Als ob wir bei der schwedischen Post wären – Christian Levrat (52) spricht alle Mitarbeitenden, auf die er trifft, mit du an. Doch der Post-Präsident empfängt Blick vor den Toren der Stadt Bern, im Paketzentrum Ostermundigen. Möglich, dass er die eine oder den anderen noch aus Gewerkschaftszeiten kennt. Doch ein Mitarbeiter betont, Levrat zum ersten Mal zu treffen. Er freut sich, aus demselben Kanton wie der langjährige frühere SP-Präsident zu kommen und auch dessen Partei anzugehören.
In einem kleinen, schmucklosen Raum steht der einstige Politiker Blick dann fürs Interview zur Verfügung. So sehe es oft aus bei der Post, zweckmässig, ohne Prunk. Als wolle der Freiburger klarstellen: Der gelbe Riese schmeisst kein Geld zum Fenster raus.
Blick: Herr Levrat, die Stadt Bern diskutiert darüber, die Hauszustellung von Paketen abzuschaffen. Eine gute Idee?
Christian Levrat: Ich verstehe die Sorge um die Nachhaltigkeit, aber der Weg ist der falsche. Die Leute wollen die Pakete zu Hause haben. Wir wollen zu unseren Kunden, und ausserdem sind wir gesetzlich verpflichtet, in der ganzen Schweiz die Zustellung an die Tür zu gewährleisten – auch in der Stadt Bern.
Bern geht davon aus, dass sich die Zahl der Pakete verdreifacht. Der Onlinehändler Digitec Galaxus meldet, er habe gute Erfahrungen gemacht, indem er Waren an einen zentralen Punkt lieferte und von dort mit Velokurieren zu den Kunden brachte.
Was Sie beschreiben, ist genau das Modell der Post in Zürich. Wir haben Mikrobasen in der Stadt, die wir nachts bedienen. Von da können wir die Päckli mit Elektrofahrzeugen bis an die Haustüren ausliefern. Hier im Sortierzentrum Ostermundigen, wo wir auch Pakete für die Stadt Bern verarbeiten, schaffen wir gerade 70 Elektroautos an.
Sie werden umweltfreundlicher.
Die Post hat ihre Nachhaltigkeitsziele vor kurzem drastisch beschleunigt. Neu wollen wir bis 2025 in grossen Städten wie Bern, Zürich, Basel oder Genf die Pakete mit Elektrofahrzeugen zustellen. Bis 2030 soll die gesamte Post-Infrastruktur klimaneutral sein. Wir verabschieden uns völlig von den fossilen Energien, was bei der grössten Fahrzeugflotte der Schweiz einen Unterschied macht.
Als Staatsbetrieb können Sie sich das leisten.
Wir wollen und müssen. Denn was mich sehr erstaunt hat, seit ich bei der Post bin: Unsere Kunden verlangen eine grüne Logistik. Die Wirtschaft gibt uns den Takt vor, nicht die Politik oder die Behörden. Grosskunden, die Millionen von Paketen versenden, verlangen, dass wir diese umweltfreundlich zustellen.
Von der Politik kommt auch Druck, nicht?
Nehmen wir Postauto. Hier sind die Kantone zuständig. Mit diesen ist es schwieriger. Weil Elektrobusse noch teurer sind als Dieselbusse, sind sie zurückhaltend. Dabei ist es dringlich, dass wir umstellen. Spätestens 2040 wollen wir keinen einzigen Dieselbus mehr haben. Das heisst: Nach 2028 können wir keine Dieselbusse mehr kaufen. Die Ausschreibungen dafür werden die Kantone 2026 präsentieren. Also muss man jetzt die Elektrifizierung des Bussystems angehen, damit in drei Jahren klar ist, wie zum Beispiel die Ladeinfrastruktur in den Kantonen aussieht. Darum appellieren wir: Helft mit, wir müssen den Schritt jetzt machen!
Sie sind ein Jahr Post-Präsident. Sind Sie ernüchtert über die Politik?
Nein, nein. Aber bei der Nachhaltigkeit fällt mir das eben auf. Mir macht mein Amt sehr viel Freude. Man sieht die Wirkung von Massnahmen viel direkter und konkreter als in der Politik.
