Oberste Polizeibeamtin zum Anti-Terrorgesetz
«Die Polizei verzweifelt fast, weil ihr die Hände gebunden sind»

Polizeigewerkschafts-Chefin Johanna Bundi Ryser sagt, dass die Polizeikorps bei einer Annahme des Anti-Terrorgesetzes aufgestockt werden müssten. Und sie hält die geplanten Massnahmen gegen terroristische Gefährder für sozial.
Publiziert: 05.06.2021 um 13:32 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2021 um 16:56 Uhr
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Stimmt die Bevölkerung am 13. Juni dem Anti-Terrorgesetz zu, beeinflusst das die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten.
Foto: Keystone
Interview: Ladina Triaca

Es ist 20 Grad, die Sonne scheint. Johanna Bundi Ryser (58) sitzt auf einer Restaurant-Terrasse in Bern und trinkt eine heisse Schokolade. Die Bündnerin steht seit fünf Jahren an der Spitze der Polizeigewerkschaft VSPB. Stimmt die Bevölkerung am 13. Juni dem Anti-Terrorgesetz zu, beeinflusst das auch die Arbeit der über 26'000 Polizeibeamten, die Johanna Bundi Ryser vertritt. Sie könnten künftig bereits präventiv mit einer Gesprächspflicht, Kontaktverboten oder Hausarrest gegen terroristische Gefährder vorgehen.

Frau Bundi Ryser, wieso wollen Sie Menschen bestrafen, die noch gar keine Straftat begangen haben?
Johanna Bundi Ryser: Es geht weder dem VSPB noch im Gesetz als solches darum, jemanden zu bestrafen. Vielmehr sehen die Polizistinnen und Polizisten heute teilweise Personen, die sich in eine gefährliche Richtung entwickeln, müssen sie aber einfach in ihr Elend laufen lassen. Künftig könnte die Polizei eine Person etwa verpflichten, mit ihr zu sprechen. Ich halte die Massnahmen für sozial und nicht repressiv.

Wenn jemand einen Terroranschlag vorbereitet, ist das bereits heute strafbar.
Ja, aber solche Vorbereitungshandlungen werden hart bestraft. Bei den präventiven Massnahmen im Anti-Terrorgesetz geht es nicht darum, jemanden gleich zu inhaftieren. Man erhält damit aber einen Zugang zu den Betroffenen, die sich vielleicht selber keine Hilfe holen.

Wäre das nicht eher die Aufgabe von Sozialdiensten?
Wir hören von dieser Seite oft, dass sie nichts tun können. Alle geben die heisse Kartoffel weiter. Die Polizei muss sich dann vielfach um die Betroffenen kümmern – und verzweifelt fast, weil ihr die Hände gebunden sind.

Darum gehts im Anti-Terror-Gesetz

Das vom Parlament verabschiedete «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terroristen», kurz Anti-Terror-Gesetz, soll den Kampf gegen Islamisten sowie Links- und Rechtsextremisten erleichtern. Die Polizei soll massiv mehr Möglichkeiten erhalten, gegen die sogenannten Gefährder vorgehen zu können.

Dazu gehören Kontaktverbote, elektronische Überwachung, Standortverfolgung über Mobiltelefone oder auch das Verbot, das Land zu verlassen, sowie Meldepflichten und Hausarreste. Brisant: Die scharfen Massnahmen können von den Behörden verhängt werden, sobald sie über «konkrete und aktuelle Anhaltspunkte» verfügen – ein Verdacht der Polizei reicht also aus.

Eine gerichtliche Überprüfung ist einzig für den Hausarrest vorgesehen, der für Personen über 15 Jahre verhängt werden kann. Die restlichen Polizeimassnahmen können bereits gegen Kinder ab 12 Jahren angewendet werden. Nicht nur die Bundesbehörden, sondern auch kantonale und kommunale Behörden können die Massnahmen beantragen.

Die Gegner befürchten, dass aufgrund der «schwammigen Formulierung» des Gesetzes praktisch jeder bisher unbescholtene Bürger zu einem terroristischen Gefährder gemacht werden könnte. Ausserdem warnen Uno-Experten, dass das Gesetz gegen Menschenrechte verstosse.

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Keystone

Das vom Parlament verabschiedete «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terroristen», kurz Anti-Terror-Gesetz, soll den Kampf gegen Islamisten sowie Links- und Rechtsextremisten erleichtern. Die Polizei soll massiv mehr Möglichkeiten erhalten, gegen die sogenannten Gefährder vorgehen zu können.

Dazu gehören Kontaktverbote, elektronische Überwachung, Standortverfolgung über Mobiltelefone oder auch das Verbot, das Land zu verlassen, sowie Meldepflichten und Hausarreste. Brisant: Die scharfen Massnahmen können von den Behörden verhängt werden, sobald sie über «konkrete und aktuelle Anhaltspunkte» verfügen – ein Verdacht der Polizei reicht also aus.

Eine gerichtliche Überprüfung ist einzig für den Hausarrest vorgesehen, der für Personen über 15 Jahre verhängt werden kann. Die restlichen Polizeimassnahmen können bereits gegen Kinder ab 12 Jahren angewendet werden. Nicht nur die Bundesbehörden, sondern auch kantonale und kommunale Behörden können die Massnahmen beantragen.

