Neue EU-Verordnung bedroht Kakao-Zulieferung
Das Schoggiland Schweiz ist in Gefahr

Der Schweizer Schokolade droht der Ausschluss aus dem europäischen Markt. Grund dafür ist eine neue EU-Regelung. Die Branche macht Druck, damit der Bund nun rasch handelt.
Publiziert: 09.07.2023 um 20:11 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2023 um 20:21 Uhr
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Das Schlaraffenland Schweiz gerät unter Druck.
Foto: PIUS KOLLER
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Robin BäniRedaktor

Sie ist das braune Gold der Schweiz: die Schokolade. Drei von vier Tafeln, die hier produziert werden, werden im Ausland verspeist. 150'000 Tonnen waren es vergangenes Jahr. Doch das Schoggiparadies Schweiz steht unter Druck. Urs Furrer (50), Präsident des Verbands der Schweizer Schokoladenproduzenten Chocosuisse, sagt: «Im Extremfall ist der EU-Marktzugang in Gefahr.»

Die Bedrohung hat einen sperrigen Namen, aber weitreichende Folgen. Am 29. Juni ist die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) in Kraft getreten. Wer künftig Schokolade auf den europäischen Markt bringt, muss den gesamten Verarbeitungsprozess zurückverfolgen, bis hin zur Kakaofarm. Die Unternehmen müssen sicherstellen, dass bei der Produktion keine Wälder gerodet oder geschädigt wurden. Um das zu überprüfen, setzen sie auf Geolokalisierung. Dabei werden die Standorte von Rohstoffen wie Kakao in Echtzeit übermittelt. Bloss gibt es da ein Problem. Furrer sagt: «Ein solches flächendeckendes Überwachungssystem gibt es noch gar nicht.»

EU steht in der Kritik

Der Direktor der Schweizer Schokoladenfabrikanten steht in engem Austausch mit den zuständigen EU-Stellen. «Vieles ist noch unklar.» In Deutschland haben sich ein Dutzend Wirtschaftsverbände an die Politik gerichtet. In einer gemeinsamen Pressemitteilung schreiben sie: «Das EU-Gesetz gegen Entwaldung hat zu viele offene Baustellen.» Es mangle an Rechtssicherheit, da Warenströme vollkommen neu organisiert werden müssten. Und die Verantwortlichen in Brüssel hätten es unterlassen, klare Umsetzungsrichtlinien vorzugeben.

Die Schweizer Produzenten müssen sich an die neue Verordnung anpassen, wenn sie ungehindert Schokolade in die EU exportieren wollen. Denn die EU plant, alle Länder je nach Gesetzeslage von gut bis schlecht einzustufen. Je besser die Note ausfällt, desto offener bleibt der Markt für die Zulieferer. Will die Schweiz gut eingestuft werden, muss sie eine ähnliche Regelung wie die EU einführen. Tut sie das nicht, kommt ein enormer Aufwand bei der Schokoladen-Deklarierung am Zoll hinzu.

Furrer sagt: «Schlimmstenfalls schliesst sich der EU-Markt für Schweizer Schokolade – und das wäre fatal. Denn die EU ist unser grösster Exportmarkt.» Furrer fordert, dass so rasch wie möglich Klarheit geschaffen wird.

Nestlé stellt Forderungen an den Bundesrat

Dasselbe verlangt Nestlé. Der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern produziert einen Grossteil seiner Schokolade in der Schweiz. Daniel Imhof (42), Landwirtschaftschef bei Nestlé, sagt: «Jetzt muss der Bundesrat schnellstmöglich die Gesetzgebung an die EU anpassen.» Nestlé habe das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bereits im Februar darauf aufmerksam gemacht. Doch das Bafu habe damals gemeint, dafür sei es noch zu früh.

