SonntagsBlick auf Pirsch am Beverin
«Natürlich habe ich Angst vor dem Wolf!»

Das Beverin-Wolfsrudel testet seine Grenzen aus, es scheint häufiger Nutztiere zu reissen als andere. Nach brenzligen Begegnungen zwischen Mensch und Wolf möchte der Kanton Graubünden nun handeln.
Publiziert: 05.09.2021 um 21:27 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2023 um 08:53 Uhr
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Der Wolf kommt der Bevölkerung rund um den Beverin-Naturpark ziemlich nahe.
Foto: STEFAN BOHRER
Evgenia Kostoglacis

Das Beverin-Wolfsrudel fällt auf, und zwar negativ. «2019 bildete sich das Rudel. Seither hat es immer wieder Nutztiere gerissen. Neben zahlreichen Schafen wurden auch dreimal Esel angegriffen, einer davon wurde sogar getötet», erklärt David Gerke (36), Präsident der Gruppe Wolf Schweiz. Neuerdings nähern sich die Tiere sogar Menschen. Vergangene Woche verfolgten sie eine Touristengruppe.Zuvor hatte eine Hirtin von zwei bedrohlichen Begegnungen berichtet, bei denen sich die Wölfe nur mit lauter Stimme vertreiben liessen. Es herrscht Unruhe im Kanton Graubünden.

Gerade in der Landwirtschaft sei die Verunsicherung gross, berichtet der Verein Naturpark Beverin. Es ist vor allem das Vatertier, das dem Naturpark Sorgen bereitet. «Geben Problemwölfe ihr atypisches Wolfsverhalten wie den Verlust der Scheu vor dem Menschen oder das Reissen von grossen Nutztieren wie Rindern oder Eseln an ihre Nachkommen weiter, macht es das Zusammenleben von Mensch und Wolf zur enormen Herausforderung.»

Das sieht Moritz Koller (33) etwas anders. SonntagsBlick trifft den Zürcher am Freitag beim Wandern in der Nähe des Schamserberges an. «Ich finde es ehrlich gesagt sehr gut, dass es Wölfe in der Schweiz gibt», erklärt Koller. «Die gehören doch auch irgendwie hierher. Solange sie also keine Menschen angreifen, soll man sie schlicht und einfach in Ruhe lassen.»

Stadt und Land sind anderer Meinung

Wie schon bei der Abstimmung über das neue Jagdgesetz vor einem Jahr zeigt sich auch jetzt ein tiefer Graben zwischen Stadt und Land. Eva Bondadurer (57) wohnt in der Berggemeinde Zillis-Reischen. Dort wurde am frühen Freitagmorgen ein Wolf gesichtet. Bondadurer sagt: «Ich verstehe, dass die Unterländer finden, der Wolf sei cool und schön. Aber kehren wir das Ganze doch einmal um: Wenn wir jetzt zwanzig Krokodile in den Zürichsee werfen und verlangen, dass sie am Leben bleiben, haben wir die gleiche Situation wie beim Wolf.»

Es ist unschwer zu erkennen: Eva Bondadurer ist gereizt. «Was für eine Frage», bricht es aus ihr heraus. «Natürlich habe ich Angst!» Sie fürchte sich, allein mit dem Hund spazieren zu gehen, weil die Wölfe sich mittlerweile schon so nahe an den Menschen trauten. «In der Nacht hört man die Wölfe heulen und die Nutztiere um ihr Leben schreien.» Oft genug finde man am folgenden Tag dann deren Überreste.

Bondadurer formuliert es so: «Was übrig bleibt, sind brutal gerissenes Vieh, freiliegende Gedärme und sogar Embryonen.»

Ein Gesuch zum Abschuss wurde eingereicht

Adrian Arquint (50) leitet das Bündner Amt für Jagd und Fischerei. Er ist sich der angespannten Lage bewusst. «Es wäre nicht gut, wenn sich die Wölfe zu stark an den Menschen gewöhnen. Man darf nicht vergessen, dass es doch Wildtiere sind, die uns in einer dicht besiedelten und stark genutzten Kulturlandschaft begegnen.»

Aus diesem Grund soll die Entwicklung des Beverin-Wolfsrudels zukünftig genau beobachtet werden. Ein Gesuch, den Vaterwolf und mindestens vier der Jungtiere abschiessen zu dürfen, hat der Kanton Graubünden trotzdem schon nach Bern geschickt.

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