Die Gegner befürchten, dass aufgrund der «schwammigen Formulierung» des Gesetzes praktisch jeder bisher unbescholtene Bürger zu einem terroristischen Gefährder gemacht werden könnte. Ausserdem warnen Uno-Experten, dass das Gesetz gegen Menschenrechte verstosse.

Könnte die Polizei die neuen Massnahmen überhaupt durchsetzen?
Das ist eine berechtigte Frage. Wenn das Anti-Terrorgesetz angenommen wird, müsste die Polizei zusätzliche Aufgaben übernehmen. Es bräuchte mehr Polizistinnen und Polizisten, sonst wird der Druck auf unsere Mitglieder noch grösser.

Künftig könnte ein 12-jähriges Mädchen gezwungen werden, einen Ort nicht zu betreten oder gewisse Kontakte aufzugeben. Ist das nicht übertrieben?
Es geht hier um präventive Massnahmen in einer der schlimmsten Deliktskategorien, nämlich von Terroranschlägen. Wenn sogar ein Kind in diese Prävention miteinbezogen werden müsste, weil es beispielsweise von einer Person dermassen psychisch manipuliert wird, erachten wir dies in letzter Konsequenz als ein Mittel zur Verhinderung eines Anschlages.

Wie oft kommt es denn vor, dass sie gegen 12-Jährige vorgehen möchten, aber nicht können?
Das ist schwierig zu sagen. Aber es gibt neuralgische Punkte, wo die Gefahr besteht, dass Jugendliche mit radikalen Gedanken in Kontakt kommen. Wir müssen uns vom Glauben verabschieden, dass die Jungen zu Hause nur «Robin Hood» lesen.

Dennoch kritisieren Vertreter der UNO und des Europarats, dass das Gesetz gegen die Kinderrechte verstösst.
Die Massnahmen treffen ja nicht alle Jugendlichen. Wir sprechen immer nur von denjenigen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie in terroristischen Kreisen verkehren. Und diese laufen nun mal nicht mit einem «T» auf der Stirn durch die Strassen.

Eine Polizistin will verständlicherweise alles tun, um einen Terroranschlag zu verhindern. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie im Zweifelsfall präventive Massnahmen anordnen?
Solche Anordnungen kann eine Polizistin niemals allein entscheiden. Hier sind verschiedene Behörden involviert und es ist spezialisiertes und fachkundiges Wissen gefragt. Derartige Entscheide werden ganz sicher nicht «aus dem hohlen Bauch» oder nach Gutdünken gefällt. Dies ist ein langer Prozess, in den viele Sachverständige miteinbezogen werden. Genau dadurch kann sichergestellt werden, dass nicht leichtfertig Massnahmen angeordnet werden.



Aber es braucht – abgesehen vom Hausarrest – keinen richterlichen Beschluss für die Massnahmen. Die Gegner sagen, die Polizei werde so zum Richter und Henker.
Wenn der Entscheid bei einer einzelnen Polizistin oder einem Kanton liegen würde, könnte ich die Kritik verstehen. Aber das ist nicht der Fall. Zudem können die Betroffenen gegen jede Massnahme Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einreichen.

Dennoch müssen wir der Polizei vertrauen. Fälle wie in Graubünden, wo die Polizei Baukartell-Whistleblower Adam Quadroni gefesselt in die Psychiatrie einlieferte und später mutmasslich Dokumente fälschte, stärken das Vertrauen in die Polizei nicht.
Zu diesem konkreten Fall kann ich keine Auskunft geben. Wenn bei der Polizei Fehler passieren, werden diese untersucht und haben Konsequenzen. Das finde ich richtig.

Hätten die Attentate von Morges und Lugano mit dem Anti-Terrorgesetz verhindert werden können?
Das ist eine hypothetische Frage, die ich nicht beantworten kann. Es wäre jedoch durchaus möglich, mit den präventiven Massnahmen im Anti-Terrorgesetz solche Taten zu verhindern.

Reichen präventive Massnahmen denn aus, um einen Gefährder zu stoppen? Ein islamistischer Attentäter wird sich von einem polizeilichen Gespräch kaum abhalten lassen.
Es gibt Menschen, die derart stark ideologisiert sind, dass man sie nicht von einem Terroranschlag abhalten kann. Aber wenn dank den Präventionsmassnahmen schon nur eine Handvoll Personen wieder zur Vernunft kommen, ist viel erreicht.

Die erste Frau an der Spitze der Polizeibeamten

Johanna Bundi Ryser (58) ist seit 2016 Präsidentin des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) und vertritt die Interessen von rund 26'000 Polizistinnen und Polizisten. Die Bündnerin ist die erste Frau an der Spitze des Verbandes. Sie arbeitete zunächst als Polizistin im Kanton Graubünden. Später zog sie nach Bern und lebt heute mit ihrer Familie im Espace Mittelland.

Thomas Meier

Johanna Bundi Ryser (58) ist seit 2016 Präsidentin des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) und vertritt die Interessen von rund 26'000 Polizistinnen und Polizisten. Die Bündnerin ist die erste Frau an der Spitze des Verbandes. Sie arbeitete zunächst als Polizistin im Kanton Graubünden. Später zog sie nach Bern und lebt heute mit ihrer Familie im Espace Mittelland.

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