Im Rathaus von Moutier BE sitzen zwei Männer bei Fondue und Weisswein beisammen. Soweit, so normal. Aber es ist eine delikate Konstellation. Denn Marcel Winistoerfer ist Pro-Jurassier und Stadtpräsident, Patrick Tobler ist ein Berntreuer und sein Herausforderer bei der Wahl Ende Monat.
Herr Tobler, Ihr Tischnachbar und Konkurrent hatte eine schwierige Woche. Die Abstimmung für Moutiers Kantonswechsel von Bern zum Jura ist ungültig. Hatten Sie Mitleid mit ihm?
Patrick Tobler (SVP): Ja, klar. Weil ich genau weiss, wie sich verlieren anfühlt. Für uns war es vor einem Jahr auch sehr hart.
Und Sie, Herr Winistoerfer, hatten Sie Mitleid mit Herrn Tobler, als er 2017 die Abstimmung verlor?
Marcel Winistoerfer (CVP): Im ersten Moment habe ich nicht an diese Leute gedacht. Nein, ich hatte eine riesige Freude, es war ein Wunder. Dass da eine Stadt den Kanton wechseln will. Etwas aufgeben, um etwas anderes zu erreichen. Man weiss ja nie, ob es richtig ist. Aber man will es mit dem Herzen.
Der Rest der Schweiz fragt sich, was hier eigentlich abgeht.
Winistoerfer: Wir sind als Jurassier geboren, das ist der Kern. Es geht um eine Sache des Herzens, man gehört zu dieser Region. Wir sprechen Französisch, haben den gleichen kulturellen Hintergrund. Im Kanton Bern ist man verloren. Wir kommen nicht so gut aus mit den anderen vom Berner Jura. Aber im Jura hätten wir etwas zu sagen, gerade auch politisch.
Tobler: Für mich stimmt das Gegenteil. Ich lebe gut mit den Leuten aus den Gemeinden des Berner Juras, bis nach Biel hinunter. Ich fühle mich mit den Menschen im Kanton Bern verbunden. Für mich ist das eine Herzensangelegenheit. Dazu kommen die politischen Gründe. Bern ist ein grosser, wichtiger Kanton, der im Notfall finanziell helfen kann, nicht wie der kleine Jura.
Aber den meisten Leuten im Kanton Bern ist es völlig egal, ob Moutier bleibt oder geht.
Tobler: Ich kann das verstehen. Es gibt aber auch Jurassier, denen es egal ist, ob Moutier kommt oder nicht. Die sind dieses Wochenende irgendwo am Sankt-Martins-Fest und nicht hier bei der Jura-Frage.
Winistoerfer: Wir werden sehen.
Eigentlich schien vergangenes Jahr alles klar, die Jura-Frage endgültig vom Tisch. Mit einer hauchdünnen Mehrheit sagte Moutier Ja zum Kantonswechsel von Bern zum Jura. Diese Woche erfolgte der Schock für die Pro-Jurassier: Die Regierungsstatthalterin annullierte das Ergebnis. Unter anderem wegen unzulässiger Propaganda durch Behörden und Abstimmungstourismus. Hunderte Separatisten demonstrierten am Freitagabend. Es blieb friedlich, aber die Stadt ist gespalten wie lange nicht mehr.
Eigentlich schien vergangenes Jahr alles klar, die Jura-Frage endgültig vom Tisch. Mit einer hauchdünnen Mehrheit sagte Moutier Ja zum Kantonswechsel von Bern zum Jura. Diese Woche erfolgte der Schock für die Pro-Jurassier: Die Regierungsstatthalterin annullierte das Ergebnis. Unter anderem wegen unzulässiger Propaganda durch Behörden und Abstimmungstourismus. Hunderte Separatisten demonstrierten am Freitagabend. Es blieb friedlich, aber die Stadt ist gespalten wie lange nicht mehr.
Ist Moutier eine geteilte Stadt?
Winistoerfer: Politisch vielleicht schon. Aber doch nicht auf der Strasse. Die Leute kommen gut miteinander aus. Es wird immer wieder gesagt, dass man in Moutier nicht leben kann, dass man Angst haben muss.
Wer sagt das?
Winistoerfer: Das wird von den Berntreuen verbreitet. Damit bin ich nicht einverstanden, das bringt Moutier in eine schwierige Lage.
Tobler: Es kommt doch immer auf die Leute an. Ich war diese Woche mit Tele Bielingue unterwegs. In einem Restaurant sassen ein paar Autonomisten. Die haben Sprüche gerissen. So weit alles korrekt. Dann kam ein Auto angefahren und die Lage eskalierte. Einer aus dem Wagen schrie Parolen, ein anderer begann zu fluchen. Innert zwei Tagen habe ich dreimal erlebt, dass mich Leute nicht mehr grüssten oder sich von mir abgewendet haben.
