Kommentar zum Rahmenabkommen
So hat der Bundesrat die Sache vergeigt

Wie sagte Ignazio Cassis zu Beginn seiner Amtszeit als Aussenminister über die Verhandlungen für ein Rahmenabkommen: «Wenn es klappt, klappt es. Wenn nicht, dann nicht.» Heute sehen wir, wohin diese Flapsigkeit uns geführt hat.
Publiziert: 16.04.2021 um 15:39 Uhr
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Aktualisiert: 23.04.2021 um 08:09 Uhr
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Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick

Die EU macht es einem leicht, sie nicht zu mögen. Es mangelt ihr an demokratischer Legitimation, eine gemeinsame Vision ist ihr längst abhandengekommen. Und Corona macht bislang nicht den Eindruck, dass sich an diesem beklagenswerten Zustand etwas ändert.

Es ist derart einfach, die EU nicht zu mögen, dass ein Umstand glatt übersehen wird: Ohne Europa wäre die Schweiz ... nichts. Wir hängen so sehr von Europa ab – wirtschaftlich, sicherheitspolitisch –, dass uns diese Abhängigkeit gar nicht bewusst ist. Es ist wie beim Atmen: Wer denkt schon ständig daran, dass er dazu Sauerstoff benötigt?

Umso fahrlässiger mutet es an, wie der Bundesrat die Beziehungen zur EU strapaziert. Diese Woche beklagte sich die Kommission in Brüssel darüber, dass die Schweizer Staatssekretärin Livia Leu während der Nachverhandlungen zum Rahmenabkommen keine eigenen Textvorschläge präsentiert habe. Leu habe immer nur Änderungen beim bisherigen Vertragsentwurf verlangt, aber nie erklärt, was der Bundesrat denn nun konkret wolle.

Diese Kritik trifft allenfalls sehr bedingt zu. Immerhin hat die Schweiz klar gesagt, welche Punkte im Entwurf ihr nicht behagen. Gleichwohl fügt sich das Zeugnis aus Brüssel ins Bild eines Bundesrates, dem es beim Thema Rahmenabkommen an Ernsthaftigkeit immer gefehlt hat. Wie sagte Ignazio Cassis zu Beginn seiner Amtszeit als Aussenminister über die Vertragsverhandlungen: «Wenn es klappt, klappt es. Wenn nicht, dann nicht.» Mit einer solchen Flapsigkeit lässt sich kein Staat machen.

Wie unprofessionell die Landesregierung das Thema angegangen ist, zeigt auch der Vergleich mit einem grossen Vertragswerk, das die Schweiz und die EU erfolgreich abgeschlossen haben. Als unsere Diplomaten Ende der 90er-Jahre mit der EU die Bilateralen I ausfeilschten, erarbeitete die Verwaltung in Bern parallel dazu eine umfangreiche Umsetzungsgesetzgebung. Das war unter anderem die Geburtsstunde der flankierenden Massnahmen zum Schutz der Schweizer Löhne.

Beim aktuellen Rahmenvertrag dagegen wurde allem Anschein nach nichts dergleichen unternommen.

Wäre es dem Bundesrat mit dem Abkommen wirklich ernst gewesen, hätte er prüfen lassen, ob es Anpassungen bei besagten flankierenden Massnahmen braucht. Und falls ja, dann hätte er ein entsprechendes Gesetzesprojekt an die Hand genommen. Die Behörden hätten weiter einen detaillierten Plan erstellt, wie sich unser Land in ein Schiedsgericht mit der EU einbringt. Und wie wäre es nach einer Übernahme der sogenannten Unionsbürgerrichtlinie um die Ansprüche von EU-Staatsangehörigen auf Sozialhilfe bestellt gewesen? Auch das hat niemand richtig angeschaut.

Während Staatssekretärin Leu wie einst ihr Vorgänger Roberto Balzaretti in Brüssel Gespräche führte, machte die Zentrale in Bern ... nichts.

Nichts ist deshalb genau das, was aus der ganzen Sache herausschaut.

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