Beim Bahnhof in Moutier ist der Jubel der Projurassier riesig, als die Gemeinde um 18 Uhr das Abstimmungsresultat bekannt gibt. Die bernische Gemeinde will zum Kanton Jura! Das Resultat ist klar mit 2114 Ja zu 1740 Nein. Der Ja-Anteil beträgt damit 55 Prozent.
Die Menschen lagen sich in den Armen, schwenkten Jura-Fahnen und hüpften. Böller und Rauchpetarden hüllten den Bahnhof mit rotem Rauch ein. Überall in der Stadt waren Hupkonzerte zu hören.
Das Ergebnis ist deutlicher als 2017, als nur 137 Stimmen den Unterschied ausmachten. Das damalige Resultat wurde wegen Betrugs für ungültig erklärt.
SVP-Schnegg: «Der 28. März 2021 markiert das Ende der Jura-Frage!»
Die Berner Kantonsregierung respektiert das Resultat: «Wir bedauern den Entscheid, aber wir akzeptieren ihn», sagte SVP-Regierungspräsident Pierre Alain Schnegg (58) an einer Medienkonferenz. «Der 28. März 2021 markiert das Ende der Jura-Frage!»
Er rief zur Zusammenarbeit auf, damit der Übergang gelinge. Die Einwohnerinnen und Einwohner von Moutier müssten die Querelen der Vergangenheit hinter sich lassen. Stattdessen sollten sie ihre Energie gemeinsam auf die Weiterentwicklung ihrer Stadt richten, so der bernjurassische Vertreter in der Berner Kantonsregierung.
Auch FDP-Regierungsrat Philippe Müller würdigte den Entscheid. Es gehe um den Respekt der Demokratie, machte er klar. Und er strich die Vermittlerrolle des Bundes hervor. Nun müssten sich die Vertreter der Kantone Bern und Jura an einen Tisch setzen, um die Modalitäten des Kantonswechsels zu klären.
Wann der Kantonswechsel vollzogen werde, liess sich die Berner Regierung nicht auf die Äste hinaus. Das könne 2026 oder 2027 sein.
Jura will Übertritt per 2026
Die jurassische Regierung geht davon aus, dass der Kantonswechsel von Moutier per 1. Januar 2026 vollzogen werden kann. Mit dem klaren Verdikt der Bevölkerung werde nun ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Jurafrage sei damit gelöst.
Regierungspräsidentin Nathalie Barthoulot zeigte sich vor den Medien in Delsberg «erleichtert und erfreut über den unangreifbaren Entscheid der Stimmberechtigten von Moutier».
Berntreue reagieren gefasst
Das berntreue Lager von Moutier hat gefasst auf die Abstimmungsniederlage reagiert. Steve Léchot, Sprecher des probernischen Komitees «MoutierPlus», bedauerte das Resultat – und beglückwünschte die Sieger. Die Abstimmungssieger müssten aber alle Einwohnerinnen und Einwohner Moutiers in die neue Zukunft im Kanton Jura einbeziehen, so Léchot weiter.
Muriel Käslin, eine andere Sprecherin von «MoutierPlus», sagte, diese Resultat bedeute das Ende der Jurafrage. Moutier habe damit seiner Umgebung Adieu gesagt und werde sich im Kanton Jura zuerst einen Platz schaffen müssen. Der Respekt vor den politischen Gegnern werde der Schlüssel sein für eine erspriessliche Zukunft des Jurastädtchens, so Käslin weiter.
Sie sagte auch, es sei zu hoffen, dass am Sonntag jene abgestimmt hätten, welche tatsächlichen ihren Lebensmittelpunkt in Moutier hätten, also stimmberechtigt seien. Allerdings weise das klare Abstimmungsresultat darauf hin.
Grosse Sicherheitsvorkehrungen
Der Bund und der Kanton Bern hatten die Abstimmung mit Argusaugen verfolgt, was am Sonntag in Moutier geschieht. Die Sicherheitsvorkehrungen waren gross, der Bund überwachte die Abstimmung intensiv. Am Sonntagmorgen wurden die versiegelten Urnen mit den brieflich abgegebenen Stimmen sogar per Polizeieskorte zum Stimmlokal gebracht.
Wer brieflich abstimmen wollte, hatte sein Couvert ans Bundesamt fürs Justiz nach Bern gesandt. Die Auszählung aller Stimmzettel begann um 12 Uhr und konnte auf dem Youtube-Kanal der Gemeinde Moutier mitverfolgt werden.
Kanton Bern schickte Liste an Bund
Im Vorfeld hat man sich vor einem erneut knappen Ergebnis gefürchtet. Auch jetzt ist noch nicht klar, ob die Gemeinde rasch zum Jura wechseln kann, sid doch noch Abstimmungsbeschwerden möglich.
Denn: Bei mehreren Hundert Zuzügern zweifelte die Berner Kantonsregierung an, dass diese sich tatsächlich entschlossen haben, ihren Lebensmittelpunkt für die kommenden Jahre nach Moutier zu verlegen. Sie hat dem Bund eine Liste mit gegen hundert Personen geschickt, bei denen es klare Anzeichen dafür gibt, dass sie sich nur in Moutier registriert haben, um die Abstimmung zu beeinflussen.
Vor den Medien zeigte sich Regierungspräsident Schnegg enttäuscht darüber, dass der Brief in der Öffentlichkeit gelandet ist. Man habe bloss auf Fragen des Bundesamts für Justiz geantwortet, erklärte er. Inhaltlich gehe es nicht um neue Verdachtsfälle. Es habe sich um eine Darstellung von Sachen gehandelt, welche man schon im Voraus diskutiert habe. Das habe man im Brief zusammengefasst. «Wir haben uns klar positioniert, dass die Abstimmung stattfinden muss.»
Auch wenn Abstimmungsbeschwerden möglich sind, dürfte sich angesichts des klaren Resultats das Szenario von 2017 kaum wiederholen. Damals wurde die Abstimmung für ungültig erklärt. Nicht nur, weil sich die Stadtregierung zu wenig neutral verhalten hatte – es war auch zu Abstimmungsbetrug gekommen. Diesmal hingegen waren die Sicherheitsvorkehrungen massiv.
Mehr zur Moutier-Frage
Per 1. Januar 1979 wurde der Kanton Jura gegründet. Der nach dem Zweiten Weltkrieg wiederentbrannte Konflikt zwischen den französischsprachigen Separatisten und dem Kanton Bern sollte damit beendet werden – vorbei ist er aber bis heute nicht.
Dabei geht der Streit weit zurück: Beim Wiener Kongress 1815 gingen Gebiete des Fürstbistums Basel an den Kanton Bern. Seither fühlen sich viele in den bernjurassischen Gebieten von der deutschsprachigen Mehrheit im Kanton unterdrückt.
Wie gross die Wut auf die Berner ist, zeigte sich im Januar 1993: Ein 21-jähriger Separatist wollte im Berner Rathaus eine Bombe legen, die aber zu früh am Rand der Altstadt hochging. Der junge Mann kam dabei ums Leben. Er war Bélier, ein Mitglied der militanten Jugendorganisation der Separatisten. Material für weitere Anschläge wurde gefunden.
Als Folge davon traten der Kanton Jura, Bern und der Bund in einen Dialog, um den Jurakonflikt beizulegen. Doch nach wie vor gibt es Bestrebungen, Gemeinden im bernischen Jura zum Kanton Jura zu holen.
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