Aus Sicht der Wirtschaftsvertreter drängt die Zeit. Die Unternehmen und Länder haben nun 18 Monate Zeit, die Verordnung umzusetzen – und das bringt die Schokoladenhersteller ins Schwitzen. Denn in der Vergangenheit dauerten solche Gesetzesanpassungen in der Schweiz lange. 2013 führte die EU eine Holzhandelsverordnung ein, wodurch Schweizer Holzexporteure einen Wettbewerbsnachteil erlitten. Die Wirtschaft übte Druck auf die Politik aus, doch erst 2022 beschloss der Bundesrat eine ähnliche Regelung, die den Nachteil beseitigte. Nun befürchtet die Schokoladen-Branche, dass die Regierung erneut zuwarten könnte.

WWF geht neue Regelung nicht weit genug

Umweltschutzorganisationen wie der WWF haben jahrelang für ein griffiges Gesetz zum Schutz der Wälder gekämpft. Neben Kakao und Schokolade betrifft die nun beschlossene Entwaldungsverordnung der EU auch die Rinderzucht, Kaffee, Palmöl, Soja, Kautschuk und Holz. Der WWF feiert es als Erfolg, dass die EU nun Massnahmen ergreift. Aber zugleich kritisiert er, die Regelung habe ein Schlupfloch. Denn: Sie berücksichtigt nur Wälder. Dabei werden die meisten umweltschädlichen Rohstoffe in verschiedenen Ökosystemen produziert. So befindet sich etwa ein grosses Anbaugebiet für Soja in der brasilianischen Savanne, in der fünf Prozent aller weltweiten Tierarten heimisch sind. Dieses Ökosystem sei bereits zu 50 Prozent zerstört und werde durch das neue EU-Gesetz nicht geschützt. Doch die EU-Kommission hat sich verpflichtet, den Text in zwei Jahren zu überarbeiten und weitere Ökosysteme einzubeziehen.

Umweltschutzorganisationen wie der WWF haben jahrelang für ein griffiges Gesetz zum Schutz der Wälder gekämpft. Neben Kakao und Schokolade betrifft die nun beschlossene Entwaldungsverordnung der EU auch die Rinderzucht, Kaffee, Palmöl, Soja, Kautschuk und Holz. Der WWF feiert es als Erfolg, dass die EU nun Massnahmen ergreift. Aber zugleich kritisiert er, die Regelung habe ein Schlupfloch. Denn: Sie berücksichtigt nur Wälder. Dabei werden die meisten umweltschädlichen Rohstoffe in verschiedenen Ökosystemen produziert. So befindet sich etwa ein grosses Anbaugebiet für Soja in der brasilianischen Savanne, in der fünf Prozent aller weltweiten Tierarten heimisch sind. Dieses Ökosystem sei bereits zu 50 Prozent zerstört und werde durch das neue EU-Gesetz nicht geschützt. Doch die EU-Kommission hat sich verpflichtet, den Text in zwei Jahren zu überarbeiten und weitere Ökosysteme einzubeziehen.

Zwei Erzfeinde tun sich zusammen

Ähnliche Töne schlägt der WWF an. Für einmal stehen die Umweltschutzorganisation und Nestlé auf derselben Seite, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Romain Deveze (38), Rohstoffexperte beim WWF, sagt: «Wir können es uns schlicht nicht leisten, weitere zehn Jahre abzuwarten.» Die Abholzung sei für ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. «Die Schweiz muss ein starkes Zeichen senden, dass auch wir uns um das Klima kümmern», sagt Deveze.

In der Schweizer Politik beginnen die Mühlen allmählich zu mahlen. FDP-Nationalrätin Petra Gössi (47) reichte Mitte Juni eine Interpellation ein. Sie will vom Bundesrat wissen, welche Schritte er unternimmt, damit es nicht zu «Handelsstörungen» kommt. Politikerinnen und Politiker aus allen Parteien haben den Vorstoss unterschrieben. Jetzt entscheidet der Bundesrat über das Schicksal des Schoggiparadieses Schweiz.

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