Klärt sich morgen endlich die Moutier-Frage?
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Entscheid wankt bereits:Klärt sich morgen endlich die Moutier-Frage?

Noch vor der Volksabstimmung
Moutier-Entscheid wankt bereits

Die Berner Kantonsregierung hat dem Bund eine vertrauliche Liste mit fast 100 Namen zugestellt. Alle darauf Verzeichneten sollen zu Unrecht im Stimmregister Moutiers stehen. Bewahrheitet sich das, könnte der Volksentscheid vom Sonntag erneut gekippt werden müssen.
Publiziert: 27.03.2021 um 01:35 Uhr
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Aktualisiert: 29.03.2021 um 15:28 Uhr
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Das Stätdtchen Moutier entscheidet am Sonntag zwischen dem Verbleib beim Kanton Bern und dem Wechsel zum Kanton Jura.
Foto: Keystone
Pascal Tischhauser

Die Nerven liegen blank in Bern. Die Abstimmung über den Wechsel des Städtchens Moutier vom Kanton Bern zum Kanton Jura droht erneut zu scheitern. Und dies, obwohl die Moutier-Abstimmung von morgen Sonntag die am besten gesicherte Abstimmung in der Schweizer Geschichte ist. So sind die Stimmzettel mit Wasserzeichen versehen, das Bundesamt für Justiz (BJ) beaufsichtigt den gesamten Urnengang und die Auszählung der Stimmzettel. Selbst Wahlbeobachter werden vor Ort sein.

Denn es darf sich auf keinen Fall wiederholen, was am 18. Juni 2017 passiert ist: Mit nur 137 Stimmen Differenz hatten Moutiers Bürgerinnen und Bürger entschieden, Bern den Rücken zu kehren und künftig zum Jura zu gehören. Doch die Freude der Projurassier war von kurzer Dauer: Die Abstimmung über den Kantonswechsel wurde für ungültig erklärt. Nicht nur, weil sich die Stadtregierung zu wenig neutral verhalten hatte – es war auch zu Abstimmungsbetrug gekommen.

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Hunderte Fragezeichen

Die Berner Regierung hat sich deshalb zur Überwachung des Stimmregisters von Moutier entschlossen. «Ziel und Zweck dieser Kontrolle ist ein einwandfreies Stimmregister sowie das Ausräumen jeglicher Zweifel in Bezug auf fiktive Wohnsitznahmen und Abstimmungstourismus», schrieb er vor einem Jahr. Und der Bund hilft mit dem BJ als neutrale Stelle mit, die Korrektheit der Abstimmung zu garantieren. So sollte ausgeschlossen werden, dass neuerlich passiert, was sich im Juni vor vier Jahren abgespielt hat.

Doch nun zeigt sich: Es wiederholt sich doch! Bei mehreren Hundert Zuzügern zweifelt die Berner Kantonsregierung an, dass diese sich tatsächlich entschlossen haben, ihren Lebensmittelpunkt für die kommenden Jahre nach Moutier zu verlegen. Sie fragt sich, ob sie das bloss für die Abstimmung tun. Oder gar nicht in Moutier wohnen, sondern dies nur bei den Behörden angaben.

Bund und Kanton bestätigen das Schreiben

BLICK hat Kenntnis von einem vertraulichen Schreiben, das der Berner Regierungsrat dem Bund zugestellt hat. Es enthält eine Liste mit gegen hundert Personen, bei denen es klare Anzeichen dafür gibt, dass sie sich nur in Moutier registriert haben, um die Abstimmung zu beeinflussen. Die Berner Staatskanzlei bestätigt die Existenz des Schreibens auf Anfrage: Es gehe hier um ein Antwortschreiben des Kantons auf eine Anfrage des Departements, so Regierungssprecher Christian Kräuchi. Gemeint ist das Justizdepartement von Karin Keller-Sutter (57), zu dem das BJ gehört. Es sei aber am Bund, Auskunft darüber zu erteilen, so Kräuchi weiter.

Sie fühlen sich unterdrückt

Per 1. Januar 1979 wurde der Kanton Jura gegründet. Der nach dem Zweiten Weltkrieg wiederentbrannte Konflikt zwischen den französischsprachigen Separatisten und dem Kanton Bern sollte damit beendet werden – vorbei ist er aber bis heute nicht.

