Zwei Wochen vor der Frontex-Abstimmung in der Schweiz kommt es zum Knall bei der EU-Grenzschutzagentur. Frontex-Direktor Fabrice Leggeri (54) hat die Reissleinde gezogen und ist zurückgetreten.
Am Donnerstagabend hatte der Franzose laut «Spiegel» dem Verwaltungsrat den Rücktritt angeboten. Am Freitag teilte dieser nach einer Sondersitzung den Abgang mit.
Der Franzose stand sieben Jahren an der Spitze der umstrittenen Organisation. Leggeri wird vorgeworfen, von der illegalen Zurückweisung von Migranten an der EU-Aussengrenze gewusst und diese illegalen Pushbacks nicht untersucht, sondern vertuscht zu haben.
«Wir haben ein Problem»
Leggeri ist zuletzt immer stärker unter Druck gekommen. Recherchen des «Spiegel» zufolge hat Frontex mehrfach mitbekommen, wie die griechische Küstenwache auf offenem Meer Flüchtlingsboote stoppte, deren Motor zerstörte und die Boote daraufhin wieder in türkische Gewässer schleppte, wo die Flüchtlinge sich selbst überlassen wurden. Doch eingeschritten ist die Behörde nicht. Allein zwischen März 2020 und September 2021 sei Frontex an der illegalen Zurückweisung von mindestens 957 Flüchtlingen beteiligt gewesen, berichtete diese Woche der «Spiegel» gestützt auf Einträge in einer internen Datenbank.
Auch Frontex-Mitarbeitende selbst sollen in Pushbacks verwickelt sein. Zudem gab es in den vergangenen Jahren zig Berichte über Misshandlungen von Flüchtlingen an den EU-Grenzen.
Im Interview mit Blick gestand Frontex-Verwaltungsratspräsident Marko Gasperlin vor zwei Wochen Fehlverhalten ein. «Wir haben tatsächlich ein Problem», räumte er ein. Die EU-Anti-Betrugsbehörde Olaf hatte kurz zuvor eine Untersuchung der Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen abgeschlossen. Der Bericht ist bislang geheim, selbst EU-Parlamentarier erhielten lediglich Einsicht in eine Zusammenfassung. Leggeri soll demnach in Mobbing und illegale Pushbacks verwickelt sein.
Abstimmung am 15. Mai
Vergangene Woche hörte Frontex drei Mitarbeitende an, gegen die konkrete Vorwürfe erhoben worden sind. Einer davon ist wohl Leggeri. Es ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse der Olaf-Untersuchung so schwer wiegen, dass Leggeri mit dem Rücktritt einer Entlassung zuvorkam.
Der Rücktritt kommt für die Schweiz zu einem brisanten Zeitpunkt. Am 15. Mai stimmt die Schweiz über eine massive Aufstockung des Schweizer Unterstützungsbeitrags an Frontex ab. Derzeit sieht es nach einem deutlichen Ja zur Frontex-Vorlage aus. Doch den Gegnern gibt die jüngste Entwicklung Rückenwind für den Schlussspurt. (lha)