Rahmenabkommen mit der EU
Auf nach Brüssel!

Der Bundesrat hat entschieden, wie es mit dem Rahmenabkommen weitergehen soll. Er will «ziemlich schnell» mit Brüssel Kontakt aufnehmen. Über die inhaltliche Positionierung schweigt er sich aber aus.
Publiziert: 11.11.2020 um 10:31 Uhr
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Aktualisiert: 11.11.2020 um 15:09 Uhr
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Sie soll es richten: Diplomatin Livia Leu wird EDA-Staatssekretärin und damit EU-Chefunterhändlerin.
Foto: Keystone
Lea Hartmann, Gianna Blum, Ruedi Studer

Wie weiter mit den Beziehungen zur EU? Seit 2018 gibt es einen ausgehandelten Vorschlag der EU für ein Rahmenabkommen. Und der Ball liegt bei der Schweiz. Doch die hat bisher gezögert, und die Abstimmung zur SVP-Begrenzungsinitiative abgewartet.

Doch nun hat der Bundesrat entschieden, wie es weitergehen soll. Das sagte Bundesratssprecher André Simonazzi heute vor den Medien: «Der Bundesrat hat seine Position fixiert und wird mit der EU Kontakt aufnehmen.» Das werde «sicher ziemlich schell» geschehen, hänge aber auch von der Erreichbarkeit des Partners ab.

Über den konkreten Inhalt schweigt sich Simonazzi aus. Dieser sei nicht öffentlich, um die Verhandlungsposition nicht zu schwächen. «Es gilt den Spielraum für die Schweiz zu bewahren.» Auf Nachfrage hin meinte er denn auch, er werde nichts weiter kommentieren.

Druck gestiegen

Immerhin geht es nun aber vorwärts. Denn der Druck auf den Bundesrat, klar zu sagen, wie und ob er nun weitermachen will, ist seit der Abstimmung über die Begrenzungs-Initiative stetig gestiegen.

Insbesondere die Aussenpolitische Kommission hat die Landesregierung dazu aufgefordert. Der letzte Schritt in diese Richtung war die Ernennung von Livia Leu (59) zur EDA-Staatsekretärin. Die erfahrene Diplomatin hat damit den undankbaren Job erhalten, das Rahmenabkommen zu retten.

Doch mit welchem Auftrag Leu nach Brüssel reisen soll, ist eine andere Frage. Und bleibt vorerst unbeantwortet.

«Präzisierungen» statt Nachverhandlungen

Klar ist: Es geht um ein umfangreiches Dossier. Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen, alte Verträge aufdatieren und neue schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Seitens der Europäischen Union ist die Bedingung dafür aber ein Rahmenabkommen. Dieses soll sichergestellen, dass die Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen automatisch übernommen werden, ohne dass jedesmal neu verhandelt werden muss. Auch ein Mechanismus für den Streitfall zwischen Bern und Brüssel gehört dazu.

Der Vorschlag der EU soll nun für fünf bestehende und alle künftigen Abkommen gelten, die der Schweiz Zugang zum europäischen Markt verschaffen. Der Entwurf ist in der Schweiz höchst umstritten und hat weder im Parlament noch in der Bevölkerung wirkliche Mehrheiten. Nachverhandeln will die EU eigentlich nicht, entsprechend vermeidet der Bundesrat das V-Wort und redet lieber von Präzisierungen oder Klarstellungen.

Drei Knacknüsse

Umstritten ist, wie im Streitfall vorgegangen werden soll. Denn der Rahmenvertrag sieht vor, dass bei Auseinandersetzung zwischen Schweiz und EU ein Schiedsgericht zum Zug kommen würde. Geht es um EU-Recht, hätte allerdings der Europäische Gerichtshof das letzte Wort – was insbesondere bei der SVP für Wut wegen «fremden Richtern» führt.

Daneben gibt es drei Bereiche, in denen der Bundesrat schon seit Längerem explizit Klärungsbedarf sieht: der Lohnschutz, die Unionsbürgerrichtlinie und die staatlichen Beihilfen.

  • Lohnschutz
    Die EU will, dass die Schweiz ihre Richtlinien übernimmt, was den Schutz vor Lohndumping anbelangt. Doch diese gehen weniger weit als die derzeit in der Schweiz geltenden Regeln. Zum Beispiel würde die Anmeldefrist für ausländische Unternehmen verkürzt und es gäbe weniger Kontrollen. Für die Gewerkschaften kommt ein Entgegenkommen beim Lohnschutz nicht infrage. Sie wollen, dass das Thema komplett aus dem Abkommen ausgeklammert wird.

  • Unionsbürgerrichtlinie
    In der Unionsbürgerrichtlinie legt die EU fest, welche Ansprüche EU-Bürger in anderen Staaten haben. Würde sie die Schweiz übernehmen, könnten EU-Bürger hierzulande beispielsweise schneller Sozialhilfe beziehen und Aufenthaltsbewilligungen könnten schwerer entzogen werden. Die EU wollte im Vertragstext festhalten, dass die Schweiz die Richtlinie innert einer bestimmten Frist übernimmt. Der Bundesrat hingegen wollte sie explizit vom Abkommen ausnehmen. Als Kompromiss wird die Unionsbürgerrichtlinie jetzt einfach gar nicht erwähnt. Es wird befürchtet, dass das früher oder später für die Schweiz zum Problem wird.

  • Staatliche Beihilfen
    Unter staatlichen Beihilfen versteht die EU Steuererleichterungen und andere Vorteile, die der Staat gewissen Unternehmen gewährt. Diese sind in der EU im Grundsatz verboten, wenn sie den Wettbewerb verfälschen. In der Schweiz hingegen sind sie weit verbreitet – es geht zum Beispiel um Beiträge zur Tourismusförderung, Staatsgarantien für Kantonalbanken oder Subventionen für Wasserkraftwerke. Die Schweiz will in diesem Bereich das Rahmenabkommen präzisieren, damit solche Subventionierungen künftig nicht verboten werden.

Neueste Wortschöpfung bei diesen drei Knacknüssen ist die «Immunisierung» – was schlicht heisst, dass sich die Schweiz dabei Ausnahmen wünscht.

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