Auf einen Blick
Der langjährige Chefarzt will nur anonym Auskunft geben. Zu heiss ist das Thema der mangelhaften Fehlerkultur an Spitälern. «Wenn man als Spitalarzt wagt, intern Kritik zu üben, fällt das fast immer auf einen zurück», sagt der frisch pensionierte Chefarzt.
Er hat in seiner Karriere erlebt, wie Probleme zu lange unter den Teppich gekehrt wurden: «Ein leitender Arzt meldete ein wichtiges Problem in unserer Spitalorganisation erst, als er die Stelle wechselte. Beim Austrittsgespräch brachte er einen Vorfall zur Sprache, der bereits vor zwei Jahren passiert war.»
Schweigen bringt Patientinnen in Gefahr
Das Nichtmelden von Vorfällen kann dazu führen, dass das Spital zu viel Geld ausgibt. Dass etwa niemand überhöhte Preise für Implantate oder Verbrauchsmaterial kritisiert.
Oder das Nichtmelden von Vorfällen gefährdet das Patientenwohl. Wie am Universitätsspital Zürich, wo eine erhöhte Sterblichkeitsrate in der Herzchirurgie jahrelang hingenommen wurde.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Der Zürcher Kantonsrat will das ändern. Er hat gegen den Willen der Kantonsregierung eine «unabhängige Ombudsstelle» durchgedrückt.
Denn: «Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlt eine unabhängige Anlaufstelle vollends.» So steht es im Vorstoss, den das Parlament überwiesen hat.
Regierungsrätin Natalie Rickli, die der Gesundheitsdirektion vorsteht, muss diesen September eine Gesetzesgrundlage vorlegen für eine «zentrale, unabhängige Ombudsstelle für ambulante und stationäre Patientinnen und Patienten sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens».
Fragen des Beobachters dazu beantwortet die Zürcher Gesundheitsdirektion jedoch nicht. Wann der Regierungsrat dazu einen Beschluss fasst, sagt die Gesundheitsdirektion nicht.
Politisch breit abgestützt
Die neue Ombudsstelle soll helfen, Geld zu sparen und Patientenrechte zu schützen. Die Stelle soll etwa eine Untersuchung einleiten, wenn Patientinnen «aus finanziellen Gründen oder zur Erreichung der nötigen Fallzahl» behandelt worden sind, obwohl das medizinisch gar nicht notwendig gewesen wäre.
Sie soll Anlaufstelle sein für mögliche medizinische Fehlbehandlungen, für Qualitätsverletzungen, für wissentlich falsch verrechnete Leistungen oder für unlautere wissenschaftliche Publikationen. So will es eine breite Koalition im Zürcher Kantonsparlament.
Doch warum braucht es überhaupt eine solche Meldestelle? «Die Mitarbeitenden haben Angst vor Repressionen und verzichten deshalb darauf, Missstände zu melden», sagte etwa Josef Widler (Mitte) im Rat.
Dies sei besonders dann der Fall, wenn die Meldung «ein mögliches Fehlverhalten von Vorgesetzten oder einen Missbrauch von Macht und Hierarchiestrukturen» betreffe.
Wer meldet, riskiert die Entlassung
Andreas Daurù (SP) betonte, dass in den Spitälern vielfach eine Fehlerkultur fehle. Der Pflegefachmann spricht aus eigener Erfahrung: In einem solchen Umfeld sei es «oft schwer oder gar unmöglich, einen Missstand zu melden, ohne seine berufliche Existenz beziehungsweise Karriere nachhaltig zu schädigen».
Die Skandalserie am Zürcher Universitätsspital hat bei den Politikerinnen und Politikern des Kantonsrats offensichtlich Spuren hinterlassen: Einzelne Voten klangen so, als würden die Politiker von André Plass reden. Der ehemalige Prix-Courage-Kandidat verlor seinen Job, nachdem er die Missstände in der Herzchirurgie um seinen Vorgesetzten Francesco Maisano dem Universitätsspital Zürich gemeldet hatte.
Unispital warf den Whistleblower raus
Herzchirurg Plass sagt: «Ich habe gravierende Missstände mit schweren Patientenschädigungen und sogar Toten in sachlichem Ton gemeldet, gestützt auf Fakten.» Viele Mitarbeitende hätten davon gewusst, sagt er. «Und alle sehen, dass ich trotzdem rausgeschmissen worden bin nach 18 Jahren am Universitätsspital Zürich, während dies für die Verursacher der Missstände kaum Konsequenzen hatte.»
Sein Beispiel sei so abschreckend, dass «wohl kaum jemand mehr einen Missstand meldet», sagt er im Interview mit dem Beobachter.
Eine unabhängige Ombudsstelle für das Gesundheitswesen hätte ihm geholfen, sagt Whistleblower Plass. Hätte er seine Meldung über die Vorfälle zwischen 2016 und 2020 bei einer unabhängigen Stelle machen können, hätte er erstens seinen Job wohl nicht verloren. Und zweitens hätte das Spital nicht wegschauen können.
Spital durchleuchtet Fall vier Jahre später
«Eine eingehende Meldung muss komplett und tatsächlich unabhängig untersucht werden», fordert Plass. Und das könne nur eine unabhängige Stelle. Vier Jahre lang wollte das Unispital in seinem Fall davon nichts wissen.
Erst diesen August hat das Spital einen alt Bundesrichter beauftragt, die hohen Sterblichkeitsraten in der Herzchirurgie komplett zu durchleuchten. Je nachdem, was er vorfindet, kann er die Untersuchung ausweiten oder selbst Strafanzeige einreichen.
Kanton Zürich als Test für die ganze Schweiz?
Die Idee einer unabhängigen Ombudsstelle hatte Annina Hess-Cabalzar. Die klinische Psychotherapeutin war selbst Mitglied einer Spitalleitung und präsidiert heute die Akademie Menschenmedizin. Den entsprechenden Entscheid des Kantonsrats bereitete sie im Hintergrund vor. «Der Kanton Zürich soll testen, ob das etwas für die ganze Schweiz wäre», sagt sie.
Es gebe zwar bereits viele Ombudsstellen, aber keine unabhängigen, an die sich auch Mitarbeitende wenden können. «Die geplatzten Eiterbeulen am Universitätsspital Zürich, der Fall Maisano etwa, sind ein Beispiel dafür, dass es unabhängige Stellen braucht.»
Regierungsrat wenig begeistert
Der Regierungsrat des Kantons fand das ursprünglich keine gute Idee. Es gebe bereits genügend Anlaufstellen für Patientinnen und Patienten und eine kantonale Ombudsstelle für Mitarbeitende, hiess es. Vor diesem Hintergrund sei es weder notwendig noch zweckmässig, eine weitere unabhängige Beschwerdestelle im Gesundheitswesen einzurichten.
Den Zürcher Kantonsrat überzeugte diese Argumentation jedoch nicht; er überwies die Motion trotzdem.
«Die unabhängige Ombudsstelle für das Gesundheitswesen soll keine Konkurrenz zu den bisherigen internen und externen Stellen sein, sondern eine Ergänzung», sagt Annina Hess-Cabalzar.