachtet.

Doch: Im letzten Jahr kamen auch 439 Personen nicht durch die Sicherheitsprüfung. Die Alarmglocken schrillen dann, wenn es Hinweise gibt auf erhöhte Aggressions- oder Gewaltbereitschaft, bei extremistischen Aktivitäten oder verübten Delikten gegen Leib und Leben, bewaffnetem Raub oder Sexual- sowie Betäubungsmitteldelikten.

Dann wird von einem erhöhten Gefährdungs- oder Missbrauchspotenzial ausgegangen und eine persönliche Armeewaffe verweigert. Das betrifft mehr als ein Prozent aller Stellungspflichtigen – Tendenz steigend. Im Jahr 2021 waren noch 258 Risikoerklärungen erlassen worden.

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