Entweder ist M92 Italiener oder Franzose. Klar ist, dass er mindestens ein Jahr alt war, als er unsere Landesgrenze überschritt. Das war 2018. Wichtig ist etwas anderes: In der Schweiz traf er F37. Die Wölfin war schon ein paar Monate länger hier. M92 mochte sie. F37 ihn wohl auch. Beide hatten Hunger. 59 Schafe riss M92 in ihren ersten vier gemeinsamen Monaten. Bei den Bündnern macht er sich damit unbeliebt. F37 imponierte es. Im Mai hat das Wolfspaar zum ersten Mal Nachwuchs. Neun Welpen.
M92 ist nun Vater und hat Sorgen: fremde Wölfe. Dem will er vorbeugen und erleichtert sich darum ständig und ganz strategisch. Urin und Kot sind seine Art zu sagen: Der Piz Beverin ist mein Revier. Wenn M92 nicht pinkelt, ist er mit damit beschäftigt, Nahrung zu beschaffen. Am liebsten frisst er Hirsche und Rehe. Selten Früchte. Manchmal Gras – für die Verdauung. Immer öfters Schafe. 32 ungeschützte Tiere reisst er 2019. Im gleichen Sommer überwindet er dreimal einen Elektrozaun und tötet 16 Ziegen.
Der Angriff auf den Esel
Es wird Winter. M92 entfernt sich mit F37 vom Rudel. Die Leitwölfe wollen allein sein. Im Mai ist wieder Nachwuchs da. M92 wird immer selbstbewusster. Auch Schafe aus geschützten Herden zu reissen, fällt ihm nun leicht. Er sucht neue Herausforderungen: zuerst ein Kalb, im September reisst er einen Esel. Damit überschreitet M92 die rote Linie: Noch nie hat ein Wolf in der Schweiz einen Esel gerissen. M92 dieses unauffällig aussehende Tier, etwa 40 Kilogramm schwer, das nachts bestens sieht und auf seinen täglichen Streifzügen bis zu 60 Kilometer zurücklegt, hat seither einen neuen Namen: Problemwolf.
Auch M92 hat Probleme: Einzelne Jungwölfe wurden geschossen, einer von einem Auto, einer von einem Zug überfahren. Doch der Winter kam und im Mai waren sieben neue Welpen da. Die Menschen nennen M92 nun dreist. Sein Verhalten: unerwünscht. Er ahnt nichts und greift im Juli wieder Esel an. Berühmt wird M92, als Wölfe aus seinem Rudel eine Hirtin anknurren und bei der zweiten Begegnung ihren Hund angreifen. Kurz darauf nähern sich M92s Wölfe Wanderern. Ob er selbst dabei war, ist unklar. Dem Kanton Graubünden reichts ohnehin. Er will das Raubtier tot sehen. Der Bund aber erlaubt den Abschuss des Leitwolfs nicht. Laut Jagdverordnung müsste M92 dafür nachgewiesen werden können, dass er während zweier Jahre für zwei Drittel der Risse verantwortlich ist. Das aber konnte selbst dem Problemwolf noch niemand nachweisen.
Aus Wolfsperspektive übrigens lebt M92 ein erfolgreiches Leben: Er hat ein Rudel gegründet, viele Nachkommen gezeugt und ist extrem lernfähig. Aus Sicht der Bündner Bauern und Hirten bleibt er ein Problem.
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