Rahmenabkommen mit der EU
Ab jetzt wirds dreckig

Nächste Woche fährt Bundespräsident Guy Parmelin nach Brüssel zu einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ausgerechnet jetzt verschärft sich der Ton.
Publiziert: 16.04.2021 um 12:38 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2021 um 14:27 Uhr
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Bundespräsident Guy Parmelin wird am Freitag, 23. April, nach Brüssel reisen.
Foto: imago images/Andreas Haas
Pascal Tischhauser, Sermîn Faki

Das Schwarzpeterspiel hat begonnen. Immer der andere soll schuld sein am Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU. Die einen zeigen auf Aussenminister Ignazio Cassis (60, FDP), der sich zu wenig um das Europadossier gekümmert haben soll. Die anderen verweisen auf die beiden SVP-Bundesräte Ueli Maurer (70) und Guy Parmelin (61), die sowieso nie etwas vom Institutionellen Abkommen (InstA) hätten wissen wollen.

Die SPler in der Landesregierung hätten das Abkommen als Bundespräsidenten eben sowenig vorangebracht – weder Simonetta Sommaruga (60) im letzten Jahr, noch Alain Berset (49) in seinem Präsidialjahr 2018. Und manche Befürworter ärgern sich, dass sich die beiden Linken hinter den abkommenskritischen Gewerkschaften verstecken würden.

Einzig Amherd kommt gut weg

Die Freisinnige Karin Keller-Sutter (57) wiederum habe sich mit ihrem St. Galler Kantonskollegen und Ex-Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner (68, SP) verbrüdert und gegen Parteifreund Cassis gearbeitet.

Einzig Viola Amherd (58, Die Mitte) kommt ungeschoren davon. Hier richtet sich die Kritik eher gegen Parteichef Gerhard Pfister (58), der seit Doris Leuthards (58) Rücktritt als Bundesrätin stets gegen das Abkommen gearbeitet habe.

Nun dreckelt auch noch Brüssel

So weit, so bekannt. Richtig schmutzig werde es erst, wenn auch Brüssel anfange zu drecklen, um die Schuld am Scheitern des Abkommens von sich weisen zu können, hiess es in Bern. Genau das ist nun passiert: Die EU wirft der Schweizer Regierung nun vor, sie habe das Rahmenabkommen gar nie in Kraft setzen wollen. So steht es in einem vertraulichen Bericht der EU-Kommission an die 27 Mitgliedsstaaten, der sicher nicht zufällig gerade jetzt bekannt wird.

Schliesslich steht die finale Reise von Bundespräsident Parmelin zu EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (62) bevor. Dies bestätigte Bundesratssprecher André Simonazzi am Freitag auf Twitter.

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Dann entscheidet sich, ob es mit dem InstA doch noch klappt – oder ob jahrelange Verhandlungen für die Katz waren.

Cassis wird, obwohl er für das Dossier zuständig ist, nicht mit nach Brüssel reisen – und macht gute Mine zum bösen Spiel. «Ich bin froh, dass Bundespräsident Guy Parmelin ein persönliches Gespräch mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen führen wird», sagte er am Rande eines Treffens mit seinen Amtskollegen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und Liechtenstein in Lugano.

Dass sich am 23. April nur Parmelin und von der Leyen treffen würden, habe protokollarische Gründe und entspreche zudem auch dem Wunsch der EU-Kommission. Weitere Fragen – etwa zum internen Bericht – blockte Cassis ab.

EU greift Chefunterhändlerin an

Bekanntlich will Bern von der EU noch in drei Bereichen des Abkommens Zugeständnisse: bei den flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz, bei den staatliche Beihilfen und bei der Frage, ob EU-Bürger in der Schweiz rasch Zugang zu unseren Sozialsystemen haben können.

Ungewohnt heftig greift der Bericht dabei die Schweizer Verhandlungsführerin, Staatssekretärin Livia Leu (60) an. Sie habe in fünf Gesprächsrunden mit der EU-Kommission nie eigene Textvorschläge vorgelegt, heisst es darin laut SRF. Sondern sie habe jeweils von der EU Vorschläge für Lösungen in den drei Problembereichen erwartet. Bewegen aber müsse sich die Schweiz, findet die EU.

Wie man in Bern hört, sei Leu allerdings tatsächlich nicht durch aktive Verhandlungsführung aufgefallen. Die Frage ist: warum? Dass Leu verhandeln kann, hat sie als Botschafterin im Iran bewiesen, als sie drei US-Bürger aus der Gefangenschaft der Mullahs holte. Gemunkelt wird deshalb, dass ihr Mandat so eng sei, dass sie fast nur auflaufen könne.

Brüssels letzter Zug im Schwarzpeterspiel sorgt in Bern für gehörige Irritationen. So sagt der FDP-Ständerat und Präsident der Aussenpolitischen Kommission Damian Müller (36): «Ich erwarte von der EU nicht, dass sie den Schwarzen Peter einfach der Schweiz zuschanzt.»

Europa-Allianz fordert Volksabstimmung

Die Plattform Schweiz-Europa fordert den Bundesrat auf, das Rahmenabkommen mit der EU zu unterzeichnen und dann dem Volk vorzulegen. In einem am Freitag veröffentlichten Appell schreibt die Europa-Allianz verschiedener Organisationen: «Es wäre unserer Demokratie unwürdig, wenn das Schicksal dieses höchst bedeutungsvollen Abkommens am Souverän vorbeientschieden würde. Das Parlament soll über dessen Vor- und Nachteile beraten können und dem Souverän die Möglichkeit gegeben werden, sich in einer Abstimmung dazu zu äussern.»

Die Plattform zeigt sich zudem ernüchtert über die «passive Haltung des Bundesrats und das mangelnde Verantwortungsgefühl» der Spitzen der Bundesratsparteien, die eine Volksabstimmung aus wahltaktischen Überlegungen fürchten.

Die Plattform setzt sich zusammen aus den pro-europäischen Organisationen Gesellschaft für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Neue europäische Bewegung, Operation Libero, Progresuisse, Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik, Schweiz in Europa und Unser Recht. Präsident ist der ehemalige Staatssekretär Jean-Daniel Gerber (74). (sf)

Jean-Daniel Gerber präsidiert die Plattform Schweiz-Europa.
Thomas Meier

Die Plattform Schweiz-Europa fordert den Bundesrat auf, das Rahmenabkommen mit der EU zu unterzeichnen und dann dem Volk vorzulegen. In einem am Freitag veröffentlichten Appell schreibt die Europa-Allianz verschiedener Organisationen: «Es wäre unserer Demokratie unwürdig, wenn das Schicksal dieses höchst bedeutungsvollen Abkommens am Souverän vorbeientschieden würde. Das Parlament soll über dessen Vor- und Nachteile beraten können und dem Souverän die Möglichkeit gegeben werden, sich in einer Abstimmung dazu zu äussern.»

Die Plattform zeigt sich zudem ernüchtert über die «passive Haltung des Bundesrats und das mangelnde Verantwortungsgefühl» der Spitzen der Bundesratsparteien, die eine Volksabstimmung aus wahltaktischen Überlegungen fürchten.

Die Plattform setzt sich zusammen aus den pro-europäischen Organisationen Gesellschaft für grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Neue europäische Bewegung, Operation Libero, Progresuisse, Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik, Schweiz in Europa und Unser Recht. Präsident ist der ehemalige Staatssekretär Jean-Daniel Gerber (74). (sf)

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