Es war ein fulminanter Sieg. Erstmals in der Geschichte der Schweiz wurde mit der Pflege-Initiative eine Initiative aus Gewerkschaftskreisen gutgeheissen – und dann mit 61 Prozent auch noch sehr deutlich.
Doch wie es für die Schweiz typisch ist, braucht die Umsetzung Zeit. Vor allem jene Forderungen, welche die Verbesserung der Arbeitsbedingungen betreffen, müssen erst noch durch die Vernehmlassung. Bis der Bundesrat aber Vorschläge dafür vorlegt, dürfte es Herbst werden.
Während das Tauziehen in der Politik also erst noch so richtig losgehen muss, hat sich im Kanton Bern schon etwas getan. Aber nicht in der Politik, sondern in den Betrieben selbst, wie die Zeitungen der Tamedia berichten.
«Können nicht auf Initiative warten»
So habe die Siloah-Gruppe, die im Bereich Altersmedizin 95 Spital- und 270 Heimbetten betreibt, bei gleichem Lohn die Arbeitszeit reduziert: Ab Juli wird aus der 42-Stunden-Woche eine 40-Stunden-Woche, ab 2024 soll die Arbeitszeit auf 38 Stunden pro Woche sinken. Zur gleichen Massnahme hat auch das Regionalspital in Wetzikon ZH gegriffen. Beide gehören damit schweizweit zu den Vorreitern.
«Wir können nicht warten, bis die Initiative greift», sagt Siloah-Präsident Martin Gafner. Die Pflege-Initiative habe Erwartungshaltungen hervorgerufen und die Gruppe wolle jetzt ein Zeichen setzen. «Unser Eindruck war, dass im Moment mehr Erholungszeit und nicht mehr Geld nötig ist.»
Notorisch wenig Personal
Andere Spitäler und Betriebe im Kanton sind aber ebenfalls aktiv geworden, wenn auch eben beim Geld. Vielerorts sind Lohnerhöhungen gewährt worden: 2,8 Prozent mehr im Spitalzentrum Biel, 1,5 Prozent im Inselspital und 1 Prozent in regionalen Spitalzentren und Psychiatrien.
Die Arbeitgeber sind allerdings nicht nur wegen der Initiative unter Druck: In der Pflege herrscht notorischer Fachkräftemangel, vor allem gut ausgebildetes Personal ist rar und Stellen bleiben lange umgesetzt.
Handeln vor dem Herbst
Yvonne Ribi (45), Geschäftsführerin des Berufsverbands der Pflege (SBK) warnt denn auch vor zu viel Enthusiasmus. «Es gibt zwar gute Beispiele von Betrieben, die jetzt vorangehen und zeigen, was zu tun ist», sagt sie, «aber das reicht nicht.»
«Es braucht flächendeckende Verbesserungen und deshalb nationale Massnahmen», hält sie fest. Auch die Kantone seien in der Pflicht, da sie rascher handeln könnten, um das Personal zu halten.
Viel Zeit für Verbesserungen bleibe nicht, warnt Ribi. Man dürfe nicht zu lange warten. «Gerade, weil viele aus dem Beruf aussteigen und wir nicht wissen, wie die Pandemiesituation im Herbst sein wird». (gbl)