Bis Ende August 2015 war das Staatssekretariat für Migration (SEM) nicht auf das Asylgesuch eines Türken eingetreten, mit der Begründung, dass Bulgarien für den Fall zuständig sei. Der Kanton Neuenburg, dem der Asylsuchende Mitte Juni 2016 anvertraut worden war, organisierte am Ende des Monats einen Flug nach Sofia.
Zweimal mussten die Rückführungsflüge annulliert werden, weil der Betroffene zunächst verschwunden war und dann zwei Selbstmordversuche unternommen hatte. Da die Ärzte sich gegen eine Rückführung aussprachen, entliess der Kanton den Mann aus der Administrativhaft.
Bundesgericht stützt Haltung von SEM
Da das SEM feststellte, dass die Wegweisung immer noch nicht vollzogen worden war, leitete es Ende Oktober 2017 ein nationales Verfahren zur Behandlung des Asylgesuchs ein. In dessen Folge wurde der Flüchtlingsstatus anerkannt.
Das SEM teilte Neuenburg mit, dass die Rückerstattung der Kosten im Zusammenhang mit der Betreuung dieser Person nach Ablauf der Frist für die Überstellung nach Bulgarien, asam 27. Oktober 2017, ausgesetzt werde.
In dem am Mittwoch veröffentlichten Urteil weist das Bundesgericht die Beschwerde des Kanton Neuenburgs gegen den SEM-Entscheid ab. Die Kosten für die Betreuung des türkischen Asylsuchenden beliefen sich auf 51'653 Franken.
In anderem Fall erhielt Neuenburg Recht
Wie das SEM kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Neuenburger Behörden nicht alles in ihrer Macht Stehende unternommen hatten, um die Wegweisung bis Ende Oktober 2017 zu vollziehen.
Selbst wenn medizinische Gründe zur Annullierung des zweiten Fluges geführt hätten, hätte sich Neuenburg regelmässig nach dem Zustand des Gesuchstellers erkundigen müssen. Der Staatsrat habe nicht davon ausgehen können, dass die Ärzte sich ohnehin geweigert hätten, das Flugtauglichkeitsformular zu unterzeichnen, wie er in seiner Beschwerde geltend gemacht habe.
In einem anderen Fall einer nicht vollzogenen Abschiebung hatte das Bundesgericht Neuenburg gegenüber dem SEM kürzlich Recht gegeben. Dabei ging es um einen Eritreer, dessen Frau schwanger war.
Der Kanton hatte darauf verzichtet, ihn nach Italien zurückzubringen. Kurz nach Ablauf der Dublin-Überstellungsfrist war ein kleines Mädchen geboren worden. Die Schweiz musste daher auf das Asylverfahren eintreten und gewährte den Betroffenen den Flüchtlingsstatus. (Urteil 2C_692/2022 vom 22. Februar 2024). (SDA)