Die Politik bindet die Postfinance zurück. Hat das gelbe Finanzgeschäft noch Zukunft?
Die Entwicklung der letzten Monate ist, was das Geschäft angeht, erfreulich. Postfinance ist eine starke Bank. Wir verwalten über 90 Milliarden Kundengelder. Das stellt uns aber auch vor Schwierigkeiten, denn wir sind konfrontiert mit höheren Eigenmittelanforderungen, da Postfinance systemrelevant ist. Was sich aber leider nicht geändert hat: Postfinance hat nicht die gleichen Voraussetzungen wie andere Banken.
Sie haben mit der Migros Bank und der Corner Bank zwei Konkurrenten in die Post-Filialen geholt. Das gab Kritik. Grüsst Sie Postfinance-Chef Hansruedi Köng noch?
Ja, wir gehen nächstens sogar zusammen an einen Eishockey-Match. Ernsthaft: Wir öffnen unser Filialnetz, um es zu stärken. Wir müssen die Anliegen von Postauto bis Postfinance berücksichtigen. Am Schluss sind wir aber alle gelb im Herzen.
Die Leute sehen eher rot vor Wut.
Wenn wir in den Filialen eine gute Kundenfrequenz haben, nützt das auch Postfinance. Nur mit einer guten Kundenfrequenz können wir langfristig die Filialen sichern. Darum müssen Post-Filialen zu Dienstleistungszentren werden.
Zum Trost bezahlen Sie CEO Köng ja fürstlich. Er verdient mehr als Post-Konzernchef Roberto Cirillo. Das versteht niemand.
Aus Sicht eines Post-Zustellers sind beide Löhne zu hoch, das kann ich verstehen. Diese Löhne müssen aber gegen die Topmanagerlöhne der Konkurrenz bestehen, und die Banken zahlen nun mal höhere Löhne als die Logistikunternehmen. Beide könnten in der Privatwirtschaft deutlich mehr verdienen. Finanzminister Ueli Maurer und das Parlament haben klargemacht, dass bei Bundesbetrieben niemand mehr als eine Million Franken verdienen soll. Das halten wir ein.
Nochmals zu den Poststellen. Die Post hat versichert, sie wolle an 800 selbst betriebenen Filialen festhalten. Jetzt ist man darunter.
Wir halten an unserem Ziel fest, bis 2024 bei rund 800 Filialen zu bleiben. Aber wenn eine Gemeinde eine Änderung wünscht, kommen wir dieser entgegen. Darüber hinaus muss sich die Politik die Frage stellen, welche Post sie will. Wir werden bis 2030 etwa 30 Prozent der Briefvolumina und 50 Prozent des Zahlungsverkehrs verlieren, wenn die Entwicklung so weitergeht. Ob und wie wir vor diesem Hintergrund rund 800 Filialen weiterbetreiben wollen, ist eine Frage, der sich die Politik annehmen muss. Dabei soll man aber eines im Auge behalten ...
Nämlich?
Die Entwicklung bei der Digitalisierung. Wir stellen nicht nur Briefe zu. Wir transportieren Informationen. Unser Ziel ist, bis 2030 die gesamte Kommunikation von Firmen mit ihren Kunden zu ermöglichen und zu übernehmen. Und zwar so, wie diese das wünschen: für eine Kundin physisch als Brief, für den nächsten Kunden mit einer Nachricht im digitalen Briefkasten. Oder vielleicht über Whatsapp – wie auch immer.
Ich weiss, was jetzt kommt …
Was denn?
Der einstige Gewerkschafter Christian Levrat (52) wurde 2003 für die SP in den Nationalrat gewählt, dem er bis zu seiner Wahl ins Stöckli 2012 angehörte. Bis im Herbst 2021 sass er für Freiburg im Ständerat. Von 2008 bis 2020 präsidierte der Jurist zudem die SP Schweiz. Levrat ist verheiratet und hat drei Kinder. Er präsidierte einst den Freiburger Verfassungsrat und die Gewerkschaft Kommunikation. Seit dem 1. Dezember 2021 ist der Romand Verwaltungsratspräsident der Post. (pt)
Der einstige Gewerkschafter Christian Levrat (52) wurde 2003 für die SP in den Nationalrat gewählt, dem er bis zu seiner Wahl ins Stöckli 2012 angehörte. Bis im Herbst 2021 sass er für Freiburg im Ständerat. Von 2008 bis 2020 präsidierte der Jurist zudem die SP Schweiz. Levrat ist verheiratet und hat drei Kinder. Er präsidierte einst den Freiburger Verfassungsrat und die Gewerkschaft Kommunikation. Seit dem 1. Dezember 2021 ist der Romand Verwaltungsratspräsident der Post. (pt)
Sie erklären: Darum müsse die Post mit dem Geld, das einst von den Bürgern kam, so viele Firmen kaufen.