Winistoerfer: Es ist eine Minderheit, die unsere Stadt als geteilt betrachtet. Bei den Berntreuen bin ich mir fast sicher, dass ein Grossteil mit dem Entscheid des Kantonswechsels hätte leben können. Aber einige wenige konnten es einfach nicht akzeptieren.
Ist es je nach Familie schon klar, zu welchem Lager man gehört?
Winistoerfer: Das ist ja das Lächerliche an dem Vorwurf der Statthalterin gegen mich – ich hätte Propaganda betrieben. Das ist falsch. In Moutier kann man so keine Stimme ergattern, weil jeder weiss, welche Familie wo steht, ob Berntreue oder Autonomisten.
Aber die Lehrer haben Sie auch beeinflusst.
Winistoerfer: Die Vorwürfe weise ich zurück. Der Entscheid der Statthalterin war politisch. Die Lehrer stimmten gar nicht ab. Ich habe nur Gegenargumente geliefert. Der Bundespräsident hat übrigens jüngst das Gleiche gemacht. Das ist die Arbeit der Regierung.
Tobler: Aber er hat nicht Sachen versprochen, die er nicht versprechen kann. Das ist der Unterschied.
Winistoerfer: Aber ich auch nicht.
Tobler: Doch.
Winistoerfer: Nein. Ich habe nur Argumente gegeben.
Sogar international wurde über Moutier berichtet. Ohne den Konflikt wäre die Gegend in der Bedeutungslosigkeit angekommen.
Winistoerfer: Das ist so gesagt ein bisschen einfach. Wir haben hier Industrie, die weltweit bekannt ist.
Tobler: Aber es ist wirklich schade, dass man bekannt wird wegen einer Frage, die seit 40 Jahren eigentlich abgeschlossen sein sollte.
Erschöpft Sie das Thema nicht langsam?
Winistoerfer: Doch, aber die Berner hatten die Gelegenheit, die Sache zu Ende zu bringen. Jetzt geht es wieder von vorne los.
Tobler: Seit 40 Jahren tun die Autonomisten alles, damit die Jura-Frage noch lebt.
Winistoerfer: Ich habe gar nichts gegen die Deutschschweizer im Kanton Bern. Die Probleme haben wir hier, in den Gemeinden mit den französischsprechenden Bernern.
Tobler: Und wir haben das gleiche Problem mit den Autonomisten in Moutier.
Was für einen Rat geben Sie Ihrem Konkurrenten?
Tobler: Er könnte die Situation so lassen, wie sie ist. Ich rate ihm, mit der Jura-Frage abzuschliessen.
Winistoerfer: Natürlich nicht. Die Leute haben gewählt und sie wollen in den Kanton Jura wechseln. Sie müssen das annehmen, das ist mein Rat an Sie. Wenn das nicht angenommen wird, existiert die Demokratie nicht mehr. Wir können sehr gut im Kanton Jura leben, man kann atmen, man kann arbeiten, in die Schule gehen. Man kann alles machen.
Tobler: Die Abstimmung muss einfach richtig ablaufen. Punkt.
Winistoerfer: Sie ist ganz richtig abgelaufen.
Tobler: Eben nicht.
Winistoerfer: Das ist eine Farce.
Tobler: Aber die Stadt hat sowieso ganz andere Probleme heutzutage.
Winistoerfer: Ja, auch weil dieser Vorwurf immer wieder kommt – etwas habe nicht gestimmt, etwas sei falsch gelaufen. Das wird in der ganzen Schweiz verbreitet. Und das stimmt nicht.
Sie grüssen sich aber auf der Strasse noch?
Winistoerfer: Natürlich.
Tobler. Klar.
Haben Sie schon einmal zusammen Fondue gegessen oder ein Glas Wein getrunken?
Tobler: Wein schon: gestern Abend, vorgestern Abend, heute Abend.
Winistoerfer: Sie müssen wissen, diese Woche ist hier Gewerbeausstellung.
Aber so am Tisch sitzen, das ist neu.
Winistoerfer: Ja, ziemlich. Aber ich war auch schon in Toblers Elternhaus zu Gast. Wir kommen gut miteinander aus. Aber über den Jura zu diskutieren, das ist sinnlos.
Tobler: Es gibt in Moutier zum Glück nur wenige Leute, die einander wegen der Jura-Frage nicht mehr grüssen können.
Wie ich sehe, hat Ihnen der Wein gemundet.
Winistoerfer: Epesses ist einer der besten Schweizer Weine. Die Waadtländer machen das gut.
Tobler: Da stimme ich Ihnen sogar zu.