«In der Lokalpolitik sind Erfolge oft unscheinbar, manchmal nur ein paar Streifen auf dem Asphalt. Diese Lektion habe ich gelernt, als sich meine Mutter, bis 2016 SP-Politikerin im Gemeindeparlament von Zollikofen BE, für eine sichere Fussgängerüberquerung in der Nähe einer Schule engagierte. Zebrastreifen sind in Tempo-30-Zonen eigentlich nicht vorgesehen, was zu gefährlichen Situationen führen kann. Also kämpfte meine Mutter darum. Und erhielt die Rückendeckung des Grossen Rats. Seither weiss ich: Es lohnt sich, für kleine Veränderungen zu kämpfen.
Ich bin 1995 in der Berner Mittellandsgemeinde Zollikofen geboren, hier aufgewachsen und politisch aktiv. Nach dem Rücktritt einer Parteikollegin bin ich seit dem 1. Januar einer von sieben Gemeinderätinnen und -räten. In einem Newsportal stand, ich sei mit 28 Jahren eines der jüngsten Mitglieder einer Kommunalregierung in der gesamten Berner Agglomeration.
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Meine Partei ist die SP, die Mehrheiten sind in der Gegend bürgerlich. Keine leichte Partie, aber ich halte es da wie auf dem Fussballplatz als langjähriger Innenverteidiger mit kleinem Körperbau: Mit gutem Stellungsspiel kann man einiges wettmachen.
Ich hoffe, ich kann ein Vorbild sein. In der Lokalpolitik fehlt der Nachwuchs, aber eine Demokratie ist nur so gut wie ihr Personal. Junge Leute nutzen den öffentlichen Raum zum Beispiel anders als Familien oder ältere Leute. Wer vertritt diese Anliegen in der Gemeindepolitik? Ich sehe schon: Zebrastreifen und Zonenpläne – auf Tiktok sind das nicht die aufregendsten Themen. Aber wir leben doch hier, auf dem Dorf. Warum nicht auch hier mitreden?
An der Durchgangsstrasse scheiden sich die Geister
Jede Gemeinde hat ihren politischen Dauerbrenner. Bei uns ist es die Durchfahrtsstrasse hinunter nach Bern. Ich will mich nicht über Details auslassen, man kann sich die Streitpunkte rund um eine viel befahrene Verkehrsader ja denken.
Was ich aber spannend finde, ist, dass sich in der Auseinandersetzung um diesen Streifen Beton alle denkbaren Konflikte des gesellschaftlichen Zusammenlebens spiegeln. Die einen wollen Verkehrsberuhigung und sichere Velowege, die anderen freie Fahrt. Das ist doch psychologisch sehr interessant. Andere Parlamente haben Debatten über die Zersiedelung oder den Anschluss ans ÖV-Netz. Wir haben die Bernstrasse. Ich persönlich fände ja eine Verlegung in den Untergrund eine interessante Lösung.
Am Küchentisch wurde Politik diskutiert
Mein Vater ist in den Achtzigerjahren aus Sri Lanka in die Schweiz eingewandert. Meine Mutter kam in den Neunzigerjahren hierher. Politik war am Küchentisch stets ein Thema, ich würde sagen: Dort wurde ich politisiert. Der Vater ist Buschauffeur beim Regionalverkehrsbetrieb RBS, die Mutter Fachfrau Gesundheit und Berufsbildnerin im Inselspital. Meine beiden jüngeren Schwestern studieren Medizin, ich lerne zurzeit für die Anwaltsprüfung. Und ich war, vielleicht ein bisschen untypisch für einen Linken, länger im Militär, als es die Mindestdienstpflicht vorsah.
Ein paar Jahre im Militär, das kann im Lebenslauf nicht schaden: Ich habe diese ländlich geprägte Annahme verinnerlicht. Sie wollten mich zunächst zur Infanterie schicken, doch ich ging lieber zur Truppenbuchhaltung und wurde schliesslich Fourier. Der organisiert, verkürzt gesagt, die ganze Logistik. Mittlerweile habe ich mich zur Militärjustiz umteilen lassen, wodurch sich meine Dienstzeit noch einmal verlängerte.
Im Dienst habe ich einiges über die Schweiz gelernt. Und über mich. Ordnung, Verantwortung, genaues Arbeiten. Hierarchie. Ich habe gelernt, vor Leute hinzustehen und meine Meinung zu sagen. Dass ich für die SP politisiere, blieb im Militär nicht unbemerkt. «Wie kann man für eine Partei arbeiten, die kein V im Namen trägt?» Solche Sprüche gab es schon. Damit kann ich umgehen. Als ein Rekrut einen anderen im Spass eine «Schwuchtel» nannte, habe ich aber interveniert. Da geht es nicht um links oder rechts. Da geht es um Würde und um Respekt. Dafür kämpfe ich auch als Jurist.
Ich bin ein besonnener Typ. Lokalpolitik ist Teamplay, es bringt nichts, stur die eigene Ideologie durchdrücken zu wollen. Was mich aber aufregt, ist die Haltung von Leuten, die meinen, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Politik ist immer ein Aushandeln, das sehe ich auch als ehrenamtlicher Rechtsberater einer Asylorganisation jeden Tag. Ein Fall ist so, der nächste ganz anders, das muss man aushalten. Wer meint, alles zu wissen, hat politisch die Bodenhaftung verloren.»
Aufgenommen von Daniel Faulhaber