Dabei geht der Streit weit zurück: Beim Wiener Kongress 1815 gingen Gebiete des Fürstbistums Basel an den Kanton Bern. Seither fühlen sich viele in den bernjurassischen Gebieten von der deutschsprachigen Mehrheit im Kanton unterdrückt.

Wie gross die Wut auf die Berner ist, zeigte sich im Januar 1993: Ein 21-jähriger Separatist wollte im Berner Rathaus eine Bombe legen, die aber zu früh am Rand der Altstadt hochging. Der junge Mann kam dabei ums Leben. Er war Bélier, ein Mitglied der militanten Jugendorganisation der Separatisten. Material für weitere Anschläge wurde gefunden.

Als Folge davon traten der Kanton Jura, Bern und der Bund in einen Dialog, um den Jurakonflikt beizulegen. Doch nach wie vor gibt es Bestrebungen, Gemeinden im bernischen Jura zum Kanton Jura zu holen.

Per 1. Januar 1979 wurde der Kanton Jura gegründet. Der nach dem Zweiten Weltkrieg wiederentbrannte Konflikt zwischen den französischsprachigen Separatisten und dem Kanton Bern sollte damit beendet werden – vorbei ist er aber bis heute nicht.

Dabei geht der Streit weit zurück: Beim Wiener Kongress 1815 gingen Gebiete des Fürstbistums Basel an den Kanton Bern. Seither fühlen sich viele in den bernjurassischen Gebieten von der deutschsprachigen Mehrheit im Kanton unterdrückt.

Wie gross die Wut auf die Berner ist, zeigte sich im Januar 1993: Ein 21-jähriger Separatist wollte im Berner Rathaus eine Bombe legen, die aber zu früh am Rand der Altstadt hochging. Der junge Mann kam dabei ums Leben. Er war Bélier, ein Mitglied der militanten Jugendorganisation der Separatisten. Material für weitere Anschläge wurde gefunden.

Als Folge davon traten der Kanton Jura, Bern und der Bund in einen Dialog, um den Jurakonflikt beizulegen. Doch nach wie vor gibt es Bestrebungen, Gemeinden im bernischen Jura zum Kanton Jura zu holen.

BJ-Informationschefin Ingrid Ryser zeigt sich erstaunt, dass Bern auf den Bund verweise. «Immerhin hat er das besagte Schreiben als ‹vertraulich› klassifiziert. Nachdem der Kanton Bern das Schreiben jedoch bestätigt hat, kann ich das auch tun», schreibt sie. Da aber durch die Auskunft über den Inhalt des Briefes die Beziehung zwischen dem Bund und den Kantonen oder zwischen Kantonen beeinträchtigt werden könne, dürfe sie nichts zum Inhalt sagen.

Arbeitslose mit Geld gelockt?

Laut BLICK-Informationen handelt es sich bei den Verdachtsfällen um Personen aus verschiedenen Westschweizer Kantonen. Etwa den Fall eines 28-Jährigen, der plötzlich wieder bei seinen Eltern in Moutier einzieht. Weil der Mann aber nach wie vor eine Arbeitsstelle in einem anderen Kanton habe, frage man sich, warum er plötzlich den viel weiteren Arbeitsweg auf sich nehmen will.

Es sollen aber auch Arbeitslose und hochaltrige Rentner nach Moutier gezogen sein. Die Senioren könnten an ihrem Lebensabend mithelfen wollen, dass ihr langgehegter Wunsch in Erfüllung geht und Moutier zum Jura kommt. Doch die Stellensuchenden werfen eine heikle Frage auf: Gibt es einen Financier, der Personen mit Geld zum Umzug und zur Stimmabgabe für den Kantonswechsel bewegt? Dieser Frage werden die Behörden nachgehen müssen, sollten wieder ähnlich wenige Stimmen wie 2017 den Ausschlag für den Wechsel zum Jura geben. Und wenn sich belegen lässt, dass Dutzende Personen auf der Moutier-Liste zu Unrecht im Stimmregister verzeichnet sind, ist die Gültigkeit des Volksentscheids erneut höchst fraglich.

Einer hat etwas gelernt

Mit den BLICK-Recherchen konfrontiert, teilt Moutiers Stadtpräsident Marcel Winistoerfer (63) mit, er äussere sich nicht zu Fragen des Stimmregisters. Zumindest diesmal will sich Winistoerfer offenbar nicht mangelnde Neutralität vorwerfen lassen.

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