Der zweite Angriff auf eine Mutterkuh hat das Fass zum Überlaufen gebracht: Der Bündner Regierungsrat hat am Freitag zwei Jungwölfe aus dem Bündner Problemrudel zum Abschuss freigegeben. Am Mittwoch hatte das Rudel am Schamserberg eine Mutterkuh schwer verletzt.
Die Kuh musste notgeschlachtet werden. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) unterstützt diese Massnahme. Das Ziel des Kantons bleibt die Entfernung des gesamten Beverin-Rudels und insbesondere der Abschuss des besonders auffälligen Vatertiers im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, wie der Kanton Graubünden am Freitag mitteilte.
Die gesetzlich vorgegebene Schadensschwelle sei bereits vor den beiden jüngsten Vorfällen erreicht worden. Nun gibt es laut Mitteilung Hinweise darauf, dass das Beverin-Wolfsrudel Nachwuchs erhalten hat. Der Abschuss der zwei Jungtiere sei eine dringliche Sofortmassnahme zur Vergrämung der Wölfe und gegen Schäden zulasten von Landwirtschaft, Tourismus und der Bevölkerung.
Auch Naturschutzorganisationen sprechen sich inzwischen für einen Abschuss des Leitrüden aus. Das Rudel trete als besonders schadenstiftend in Erscheinung, schreiben die Gruppe Wolf Schweiz, Pro Natura und der WWF in einer gemeinsamen Medienmitteilung. Das Beverin-Rudel greife regelmässig geschützte Schafherden an, riss 2020 einen Esel und jetzt zwei Mutterkühe. Es handle sich somit um eine Ausnahmesituation, die besondere Massnahmen erfordere.
Sara Wehrli, Verantwortliche für grosse Beutegreifer und Jagdpolitik bei Pro Natura, forderte bereits am Donnerstagabend auf Twitter: «Der Leitrüde M92 muss sofort erlegt werden. Dies auch im Interesse der Akzeptanz des Wolfes in der Schweiz. Das Bundesamt für Umwelt ist nun gefordert, einen mutigen Entscheid zu treffen.»
Kehrtwende von Pro Natura
Bis vor kurzem hatte Pro Natura das Beverin-Rudel noch vehement verteidigt und dabei auf den massgeblichen Nutzen des Wolfes für Flora und Fauna in den Schweizer Wäldern hingewiesen. Der Wolf schütze die Tiere und die Natur, erklärte Toni Kappeler, Präsident von Pro Natura Thurgau, gegenüber dem Fernsehsender TVO. So werde die Gesundheit des Bergwalds durch den Wolf gefördert, da er Hirsche reisse, die den Wald verfressen. Und auch der Herdenschutz trage zum Tierwohl bei.
Nun folgt also die Kehrtwende der Organisation: «Weil der Leitrüde M92 ein problematisches Verhalten an den Tag legt, ist ein Abschuss nun auch aus der Sicht von Pro Natura akzeptabel», so Urs Leugger-Eggimann, Geschäftsleiter von Pro Natura gegenüber Blick.
«Nicht tolerierbares Verhalten»
«Insbesondere ein wiederholter Riss von Grossvieh ist ein nicht tolerierbares Verhalten. Zudem ist aufgrund des Leitwolfes zu erwarten, dass sich das Verhalten auf andere Tiere des Rudels überträgt. Deshalb steht nun auch Pro Natura hinter einem Abschuss.»
Für Pro Natura sei ein ausgewogenes Gesamtpaket wichtig, das einerseits eine raschere Regulierung von Wolfbeständen bei wahrscheinlichen, zukünftigen, wesentlichen Schäden vorsehe. «Andererseits dürfen die regionalen Wolfbestände nicht in ihrer Existenz bedroht werden. Und der Herdenschutz bleibt für den Schutz gegen Wolfsrisse wie erwähnt zentral.» (jfe/SDA)