Daniel Koch (65) kann nicht sofort telefonieren. Es ist der 18. Dezember, kurz vor der Bundesratssitzung. Die ganze Schweiz werweisst, ob der Bundesrat einen erneuten Lockdown verkünden wird. Und Koch hat das gleiche Problem wie alle anderen: Er braucht noch ein Weihnachtsgeschenk. Das will er noch kaufen, falls die Läden schliessen müssen. «Man weiss ja nicht, was kommt», sagt er.
Es gab eine Zeit, in der Daniel Koch sehr wohl gewusst hat, was kommt. Er gehörte zum innersten Kreis in der Corona-Krise, bereitete jeden Entscheid mit vor und kommunizierte ihn in alle Wohnzimmer.
Wenn das Jahr 2020 ein Gesicht hat, dann ist es das des ehemaligen Leiters der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Es stört ihn nicht, «Mr. Corona» zu sein: «Es ist nur natürlich, dass sich die Leute mit jemandem identifizieren – im positiven wie im negativen Sinn.»
Souverän und schlagfertig
Innert kürzester Zeit wird der hagere Mann mit den weiten Anzügen im Frühling zur Kultfigur. Stoisch gibt er Orientierung, beantwortet jede noch so detaillierte Frage klar und so, dass es jeder versteht. Wenn das Haus brennt, so der Eindruck, dann wäre Koch derjenige, der in aller Seelenruhe den Einsatz der Feuerlöscher koordiniert, während andere längst in Panik aus dem Fenster gesprungen wären.
Vertrauen kann Koch in der ersten Corona-Welle nicht nur in der Bevölkerung wecken, sondern auch bei denjenigen, die entscheiden: in Alain Bersets (48) Innendepartement. Souverän und schlagfertig sei Koch gewesen, er habe immer gewusst, wovon er rede, erinnern sich verschiedene Personen, die mit ihm zu tun hatten. Allerdings: Nur Lobeshymnen löst der Name Koch nicht aus.
Edelpressesprecher Koch
Eine «unguided missile», eine unlenkbare Waffe, sei er bei manchen Themen gewesen. Einer, der eher auf sein Bauchgefühl oder Ärzte aus dem Bekanntenkreis hört als auf die spezialisierte Wissenschaft. Etwa, als er Ende April verkündet, dass Grosseltern ihre Enkelkinder wieder in den Arm nehmen können – was ihm internationale Schlagzeilen einbrockt. Koch lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Auch heute nicht. «Das war von der Evidenz gestützt. Und hat sich inzwischen ja auch bestätigt», findet er. Obwohl die Diskussion darüber, wie ansteckend die Kinder sind, gerade heute geführt wird wie nie.
Anders als sein Nachfolger Stefan Kuster (43) scheut sich Koch nicht, mehr als ein Behördenvertreter zu sein. Seine Pensionierung im Frühling verschiebt er bis zum Abflachen der ersten Welle, nicht ungern, wie man den Eindruck hat. Während Kuster mitten in der Krise die Abteilungsleitung übernimmt, waltet Koch vor allem als Edelpressesprecher. Und das kreidet ihm auch innerhalb des BAG noch heute so mancher an.
Vom Bundesangestellten zum Influencer
Ende Mai tritt Koch beim BAG ab. Und springt als Erstes – höchst öffentlichkeitswirksam – im Anzug in die Aare. Schliesslich ist diese «bebadbar», wie er an einer seiner letzten Pressekonferenzen noch gesagt hat und wie es auch auf seiner Visitenkarte steht. Denn neu kann «Mr. Corona» als Berater gebucht werden.
Es ist ein fliessender Übergang zu Kochs Ruhestand, der so ruhig nicht ist – und der bei jedem anderen Ex-Bundesangestellten in dieser Form unvorstellbar wäre. Koch berät Sportverbände und Veranstalter – auf Stundenbasis, nicht als fixes Mandat, wie er betont. Er spricht an Kongressen, schreibt ein Buch, nimmt regelmässig an einem Podcast teil. Er lässt sich mit seinen Hunden abbilden, beim Biertrinken (Corona natürlich) und fährt Langlauf auf dem Rasen – Letzteres in einem Instagram-Video, wo er zum regelrechten Influencer wird.
Alles Teil der Corona-Bekämpfung
Ist dem Mann der Ruhm zu Kopf gestiegen? Koch selbst winkt ab. «Ich habe einfach gemerkt, dass viele Fragen im Raum stehen» – und er sei nun mal derjenige, der gefragt werde. Und selbst wenn nicht: Alles Teil der Corona-Bekämpfung, von der Koch nicht lassen kann. «Jedes Instagram-Video hatte eine Botschaft», betont er. Zurzeit gebe es keine lustigen Videos von ihm. «Dafür ist die Lage viel zu ernst.»
Für Augenverdrehen sorgt Kochs Dauerpräsenz indes beim Bund. Doch im Wesentlichen herrscht die Haltung: Soll er doch – solange er nicht anfängt, von aussen zu kritisieren. Auffällig kurz angebunden ist auch Berset selbst in einem kürzlich erschienenen Buch: «Er ist jetzt ein aussenstehender Experte, der die gleichen Ziele verfolgt wie wir.»
Jeder Auftritt eine Schlagzeile
Koch kann nicht von der Schweizer Öffentlichkeit lassen. Sie aber auch nicht von ihm. Jedes Video, jeder Auftritt sorgt für neue Schlagzeilen. Und das hat auch viel mit dem Versagen des Bundes – und der Kantone – in der zweiten Corona-Welle zu tun. Das Chaos aus widersprüchlichen Massnahmen und Kleinkriegen hätte zwar auch Daniel Koch nicht retten können. Doch in den Köpfen vieler bleibt er die eine ruhige und prägnante Figur der Corona-Pandemie. Eine, die dem Bund heute fehlt.
Kochs Beliebtheit jedenfalls ist in weiten Kreisen immer noch ungebrochen. So gibt es ihn als Holzstatue von einem Urner Künstler. Von den Bündnern ist er Anfang Dezember mit der Arosa Humorschaufel geehrt worden – was ihn, wie er sagt, besonders gerührt hat. «Schliesslich hat vor allem die Kulturbranche zu leiden.»
Und da ist noch die Facebook-Seite, die ihn zum Schweizer des Jahres machen will und die inzwischen an die 9000 Mitglieder zählt. Klar ist er Schweizer des Jahres. Leider Schweizer des Jahres. Ohne die Pandemie, auf die wir alle gern verzichtet hätten, wäre er bloss ein gewiss tüchtiger, aber in der breiten Öffentlichkeit gänzlich unbekannter Beamter geblieben.