Nach den Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet
Folgt jetzt eine Flüchtlingswelle?

In den vom Erdbeben betroffenen Gebieten sind Tausende syrische Flüchtlinge untergekommen. Schon werden Warnungen vor einer Flüchtlingswelle laut. Beim Bund will man derzeit aber noch keine Aussagen darüber machen, welche Folgen die Naturkatastrophe haben könnte.
Publiziert: 08.02.2023 um 20:52 Uhr
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Das Erdbeben werde das Leid der syrischen Flüchtlinge noch verschlimmern, befürchtet Anja Klug von der Flüchtlingshilfe UNHCR.
Foto: UNHCR/Samuel Bramley

Das starke Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet trifft besonders Menschen, die von Krieg und Flucht gezeichnet sind. Denn das Epizentrum lag in sehr dicht besiedelten Gegenden der Türkei und Syriens – in einer von Kriegen zerrütteten Region.

Im türkischen Gebiet soll eine Region mit 15 Millionen Einwohnern betroffen sein, in der 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge leben, schätzt Anja Klug (56), Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein.

Erste Berichte sind erschütternd

Das Beben ereignete sich damit in einem Gebiet, das schon zuvor mit einer der komplexesten humanitären Krisen der Welt konfrontiert war. «Es wird das Leid der syrischen Flüchtlinge, die seit mehr als einem Jahrzehnt die Hauptlast tragen, noch verschlimmern», erklärt Klug. Doch bislang kennt man die Zahl der betroffenen Menschen nicht.

Auch in Syrien zerstörten die enormen Erdstösse Städte und ganze Dörfer. «Zu den Betroffenen gehören dort auch Familien, die bereits durch die lang andauernde Krise im Land aus ihren Häusern vertrieben wurden und in Zelten, notdürftigen Unterkünften und teilweise zerstörten Gebäuden leben», gibt Klug zu bedenken. Die ersten Berichte, die sie erreicht hätten, seien erschütternd.

Viele Tausend Menschen haben seit den Beben kein Dach mehr über dem Kopf – und das bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, bei Schnee und Regen.

Naht eine Flüchtlingswelle?

Menschen in Syrien schlafen im Auto
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Angst vor Nachbeben:Menschen in Syrien schlafen im Auto

Ist nun mit einer neuen Flüchtlingswelle bis in die Schweiz zu rechnen? Schliesslich kann genau der an Syrien grenzende Teil der Türkei womöglich auf Jahre hinaus nicht mehr als Auffangregion für syrische Flüchtlinge dienen.

«Eine neue Flüchtlingswelle ist durchaus möglich», sagte die deutsche CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler (42) in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Viele gehen zunächst aber von einer Binnenmigration innerhalb der Türkei aus. Im Klartext: Flüchtlinge, die bereits im Südosten der Türkei lebten, dürften in andere Teile des Landes weiterziehen, da sie sich dort eine bessere Versorgung erhoffen.

Das will man beim Staatssekretariat für Migration (SEM) derzeit noch nicht bestätigen. Es sei aktuell noch zu früh, die Auswirkungen des Erdbebens auf die Migration aus der Türkei in Richtung Westeuropa abzuschätzen.

Katastrophen sind kein Asylgrund

Schon heute haben die Kantone mit markant gestiegenen Migrationszahlen zu kämpfen. Letztes Jahr sind mehr als 90'000 Menschen in die Schweiz geflüchtet, darunter über 70'000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die bei uns Schutz vor dem Krieg in der Heimat suchen. Der Aargau gab Anfang Jahr bekannt, dass er den Ansturm von Flüchtlingen kaum mehr bewältigen könne. Der Kanton rief die Asyl-Notlage aus.

In der Türkei leben heute etwa vier Millionen Flüchtlinge. Mehr als die Hälfte davon stammt aus Syrien. Das hat in der Vergangenheit in der Türkei bereits zu sozialen Spannungen geführt. Mit Blick auf die türkischen Wahlen im Mai wird sich das wohl noch verstärken. Denn die Parteien betreiben mit Flüchtlingspolitik Wahlkampf.

Auch viele türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger haben in den vergangenen Tagen ihr Zuhause verloren. Kommen diese als Flüchtlinge in die Schweiz, sind ihre Chancen, hier Asyl zu erhalten, verschwindend gering. Zwar bestreitet niemand, dass das Beben bereits Tausende Menschenleben gefordert hat, doch um Asyl zu erhalten, müssen die Menschen individuell an Leib und Leben bedroht sein, beispielsweise, weil sie sich politisch gegen ein Unrechtsregime engagiert haben. Umweltkatastrophen, aber auch die Folgen des Klimawandels sind kein Asylgrund.

Bundesrat gegen Klimaflüchtlinge

Geht es nach der Grünen-Nationalrätin Delphine Klopfenstein Broggini (46), soll der Bundesrat jedoch Personen, die wegen Naturkatastrophen als Folge des Klimawandels fliehen, künftig als Flüchtlinge akzeptieren. Der Bundesrat lehnte einen entsprechenden Vorstoss der Genferin jedoch ab.

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