Es war ein fulminanter Sieg: Mit 61 Prozent Ja-Stimmen hat die Bevölkerung im November die Pflege-Initiative angenommen. Für den Berufsverband der Pflege war es ein voller Erfolg. Initiativen haben es vor dem Stimmvolk traditionellerweise eher schwierig, gewerkschaftlich angehauchte erst recht.
Ein halbes Jahr nach dem Jubel macht sich allerdings der Kater breit. Denn die Mühlen der Politik mahlen langsam, während der Pflegenotstand fortbesteht. Zum Auftakt des zweitägigen Pflegekongresses, der am Donnerstag in Bern begann, machten die Pflegenden ihrer Ungeduld Luft.
«Können nicht so lange warten»
«Wir haben nach wie vor grosse Probleme», hielt SBK-Geschäftsführerin Yvonne Ribi (44) vor rund 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmern fest. «Wir können nicht so lange warten!» Denn bis von nationaler Ebene konkrete Umsetzungsschritte zu erwarten sind, braucht es Zeit. Selbst im optimistischsten Zeitplan dürfte es noch gut ein Jahr dauern, bis die Ausbildungsoffensive auch Gesetz ist.
Noch länger könnte es dauern, bis die geforderten Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen an die Hand genommen werden. Beschlossene Sache dürften die Massnahmen frühestens 2025 sein – und auch das nur, wenn das Parlament sich ungewohnt einig zeigt. «Das können wir uns nicht leisten», ist für Ribi klar. Sie nimmt vor allem die Kantone in die Pflicht, von denen sie Sofortmassnahmen erwartet.
Streit ums Tempo
Rasches Handeln ist für sie gerade beim Nachwuchs angezeigt: Eine milliardenschwere Ausbildungsoffensive war Teil des Gegenvorschlags und dürfte rasch durchs Parlament kommen. Bevor das geschehen ist, tut sich aber ohne Befehl aus Bundesbern in den Kantonshauptstädten wenig. Erst vereinzelt haben Kantone bislang Anstalten gemacht, schon aktiv zu werden – darunter beide Basel und St. Gallen. Einen Entscheid hat bislang einzig und allein der Kanton Zürich getroffen, der vier Millionen Franken in Nachdiplom-Studiengänge steckt.
Im Abstimmungskampf waren es just die Gegner, die warnten, ein Ja zur Initiative werde die eigentlich unbestrittene Ausbildungsoffensive verlangsamen. Genau deswegen habe er für ein Nein plädiert, sagt André Müller, Präsident des Heimverbands Curaviva Zürich. «Wir brauchen jetzt mehr Leute – nicht in einem Jahr, und nicht in drei Monaten.» Pflegekräfte, die aussteigen, zu ersetzen, brauche nun einmal viel Zeit und Geld. Während Kantone, Bund und Gemeinden verhandelten, blieben in der Zwischenzeit die Heime auf den Kosten sitzen.
Der Präsident der Konferenz der Gesundheitsdirektoren, Lukas Engelberger (47), wehrte sich für die Kantone. «In allen Kantonen gibt es Bemühungen, Gegensteuer zu geben!», betonte der Basler Mitte-Regierungsrat. Die Zahl jener, die eine Ausbildung neu beginnen oder abschliessen, sei stark gestiegen. Er räumte aber ein, dass «ein gewisser Handlungsbedarf» bestehe.
Massnahmen dauern
Mehr Nachwuchs allein reicht aber ohnehin nicht. Es braucht aus Sicht der Pflegenden auch bessere Arbeitsbedingungen. Nur so könne man verhindern, dass die Leute wieder aus den Pflegejobs aussteigen. Einzelne Betriebe sind hier schon aktiv geworden. Sie haben beispielsweise die Wochenarbeitszeit bei gleichem Lohn gesenkt. Bis sich aber national etwas bewegt, wird es länger dauern.
«Es wird sehr schwierig werden, Mehrheiten zu finden», warnte SP-Nationalrätin Barbara Gysi (57) vor zu hohen Erwartungen. Anders als für die Ausbildungsoffensive liegt hier nicht bereits ein mehr oder wenig pfannenfertiger Vorschlag auf dem Tisch, sondern er muss erst zäh ausgehandelt werden.
Aller Voraussicht nach werden die Pflegenden auch weniger auf Goodwill zählen können als noch während der Corona-Pandemie. Für nächstes Jahr wird ein Prämien-Schock erwartet – und die Kostendebatte dürfte dann noch einiges erbitterter geführt werden.