Die Kantone vermelden Rekord um Rekord. Der Grund: die Nationalratswahlen von 22. Oktober. Vielerorts gehen so viele Kandidatinnen und Kandidaten wie nie zuvor an den Start, um einen der schweizweit 200 Sitze erobern. Dabei wurden auch so viele Listen wie nie zuvor eingereicht. Bei manchen Parteien gilt das Motto: je mehr, desto besser. In der Hoffnung, dass mit zusätzlichen Listen auch zusätzliche Stimmen und damit Sitze zu gewinnen sind.
Im Kanton Aargau beispielsweise zieht die Mitte gleich mit zehn Listen – von bei insgesamt 52 – in den Wahlkampf. Neben der Hauptliste versucht sie mit verschiedenen Regional- oder einer Bauernliste die Wählenden für sich zu gewinnen. «Ständig beklagt man sich über Politikabstinenz und dann sieht man, wie viele Menschen sich zur Verfügung stellen. Für mich ein Grund zur Freude – das ist gelebte Demokratie», sagt Mitte-Kantonalpräsidentin und Nationalrätin Marianne Binder (65). Die Personen auf den Unterstützungslisten seien sich bewusst, dass ihre Wahlchancen gering seien. «Es ist aber eine Gelegenheit, sich zu präsentieren und Erfahrungen zu sammeln – etwa mit Blick auf die Grossratswahlen im kommenden Jahr.»
Binder glaubt, dass die Partei insgesamt auch bei den Stimmen profitiert. Mit mehr Listen werde die Basis stärker mobilisiert, ist sie überzeugt. Die Mitte fährt denn auch in anderen Kantonen die Strategie, mit verschiedenen Listen anzutreten.
Mehr Listen, mehr Stimmen – so die Hoffnung
Eine Strategie, welcher sich auch die GLP verschrieben hat. «Wir haben den Kantonalsektionen empfohlen, mit mehreren Listen anzutreten», sagt Parteichef Jürg Grossen (53). «Je mehr Listen, umso mehr Wähleranteile – das hat die Mitte bei den letzten Wahlen vorgemacht.»
Die Berner Grünliberalen gehen gleich mit gutem Beispiel voran: Von 39 in Bern eingereichten Listen stammen neun von der GLP. Neben der Hauptliste findet sich etwa eine für Kreative oder eine für Frankophone und Frankophile. Auch wenn viele Kandidaten chancenlos sind, sieht Grossen den Ansturm positiv. «Es sind Leute, die sich für Politik begeistern und sich engagieren wollen – das motiviert auch unsere Basis.»
Allerdings hat der Listen-Wildwuchs Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden, denn auf diese kommt auch ein gewisser Mehraufwand zu. «Die hohe Anzahl an Listen und Kandidierenden macht auch die Auszählung komplexer und zeitaufwendiger für die Gemeinden», sagt Anina Sax von der Aargauer Staatskanzlei. Einerseits benötige das Sortieren der Wahllisten mehr Zeit, andererseits sei die Kontrolle und Bereinigung der veränderten Wahlzettel aufwendiger. Sie erwartet daher, «dass auch die Auszählung etwas länger dauern wird».
Höhere Personalkosten
Zuständig dafür sind die jeweiligen Gemeinden, die sich auf die Situation entsprechend einstellen müssen. «Wir gehen davon aus, dass insbesondere in grösseren Gemeinden mehr Personal im Einsatz sein wird als bei früheren Wahlen», so Sax.
Oder dass das bestehende Wahlbüro-Personal länger arbeiten muss, wie etwa in der Stadt Aarau. Diese hat zwölf Stimmenzähler und 87 weitere Personen fürs Wahlbüro aufgeboten. «Dies entspricht in etwa der gleichen Anzahl Personen wie vor vier Jahren», so Stadtbüro-Leiterin Nadine Marra. Am Samstag vor dem Wahlsonntag würden jedoch mehr Helferinnen und Helfer für eine längere Zeitdauer aufgeboten, um den Zusatzaufwand bewältigen zu können. «Dies wird sich schliesslich vermutlich mit 600 Franken auch in den Personalkosten niederschreiben – bei einem geschätzten Aufwand von 33'400 Franken.»
Doch nicht nur die Zahl der Listen wirkt sich auf die Auszählung aus, wie es verschiedenen Orts heisst. Viel entscheidender ist demnach, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfällt und wie viele Listen dabei verändert abgegeben werden. «Je mehr panaschiert und kumuliert wird, desto mehr Aufwand gibt es für die Wahlbüros», sagt Stephan Ziegler, Leiter Wahlen und Abstimmungen im Kanton Zürich.
Durch eine entsprechende Vorbereitung und Organisation wollen die Behörden aber dafür sorgen, dass sich die Bekanntgabe der Resultate trotz Rekordansturms möglichst nicht verzögert.
GLP-Chef Grossen hat wegen der grünliberalen Listenflut jedenfalls kein schlechtes Gewissen. «Jeder und jede kann nur eine Liste einwerfen. Diese Stimmen muss man nur einmal zählen und richtig zuordnen», meint er. «Den Rest übernimmt die Informatik.»