Rechtsumkehrt!
Bürgerliche schrauben am Terror-Gesetz

Kaum ist die Abstimmung gewonnen, verlangen Sicherheitspolitiker die präventive Verhaftung von Gefährdern. Und befeuern damit alte Ängste.
Publiziert: 17.10.2021 um 14:02 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2021 um 09:47 Uhr
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SVP-Nationalrat Mauro Tuena.
Foto: Keystone
Simon Marti

Für die Mitglieder der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) war es ein rundum gelungener Tag. Am Montagmorgen besuchten sie die Bundespolizei (Fedpol) in Bern – man darf schliesslich den Draht zu den Leuten an der Front nicht abreissen lassen. Dann, am Nachmittag, stellte die Kommission die Weichen, um das Anti-Terror-Gesetz (PMT) gehörig zu verschärfen.

Erst im Juni hatte das Volk das Paragrafenwerk angenommen. Grob gesagt erlaubt es ein präventives Vorgehen gegen Gefährder. Besteht der Verdacht, dass von jemandem eine terroristische Gefahr ausgeht, können Massnahmen ergriffen werden – noch bevor eine Tat verübt worden ist. Im Extremfall droht dem Verdächtigen Hausarrest.

Knast ohne Verbrechen

Das reiche noch nicht, sagten sich Vertreter aus SVP, FDP und Mitte und stimmten zugunsten einer Kompetenzausweitung für die Strafbehörden. Geht es nach der Mehrheit der SiK, darf die Polizei in Zukunft Menschen präventiv verhaften und «gesichert unterbringen». Will heissen: einsperren. Proteste, die Präventivhaft verstosse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, verhallten ungehört.

Den Anstoss zur Verschärfung gab SVP-Nationalrat Mauro Tuena (49). Er verweist auf den Fall von Morges VD. Im vergangenen Jahr starb dort ein 29-Jähriger vor einem Kebab-Lokal – der Mörder war den Behörden bekannt.

Es gebe Situationen, in denen die Präventivhaft das Risiko von Anschlägen senken oder sogar verhindern könne, so Tuena. Die SiK nehme eine Forderung der Kantone auf. «Nun geht es darum, die gesicherte Unterbringung zu prüfen.» Angeordnet werde sie – als allerletztes Mittel – vom Zwangsmassnahmengericht, hält Tuena fest.

Das Vorgehen der SVP überrasche ihn nicht, kommentiert GLP-Nationalrat und Sicherheitspolitiker Beat Flach (56). «Dass aber die Mitte und die FDP mitmachen, das schockiert mich.» Leider kenne die Schweiz kein Verfassungsgericht, das eingreife, wenn das Parlament überschiesse. Segnet das Parlament die Präventivhaft ab, müsse zur Not das Volk für Korrektur sorgen: «Das Referendum ist durchaus eine Möglichkeit. Eine Allianz, die diese Verletzung unseres Rechtsstaats bekämpft, würde sich rasch formieren.»

Ständerat könnte Verschärfung kippen

Flach setzt seine Hoffnungen erst einmal in die Rechtskommission des Ständerates, die das Geschäft als nächstes berät. Dort dürften manche Bürgerliche die Sachlage anders bewerten als die Parteikollegen im Nationalrat, erklärt der freisinnige Ständerat Andrea Caroni (41). «Dieser radikale Vorstoss wurde zu einem skurrilen Zeitpunkt eingereicht», betont er.

Noch skurriler findet der Ausserrhoder, dass sich dafür eine Mehrheit in der Kommission fand. «Erstens haben die Räte diesen wohl menschenrechtswidrigen Vorschlag erst gerade klar abgelehnt. Zweitens haben wir noch gar keine Erfahrungen mit dem erst jüngst vom Volk beschlossenen Gesetz», so Caroni. Gut möglich also, dass spätestens der Ständerat die Präventivhaft kippt.

Doch die Sicherheitspolitiker schlugen am Montag einen zweiten Pflock ein: Wenig überraschend lehnte die Mehrheit einen Vorstoss der Grünen Marionna Schlatter (41) ab, der verlangt, das PMT genauer zu definieren.

Schlatter will ein für alle Mal ausschliessen, dass politische Aktivisten in den Fokus der Terrorbekämpfung rücken. Sie fordert, dass eine Person nur dann als Gefährder gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die darauf hindeuten, dass der Betreffende auch tatsächlich gewalttätig wird. Wenn also zum Beispiel Klimaaktivisten einen Systemumsturz propagieren, aber jegliche Hinweise auf eine mögliche Gewaltanwendung fehlen, greift das PMT nicht. Genau das war einer der grossen Streitpunkte im Abstimmungskampf: Befürworter des Anti-Terror-Gesetzes, namentlich die zuständige Justizministerin Karin Keller-Sutter, erklärten stets, es komme nur gegen gewalttätige Extremisten zur Anwendung – nicht gegen politische Aktivisten irgendwelcher Couleur.

Wundersamer Meinungswandel bei der SiK

Warum also lehnt die SiK diese Präzisierung ab? Ihre Medienmitteilung lässt tief blicken: «In den Augen der Kommissionsmehrheit würde eine explizite Erwähnung der Gewaltanwendung in der Terrorismus-Definition dem Zweck des PMT zuwiderlaufen, da das Gesetz eben gerade die Verfolgung von gewaltfreien terroristischen Aktivitäten ermöglichen soll.» Damit unterläuft die Kommission die eigene Argumentation aus der Zeit vor Annahme des PMT.

«Genau davor haben wir stets gewarnt», sagt Schlatter. Das Beispiel zeige, welche Kräfte im Parlament wirkten. Die Reaktion des Justizdepartements auf die Verlautbarung der Kommission fällt wortkarg aus: «Der Bundesrat nimmt im Verfahren der Vorprüfung nicht Stellung zu parlamentarischen Initiativen.» Man äussere sich auch nicht zu Medienmitteilungen einer Parlamentskommission.


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