Aber nicht mit Subventionen! Mit dem Geld, das von den Kundinnen und Kunden der Post kam, ermöglichen wir es, dass der Service public bestehen bleibt. Wir entwickeln uns bei der sicheren Übermittlung von Informationen weiter. Wir benötigen zusätzliche Kompetenzen bei der Datensicherheit, im Bereich Cyberabwehr und firmeninterne Kommunikation. Diese besorgen wir uns. Sich das Know-how aufzubauen, dauert zu lange. Dann hat uns die Zukunft eingeholt.
Sie verstehen schon, dass es auf Kritik stösst, wenn der gelbe Riese viele KMU frisst und die kleinen Konkurrenzfirmen das Nachsehen haben, oder?
Es geht nicht um die Alternative, die Post oder eine kleine Firma. Es geht um die Frage: Post oder Google und Amazon? Wenn wir uns nicht in die Lage versetzen, dass wir die genannten Dienstleistungen für die Schweiz anbieten können, tun das die ausländischen Giganten. Diese interessieren aber die Leute nicht, die nicht digitalaffin sind. Die Post hingegen ist für alle da.
Brauchen Sie mit der Digitalisierung die physischen Filialen noch?
Das ist eine der Fragen, über die sich die Post mit der Politik unterhalten muss. Ich bin aber überzeugt, dass die verstärkte Digitalisierung bei den Menschen Bedürfnisse für physische Kontakte schafft. Wir haben ein Projekt im Kanton Jura, der stark auf die Digitalisierung setzt. Der Kanton hat die Post damit beauftragt, die Bürger zu begleiten, die Probleme mit der Digitalisierung bekunden. Wir unterstützen sie. Ähnliche Interessen haben andere Kantone angemeldet. Sie möchten, dass wir die Bürger bei der Erstellung von elektronischen Patientendossiers unterstützen. Wir eröffnen die Optionen, machen Varianten möglich – welches Angebot man will, entscheidet die Politik.
Und was erwarten Sie von der Politik bei der Postfinance?
Zuerst einmal eine ehrliche Diskussion. Zurzeit muss die Postfinance einen Hundertmeterlauf auf einem Bein absolvieren: Sie soll eine branchenübliche Rendite erzielen, darf aber keine Kredite vergeben. Sie hat einen Grundversorgungsauftrag, der kostspielig ist. Und sie ist systemrelevant, unterliegt also strengeren Eigenmittelanforderungen als die meisten Banken. Das geht längerfristig nicht auf.
Was genau erwarten Sie am Ende der Diskussion von der Politik?
Die Politik legt den Grundversorgungsauftrag der Postfinance fest. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man die aktuellen Entwicklungen negiert und wartet, bis die letzte Bargeld-Einzahlung am Schalter erfolgt. Das wäre eine sehr teure Zahlung. Nach 20 Jahren in der Politik weiss ich aber, wie sehr es meine früheren Kolleginnen und Kollegen geniessen, wenn ein Unternehmen ihnen diktiert, was sie zu entscheiden haben. Darum: Wir legen die Problemstellung offen und hoffen, dass uns die Politik Antworten liefert.
Apropos Politik: Sie hatten Ueli Maurer angesprochen. Er hört Ende Jahr als Bundesrat auf. Simonetta Sommaruga ebenso. Sie bekommen neue politische Chefs. Freuen Sie sich auf Albert Rösti?
Ich habe sehr gerne und gut mit Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga zusammengearbeitet. Beide haben uns auch bei kontroversen Diskussionen unterstützt. Ich freue mich über jede neue Chefin und jeden neuen Chef.