Philipp Kutter nach Skiunfall zurück in der Politik
«Man sollte viel mehr wertschätzen, was man alles hat»

Sein Schicksal hat das Land bewegt. Seit einem Skiunfall im letzten Februar ist der Zürcher Mitte-Nationalrat Philipp Kutter von der Brusthöhe abwärts gelähmt. Im Blick-Interview schaut er auf das Jahr zurück.
Publiziert: 26.12.2023 um 00:09 Uhr
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«Ich war immer gern viel unterwegs, auch spontan. Alles geht nun nicht mehr», sagt Philipp Kutter zu Blick.
Foto: Nathalie Taiana

Blick: Herr Kutter, nicht nur für die Neugewählten, auch für Sie war die vergangene Session ein Neuanfang. Was bedeutet es Ihnen, wieder zurück im Bundeshaus zu sein?
Philipp Kutter: Ich freue mich, dass ich wieder mitwirken darf. Es ist schön, all die Unterstützung zu spüren. Die Mitarbeitenden im Parlament, die anderen Nationalrätinnen und Nationalräte: Alle sind sehr hilfsbereit.

Wie hat sich Ihr Alltag als Nationalrat verändert durch den Unfall und Ihre Behinderung?
Ich bin nicht mehr so spontan wie früher. Hier ein Apéro, dort den Kopf rasch zeigen, da ein Jass: Ich war immer gern viel unterwegs, auch spontan. Alles geht nun nicht mehr. Ich muss mich mehr fokussieren und den einen oder anderen Anlass weglassen. Mein Körper braucht etwas mehr Erholung als früher.

Fällt Ihnen das schwer?
Nein, aber es ist eine Umstellung. Es gibt zwar Einschränkungen, aber es ist noch immer vieles möglich. Ich konzentriere mich auf das, was funktioniert.

In dieser Session hat man Ihre Frau oft an Ihrer Seite im Bundeshaus gesehen. Unterstützt sie Sie im Parlament?
Meine Frau hat mich am Anfang begleitet, weil wir herausfinden mussten, wo ich wie viel Hilfe benötige. Längerfristig kann sie aber nicht immer in Bern sein, das geht mit den Kindern nicht. Darum habe ich jetzt testweise einen Assistenten. 

Haben sich auch Ihre politischen Prioritäten durch die neue Lebensrealität verändert?
Mein politischer Horizont hat sich erweitert. Klar werde ich mich für die Anliegen der Behindertengleichstellung einsetzen. Ohne dabei Themen wie die Familienpolitik, denen ich mich bisher widmete, zu vernachlässigen. Einen Vorstoss zur Gleichstellung habe ich schon eingereicht. 

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Wo ist Ihnen als Tetraplegiker denn ganz konkret bewusst geworden, dass es Handlungsbedarf gibt?
Besonders im öffentlichen Verkehr gibt es noch einiges zu tun. Da müssen Verkehrsbetriebe, Kantone und Gemeinden nachbessern. Als neuer Präsident der Verkehrskommission ist das ein wichtiges Thema für mich. Ausserdem habe ich gemerkt, wie wahnsinnig bürokratisch das System der Sozialversicherungen ist. Mich haut das nicht vom Hocker, aber viele Menschen sind total überfordert und trauen sich gar nicht, ihre Rechte wahrzunehmen. Da müssen wir dringend Vereinfachungen hinbringen. 

Sie sind nicht nur Parlamentarier, sondern auch Stadtpräsident von Wädenswil und zweifacher Vater. Ihre Frau führt noch eine Kommunikationsagentur. Wie schaffen Sie das als Familie?
Es braucht eine gute Organisation und Unterstützung von aussen, zum Beispiel von der Spitex oder einer Assistenz, aber auch von Freunden und Verwandten. Ohne Ressourcen aus unserem Umfeld wäre das alles nicht möglich. 

Haben Sie nie ans Aufhören oder Kürzertreten gedacht?
Doch, das war auf jeden Fall ein Gedanke. Es ist streng, für mich wie für meine Frau. Aber es tut mir auch gut, eine Perspektive zu haben. 

Gibt es Momente, in denen Sie mit Ihrem Schicksal hadern?
Ja, auf alle Fälle. Wenn ich am Morgen früh aufwache und es ist noch nicht Zeit zum Aufstehen, wäre ich früher einfach aus dem Bett gehüpft. Das geht nicht mehr – und da kann es schon passieren, dass ich ins Grübeln komme. Auch Ferien mit der Familie sind nicht mehr in der gleichen Form möglich. Was mich am nachdenklichsten macht, ist, dass ich meinen Kindern gern noch das eine oder andere gezeigt hätte. Wir sind viel gewandert, und ich hätte mit meiner Familie gerne noch die eine oder andere Tour gemacht. Gemeinsam in der Natur unterwegs zu sein, das fand ich immer wunderbar.

Worauf freuen Sie sich im neuen Jahr?
Ich möchte gern wieder aktiv sein, und freu mich natürlich über alles, was gelingt. Ich bin froh, dass ich wieder daheim sein kann und dass sich das alles noch mehr einspielen wird. Der neue Alltag wird immer etwas leichter. Das gibt mir viel Zuversicht.

Haben Sie einen Vorsatz?
Unabhängig vom Jahreswechsel: Dieses Jahr hat mich gelehrt, dass man vieles für selbstverständlich hält. Der Mensch hat so viele Möglichkeiten und trotzdem so viele Sorgen im Alltag. Man sollte viel mehr wertschätzen und geniessen, was man alles hat. Und was das Leben bietet.

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