Es war ein Knall, der selbst innerhalb des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB) überrascht haben soll. Verteidigungsministerin Viola Amherd (58) stellt Geheimdienstchef Jean-Philippe Gaudin (58) auf die Strasse. Das hatte der «Tages-Anzeiger» am Dienstag bekannt gemacht. Gaudin soll seinen Austrittsvertrag bereits unterschrieben haben, ebenso wie eine Stillschweigevereinbarung. Im August soll er seinen Platz räumen.
Zum Verhängnis wurde Gaudin die Crypto-Affäre. Der Waadtländer war Anfang 2019 eingeweiht worden, dass die Zuger Crypto AG jahrzehntelang manipulierte Chiffriergeräte auslieferte – und die USA und Deutschland so das Ausland abhorchen konnten.
Gaudin aber habe Amherd erst Monate später informiert, als Medien bereits Fragen stellten. Das habe sie ihm übelgenommen. «Die beiden hatten keinen besonders guten Draht zueinander», so ein Insider. «Dennoch hat keiner im NDB diesen Schritt geahnt.»
Der Stellvertreter ist für Insider keine Option
Doch wie geht es mit dem Geheimdienst nun weiter? Nach Gaudins Abgang soll vorerst dessen stellvertretender Direktor Jürg Bühler die NDB-Führung übernehmen. Als definitive Lösung aber komme er nicht in Frage, sind sich mehrere Quellen einig: «Bühler ist selber von der Crypto-Affäre vorbelastet. Er ermittelte damals für die Bundespolizei in dem Fall.»
Auch sonst wird kaum mit einer internen Lösung gerechnet. Für die definitive Nachfolge ist bereits der Name von Pälvi Pulli (49) genannt worden. Die amtierende Chefin Sicherheitspolitik ist eine der wichtigsten Beraterinnen von Amherd und massgeblich verantwortlich für die langfristige Ausrichtung der Armee. Allerdings gilt sie als nachrichtendienstlich unerfahren.
Wie Amherd CVP und aus dem Wallis
Nun aber taucht plötzlich ein neuer Name auf: jener von Jacques Pitteloud. Der 58-Jährige ist seit September 2019 Schweizer Botschafter in Washington – und er hat Erfahrungen im Nachrichtendienst. «Aber noch viel wichtiger: Er kommt aus dem Wallis wie Amherd und er ist in der Mitte-Partei wie Amherd», kommentiert ein Insider. Darauf soll die Bundesrätin bei der Besetzung wichtiger Posten immer wieder Wert legen.
Pitteloud ist eine schillernde Figur. Der frühere Geheimdienstler war gleich in mehrere Affären verwickelt. So hatte die Bundesanwaltschaft in einer Korruptionsaffäre gegen den damaligen Botschafter in Kenia ermittelt – der Vorwurf der Nötigung stand im Raum. 2018 wurde Pitteloud freigesprochen, das Bundesstrafgericht rügte ihn aber. Seinen Abgang nutzte er daraufhin für eine Abrechnung mit der kenianischen Politik.
Die Strafuntersuchung soll mit ein Grund gewesen sein, warum Pitteloud 2018 nicht NDB-Chef geworden ist und er Gaudin den Vortritt lassen musste. Bis dahin hatte der promovierte Jurist in verschiedenen Funktionen für den Geheimdienst gearbeitet.
In Libyen-Affäre verwickelt
«Pitteloud ist ein Haudegen», heisst es aus dem Umfeld des Nachrichtendienstes. So hatte er während der Libyen-Krise als damaliger Chef des politischen Sekretariats im Aussendepartement Pläne für eine Geiselbefreiung eingefädelt. Weil die Pläne aber bekannt wurden, stoppte Bern die Militär-Aktion in letzter Minute.
Zuletzt war Pitteloud am letztjährigen Weltwirtschaftsforum WEF in Davos aufgefallen, wo der Botschafter über das Coronavirus gescherzt hatte – und das, obwohl damals bereits mehrere Todesfälle bekannt waren. Pitteloud entschuldigte sich anschliessend im Blick.
«Pitteloud wäre für die NDB-Spitze sicher eine spannende Lösung», findet ein Insider. «Aber sicher auch keine unumstrittene.»