Reaktion auf Blochers Neutralitäts-Initiative
Die Mitte entscheidet über eigenständige Sanktionen

Der frühere SVP-Bundesrat Christoph Blocher will verbieten lassen, dass sich die Schweiz an EU-Sanktionen beteiligt. Doch das Parlament bewegt sich in die andere Richtung: Die Mitte-Partei entscheidet im Ständerat, ob unser Land eigene Sanktionen beschliesst oder nicht.
Publiziert: 25.07.2022 um 18:44 Uhr
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Die Mitte-Ständeräte geben den Ausschlag bei der Entscheidung über eigenständige Sanktionen. Im Bild: Charles Juillard, Pirmin Bischof und Isabelle Chassot (v. l.).
Foto: Keystone
Sophie Reinhardt

«Die Schweiz ist Kriegspartei geworden und steht jetzt im Krieg gegen Russland», mit dieser Aussage polarisiert alt Bundesrat Christoph Blocher (81) im Blick-Interview. Gemäss dem SVP-Vordenker ist es ein Fehler, dass die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Kriegstreiber Russland mitträgt. Er will Schweizer Sanktionen verbieten und die Neutralität in der Verfassung festschreiben – per Volksabstimmung!

«Blocher geht es nur darum, weiterhin mit Russland Geschäfte zu machen», sagt SP-Ständerat Carlo Sommaruga (63). Er wirft ihm wirtschaftlichen Opportunismus vor. «Wir müssen unsere Werte wie Demokratie und Menschenrechte verteidigen, auch mit dem Mittragen der EU-Sanktionen», so Sommaruga.

Ablehnung von SVP und FDP

Während Blocher und seine SVP über die bisherigen Sanktionen gegen Russland schimpfen und eine künftige Beteiligung der Schweiz an EU-Sanktionen verhindern wollen, hat das Parlament das Gegenteil vor. Der Nationalrat hat beschlossen, die Schweiz solle künftig eigenständig Sanktionen ergreifen können. Bislang kann sie sich nur an Sanktionen beteiligen, die die Uno oder die EU beschlossen haben.

Anfang Juni hat sich die grosse Kammer nun aber dafür ausgesprochen, dass der Bundesrat selbst Zwangsmassnahmen gegen Staaten, Personen und Unternehmen ergreifen kann, die sich an Verletzungen des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte oder an anderen Gräueltaten beteiligen.

Gegen diese neue Sanktionspolitik waren die Freisinnigen – und wenig überraschend die SVP. So sagte Nationalrat Roger Köppel (57) ganz im Sinne des Parteivordenkers Blocher, dass sich die Schweiz mit den Wirtschaftssanktionen «zur Kriegspartei in diesem fürchterlichen Gemetzel» mache.

Die Linke hofft auf Pfister

Doch in trockenen Tüchern ist der Entscheid noch nicht, dass die Schweiz eigenständig Sanktionen ergreifen können soll. Denn nun kommt das Geschäft zurück in den Ständerat. Dieser hatte sich vor einem Jahr – noch vor Kriegsausbruch – gegen autonome Sanktionen ausgesprochen. Diese hatte SP-Ständerat Sommaruga schon damals gefordert. Die Ratsmehrheit war dannzumal aber der Argumentation von Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62, SVP) gefolgt, der eigene Sanktionen als «grundsätzliche Abkehr von der Schweizer Neutralitätspolitik» bezeichnete.

Mit Ausbruch des Kriegs hat sich die Einschätzung teilweise geändert. «Der Ständerat wird sich mehr für diese Frage interessieren», erklärt Sommaruga. Doch ob es reicht? Im Nationalrat hatten sich auch die Mitte-Partei und die Grünliberalen für eine eigenständige Schweizer Sanktionspolitik ausgesprochen.

Mitte-Macht im Stöckli

Auf die Mitte kommt es nun auch im Ständerat an. Fährt sie im Stöckli dieselbe Linie wie ihr Parteipräsident, haben eigenständige Sanktionen auch in der kleinen Kammer eine Mehrheit. Die Mitte-Ständeräte gelten jedoch – je nach Blickwinkel – als besonders eigenständig oder kaum führbar. Doch dass die Mitte-Ständeräte ihren eigenen Präsidenten Gerhard Pfister (59) ein Jahr vor den Wahlen im Regen stehen liessen, wäre ein Affront ihm und der Partei gegenüber, den sie sich kaum leisten können.

Denn der Mitte-Präsident selbst forderte von der Schweiz, eigene Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Im Mai fand Pfister auch an der Delegiertenversammlung deutliche Worte: Einem Aggressor unter dem Vorwand der Neutralität in die Karten zu spielen, sei das Gegenteil von Neutralität, sagte er in Anwesenheit von Mitte-Bundesrätin Viola Amherd (60). Der Westen müsse wieder stärker Verantwortung übernehmen und für seine Werte einstehen.

Nun muss sich zeigen, ob die Mitte-Ständeräte eher einen Schritt auf Blocher zugehen – oder ihren Parteipräsidenten stützen.

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