Ein neues Bundesgerichtsurteil könnte für Patienten weitreichende Folgen haben. Notfallpraxen könnten ihre Türen früher schliessen. Hilfesuchende Patienten müssten dann eigentlich draussen bleiben.
Heute ist das anders. Der City Notfall im Berner Bahnhof behandelt bis um 22 Uhr Patientinnen und Patienten – auch ohne Anmeldung.
Bisher berechnete die hausärztliche Notfallpraxis bei medizinischen Konsultationen nach 19 Uhr einen Aufpreis. Doch das sei nicht zulässig, stellte das Bundesgericht nun klar. Die Berner Praxis muss darum 1,4 Millionen Franken rückwirkend an die Krankenkassen zurückbezahlen.
Das Gericht unterstrich, dass die sogenannte Dringlichkeits-Inkonvenienz-Pauschale von 40 Franken nur verlangt werden darf, wenn eine Konsultation ausserhalb der regulären Sprechstunden stattfindet. Also beispielsweise, wenn eine Hausärztin nach Feierabend nochmals ausrückt, um einen Patienten zu Hause zu besuchen.
Stattdessen ins Spital
Bei Walk-in-Praxen, die Öffnungszeiten bis in den späten Abend hätten, dürften diese Pauschale nicht erheben, so das Gericht. Schliesslich seien die langen Öffnungszeiten Teil des Geschäftsmodells, urteilten die Richter in Lausanne VD. Mit dem Zuschlag hatten die Praxen bisher ihre Angestellten abgegolten, die ausserhalb der normalen Arbeitszeit Patienten behandelten.
Es ist ein Urteil, das für weit mehr Praxen von Bedeutung ist, nicht nur jene im Berner Bahnhof. SP-Nationalrätin Sarah Wyss (35) sagt, sie masse sich nicht an, das Urteil eines Gerichtes zu werten. «Aber ich stelle fest, dass das Urteil weder im Sinne der Kosteneffizienz noch der Versorgungssicherheit ist», sagt sie gegenüber Blick.
Das Bundesgerichtsurteil könnte weitgehende Folgen haben, befürchtet Wyss, die Mitglied der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit ist. Permanence-Zentren, deren Arbeit sich jetzt nicht mehr lohne, würden schliessen, warnt sie. «Das würde aber dazu führen, dass noch mehr Patienten und Patientinnen auf die Spital-Notfallstationen gehen, was tendenziell teurer ist», warnt Wyss.
Kantone sollen aushelfen
Oder die Walk-in-Praxen würden einfach ihre Öffnungszeiten auf dem Papier kürzen, um weiterhin den Zuschlag legal zu erhalten. Beide Optionen seien für Patientinnen und Patienten nicht gut: Permanence-Zentren seien inzwischen eine wichtige Säule der Versorgung, so Wyss. «Denn viele dringliche Arztbesuche können damit günstiger als auf dem klassischen Notfall behandelt werden.»
Besonders bei der Kinder- und Jugendmedizin hätten diesen Praxen eine hohe Bedeutung, weil Eltern dort rasch Hilfe bekämen. Es sei darum Zeit, dass man eine neue Lösung für diese Praxen findet, fordert Wyss. Sie denke etwa an eine Notfall-Light-Pauschale, welche die Kantone tragen könnten, so die Baslerin.
In Bern überdenkt man tatsächlich bereits die Öffnungszeiten. Daniel Galli, Mitglied der Geschäftsleitung City Notfall AG, sagte gegenüber der «Berner Zeitung»: «Das Geschäftsmodell ist in der heutigen Form kaum langfristig weiterzuführen.» Man überlege jetzt, ob man die Öffnungszeiten reduziere oder eine Notfallgebühr einführe. Patientinnen und Patienten müssten in diesem Fall einen Betrag von 20 Franken aus der eigenen Tasche bezahlen, bestätigt Galli gegenüber Blick. Einen Entscheid habe man noch nicht getroffen.
Ähnlich tönt es in Zürich, wo Medbase am Hauptbahnhof eine Permanence betreibt. Auch dort hält man das Urteil für «gravierend», wie Sprecherin Isabel Gherbal mitteilt. Die Behandlungen ausserhalb der normalen Öffnungszeiten seien nun mal mit Mehrkosten verbunden, etwa wegen Personal- und Infrastrukturkosten, arbeitsrechtliche Vorgaben oder Anspruch auf Zulagen. Wenn man dafür keine Vergütungen mehr erhalte, müsse man das Angebot an Randzeiten oder am Wochenende einstellen oder drastisch reduzieren, teilt Medbase mit.