Der Bundesrat ist in der Zwickmühle. Einerseits hat ihm das Parlament schon 2018 einen klaren Auftrag erteilt: Er soll den Atomwaffenverbotsvertrag so schnell wie möglich unterzeichnen. Die Schweiz hat diesem schon 2017 an der Uno-Generalversammlung zugestimmt, zusammen mit 122 anderen Staaten. Bis heute ist der Vertrag aber noch immer nicht unterzeichnet.
Andererseits will sich der Bundesrat weiter der Nato annähern. Aufgeschreckt durch den Ukraine-Krieg hatte er sich das zum Ziel gesetzt. Die geplante Beteiligung am Raketen-Schutzschirm Sky Shield ist nur der neuste Schritt.
Doch: Eine weitere Annäherung ist bei einem Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag nicht zu haben. Es ist zu hören, dass Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (64) dies Bundesrätin Viola Amherd (61) sehr deutlich zu verstehen gegeben habe. Alle Atommächte hatten das Verbot bekämpft, auch die Nato, die sich als «nukleare Allianz» versteht. Der Bundesrat soll sich nun uneinig sein, wie es nun weitergehen soll.
«Der Bundesrat spielt auf Zeit»
«Der Bundesrat will sich alle Optionen offenhalten und hält das Parlament seit fünf Jahren hin. Das geht schlicht nicht», findet Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan (43).
Das sieht die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats genauso. Schon im April gelangte sie mit einem Brief an die Landesregierung, um diese an ihre Verpflichtungen zu erinnern. Sie solle so bald wie möglich aufzeigen, wie sie die Forderungen des Parlaments umsetzen will. Mehrere Kommissionsmitglieder hatten erwartet, dass der Bundesrat bis zu den Sommerferien einen Entscheid fällt.
Passiert ist nichts. Das Parlament wartet weiter. «Der Bundesrat steckt im Dilemma», sagt SVP-Nationalrat und APK-Präsident Franz Grüter (59). Den Vertrag wolle er nicht unterzeichnen, um die Atommächte nicht vor den Kopf zu stossen. «Aber er spürt den Druck aus dem Parlament», meint Grüter. Denn dort sind die Meinungen eindeutig. Die Linke will Atomwaffen aus pazifistischen Gründen verbieten. Die SVP ist für das Verbot, um eine Nato-Annäherung zu verhindern.
«Der Bundesrat spielt auf Zeit und schiebt aussenpolitische Gründe vor», sagt Grüter. «Er blockiert zurzeit fast alles und nimmt das Parlament nicht ernst genug», findet Arslan. Und SVP-Nationalrat Mauro Tuena (51) nimmt in der Landesregierung «grosse Nervosität» wahr. Für Atomwaffen, gerade in Kriegszeiten, sei hoffentlich niemand. «Im Volk käme das Verbot sicherlich klar durch.»
Cassis arbeitet noch an Neubeurteilung
Zuständig fürs Dossier ist Bundesrat Ignazio Cassis (62). Der Entscheid sei in Vorbereitung, versichert sein Aussendepartement (EDA). Parallel zur Neubeurteilung des Atomwaffenverbotsvertrags werde dem Gesamtbundesrat eine Analyse vorgelegt, was die Unterzeichnung für die Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik bedeuten würde. «Die Dokumente werden dem Bundesrat zusammen vorgelegt, sobald sie finalisiert sind», kündigt das EDA an. Einen Zeitrahmen nennt es nicht.
Doch auch im Parlament sind sich nicht alle einig. Der Ukraine-Krieg habe viel verändert, betont Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (59). «Heute würde eine Vertragsunterzeichnung mehr schaden als nützen», sagt sie. «Gerade die Atommächte selber sind ja gar nicht mit im Boot, weshalb der Vertrag wenig bringt.» Gleichzeitig aber könnte die Schweiz nicht nur eine Annäherung an die Nato vergessen, sondern wohl auch ihre Rolle als Vermittlerin. «Es ist daher richtig, dass der Bundesrat vorerst nicht unterzeichnet», stellt sich die Mitte-Politikerin schützend vor ihre Bundesrätin Amherd.
«Der Bundesrat muss jetzt endlich Farbe bekennen»
Mit dieser Meinung ist Schneider-Schneiter derzeit aber in der Minderheit. Die Kommission werde das Thema nach den Sommerferien sicher wieder auf den Tisch bringen, so APK-Präsident Grüter. Der Druck auf den Bundesrat soll nicht nachlassen. «Er kann nicht schon wieder eine Fristverlängerung beantragen und das Thema weiter und weiter verzögern», findet auch SVP-Parteikollege Tuena. «Der Bundesrat muss jetzt endlich Farbe bekennen und gemäss Parlamentsentscheid den Vertrag unterschreiben.»