Spesenritterin Amstutz war noch viel dreister
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Protokolle zeigen:Spesenritterin Amstutz war noch viel dreister

Nun droht ihr eine Strafanzeige
Spesenritterin Amstutz war noch viel dreister

SVP-Politikerin Madeleine Amstutz ist fein raus. Sie muss die zu Unrecht bezogenen Spesen nicht an die Berner Gemeinde Sigriswil zurückzahlen. Dabei zeigen BLICK-Recherchen: Sie hat sogar Spesen für Veranstaltungen abgerechnet, an denen sie nicht teilnehmen konnte.
Publiziert: 09.09.2020 um 17:49 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2020 um 15:10 Uhr
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Madeleine Amstutz ist fein raus. Der Spesenskandal von Sigriswil hat für sie keine juristischen Folgen.
Foto: Keystone
Sermîn Faki und Pascal Tischhauser

Madeleine Amstutz (41), die in Sigriswil BE als Gemeindepräsidentin amtet, hatte über Jahre zu hohe Spesenabrechnungen gestellt. Sogar ihre Teilnahme an Beerdigungen stellte sie der Gemeinde in Rechnung. Jetzt zeigt sich, dass die SVP-Politikerin noch viel dreister war: Wer die Spesenblätter mit öffentlichen Quellen abgleicht, stellt fest: Sie hat Spesen für Anlässe eingefordert, an denen sie gar nicht teilgenommen haben kann.

So war Amstutz laut Spesenabrechnung am 30. November 2017 beim «Militärentlassungsessen Panorama» in Aeschlen BE – und zwar, wie sie schrieb, von 12 bis 13.15 Uhr. 50 Franken verrechnete sie dafür. Das Problem dabei: Zu dieser Zeit sass sie im Grossen Rat in Bern. Zwar machte das Kantonsparlament von 12 bis 13.30 Uhr Mittagspause. Die Fahrt von der Berner Altstadt nach Aeschlen dauert aber etwa 40 Minuten, hin und zurück also eine Stunde und 20 Minuten.

Da Amstutz laut Ratsprotokoll an der letzten Abstimmung um 11.45 Uhr teilnahm, konnte sie um 12 Uhr unmöglich beim Essen in Aeschlen sein. Auch der Rückweg wäre denkbar knapp, denn um 14.02 Uhr sass Amstutz an ihrem Platz im Grossratssaal für die erste Abstimmung des Nachmittags.

Zur gleichen Zeit in Sigriswil und in Bern

Ein bedauerlicher Einzelfall, eine Schludrigkeit? Nein! Das zeigt der 20. März 2018*. Laut Spesenblatt war Amstutz von 8.45 Uhr bis 10 Uhr in der Schule Sigriswil bei einem Termin, der mit «Politikinformation Lehrerin B. A.*» bezeichnet ist. Das ist nachweislich falsch. Denn um 9.03 Uhr drückte Amstutz im Grossen Rat auf den Nein-Knopf an ihrem Pult.

Waren vielleicht die Ratsprotokolle in den genannten zwei Fällen fehlerhaft? Kaum, denn die Liste der Verfehlungen ist noch viel länger. Wer die Termine auf den Spesenblättern und die Grossratsunterlagen vergleicht, kann nur zum Schluss kommen, dass die frühere SVP-Politikerin es mit den Spesen höchst unsorgfältig umging und wissentlich in Kauf nahm, ungerechtfertigterweise Geld zu erhalten.

Das alles hat keine Folgen

Gut, kam ihr der Gemeinderat von Sigriswil auf die Schliche, nicht? Fehlanzeige! Mit tatkräftiger Unterstützung des Regierungsstatthalters Marc Fritschi (FDP) geht Amstutz als Siegerin vom Platz. Der Thuner Regierungsstatthalter, der für Sigriswil zuständig ist, hat ihr einen Persilschein ausgestellt – wegen Verfahrensfehlern. Dass die Gemeinde die Spesenabrechnungen nachträglich nochmals geprüft habe, sei unzulässig gewesen. Amstutz muss die Spesen, die sie in den Jahren 2015 bis 2018 zu Unrecht bezogen haben soll, nicht zurückzahlen.

Die Spesenritterin ist fein raus. Jene, die Transparenz wollten – der Sigriswiler Gemeinderat und die eingesetzte Geschäftsprüfungskommission – stehen mit abgesägten Hosen da. Fritschi hat bei der Kommunikation seines Entscheids zudem den Eindruck erweckt, nicht Amstutz schulde der Gemeinde Sigriswil Geld, sondern genau umgekehrt. Amstutz habe Fahrspesen von 4000 Franken nicht eingezogen – womit die von der Gemeinde ausgewiesene Schuld von 3244.30 Franken mehr als kompensiert sei.

«Das schadet uns»

Nur: Fritschis Zahlen stimmten halt so nicht, macht der Sigriswiler Gemeinderatspräsident Beat Oppliger klar. Zum einen ist die tatsächliche Summe, um den Amstutz die Gemeinde aus Sicht des Gemeinderats prellte, deutlich höher. Und: «Die Fahrspesen sind bereits abgezogen.» Insgesamt wären es gar rund 7300 Franken gewesen. «Frau Amstutz schuldet der Gemeinde die 3300 Franken für die Jahre 2015 bis 2018. Dass der Regierungsstatthalter mit falschen Zahlen operiert, schadet uns», so Oppliger.

Dennoch werde man den Entscheid nicht weiterziehen, betont Oppliger. «Die ganze Angelegenheit hat schon genug Steuergelder gekostet.» An seinem Vorgehen hält er aber rückblickend fest. «Wir haben den Fall damals neu aufgerollt, weil uns und den Medien anonyme Schreiben zugeschickt wurden. Es gab ein zwingendes öffentliches Interesse daran, die Spesen von Frau Amstutz zu untersuchen.»

Allerdings: Die Geschäftsprüfungskommission von Sigriswil prüft nun eine Strafanzeige gegen Madeleine Amstutz, wie Präsident Hansruedi Tschanz gegenüber BLICK bestätigt. Dies, weil Amstutz Spesen doppelt abgerechnet haben soll – einmal in Sigriswil, einmal bei der Organisation Entwicklungsraum Thun.

Amstutz geht in die Offensive

Madeleine Amstutz war für BLICK nicht zu erreichen: Da sie sich aktuell wieder in der Debatte des Grossen Rates befinde, sei es ihr nicht möglich, weitere Fragen zu beantworten. Sie verschickte am Mittwoch aber ein Communiqué, in dem sie sich über die Veröffentlichung ihrer Spesen beklagt und ihrerseits in die Offensive geht: Gemeinderatspräsident Opplinger habe – zum Teil für die gleichen Anlässe – deutlich höhere Spesen eingereicht.

Ob das so ist, darüber kann sich jeder selbst ein Bild verschaffen: Auf der Gemeindeverwaltung liegen die Spesenabrechnungen der Gemeinderatsmitglieder auf.

* In einer früheren Version des Artikels stand hier der 18. März 2018. Das war ein Fehler.

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