Im Frühjahr offenbarte Daniel Koch (65) der Schweiz beinahe täglich das Neuste über die Corona-Pandemie. Seitdem gehört der stoisch ruhige Bundesbeamte zur nationalen Top-Prominenz. Kochs Geduld und seine nüchternen Auskünfte zu den brennendsten Fragen machten ihn zum unangefochtenen «Mr. Corona».
Ende Mai legte Koch sein Amt nieder – pünktlich zur erfolgreichen Bewältigung der ersten Welle von Virus-Erkrankungen. Er wurde gefeiert, gelobt und gebührend verabschiedet. Doch statt das Feld seinen Nachfolgern aus dem Bundesamt für Gesundheit BAG zu überlassen, äussert sich der Ruheständler noch immer regelmässig zur aktuellen Entwicklung.
Lobendes Vorwort von Berset
Es fällt ihm offenbar schwer, von der grossen Bühne abzutreten. Dabei ist seine Ruhe verflogen. Koch ist längst nicht mehr unumstritten. Die Kritik an dem einst Unangreifbaren wächst.
Gleichzeitig nimmt der Kult um ihn kein Ende. Im Gegenteil: Als Sahnehäubchen erscheint nächste Woche ein Buch über sein Leben: «Daniel Koch – Stärke in der Krise». Das lobende Vorwort stammt von Bundesrat Alain Berset (48) persönlich.
Auf einer der ersten Seiten schreibt Koch zwar: «Wenn Sie (...) sich schon einmal über mich aufgeregt haben, dann empfehle ich Ihnen, das Buch nicht zu lesen.» Aufregung gab es in den letzten Monaten genug. Die Frage stellt sich folglich: Muss das wirklich sein?
Heftige interne Diskussionen
BLICK konnte die Neuerscheinung bereits vor der Veröffentlichung am 16. September lesen. Das Werk ist zweigeteilt. In der ersten Hälfte berichtet der pensionierte Kinderarzt Ruedi Grüring (73) über Kochs frühere Arbeit beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes IKRK. Wie er heikle Situationen in Afrika und Lateinamerika durchlebte und dabei stets einen kühlen Kopf bewahrte. Die Kapitel zu einzelnen Episoden seiner IKRK-Zeit wirken zwar auf Dauer etwas repetitiv, geben aber interessante Einblicke in Kochs Vergangenheit.
Aufschlussreicher ist der zweite Teil. Darin berichtet Koch in Tagebuchform von seiner intensiven Arbeit als Corona-Delegierter zu Beginn des Jahres. Und gibt dabei Überraschendes Preis. Etwa, dass er sich zu Beginn der Krise nicht immer gut mit Bundesrat Berset verstand. Oder dass es bereits im Februar heftige Auseinandersetzungen darüber gab, welche Massnahmen die sinnvollsten seien.
Koch drohte gar mit dem Rückzug
Noch erstaunlicher, mit welcher Nonchalance Koch immer wieder scharfe Kritik an der Arbeit des Bundes, des BAG oder der Taskforce übt. In einem Eintrag vom März macht er sich etwa grosse Sorgen um die Lage im Tessin, vermisst eine klare Vorgehensweise, ist unzufrieden mit der Arbeit des Krisenstabs: «Ich drohte, mich aus der Co-Leitung zurückzuziehen. Es ging mir alles zu langsam und man verzettelte sich zu sehr in Details.»
In gleicher Weise, wie Koch die zögerliche Einführung des Notstands-Regimes im März kritisiert, kritisiert er die schleppenden Öffnungsschritte im Mai.
Allerdings gibt er offen zu: In den frühen Morgenstunden des 11. Mai, als die ersten grossen Lockerungen anstehen, ist er nervös. «Ich wälze mich im Bett herum. Genauso unruhig sind meine Gedankengänge.»
«Defensive Haltung» beim BAG
Klar ist für Koch im Mai aber auch: «Längst hat sich im BAG die defensive Haltung durchgesetzt, alle Massnahmen möglichst lange aufrechtzuerhalten. (...) Verstärkt wird diese Haltung durch die immer mächtiger werdende externe wissenschaftliche Taskforce, welche jeden Lockerungsschritt als verfrüht (...) kritisiert.» An anderer Stelle nervt sich Koch darüber, dass die Taskforce die wichtigen Punkte «so kompliziert erklären muss», schiebt aber beiläufig nach: «Die Wissenschaftler in dieser Gruppe habe ich wohl nie verstanden.» Ein Gesundheitsbeamter, der die wissenschaftlichen Berater nicht immer versteht – vertrauenserweckend ist das nicht.
Klar ist auch, bei einer neuerlichen Pandemie-Bekämpfung unter seiner Federführung würde Koch einiges anders machen – «mit etwas mehr Mut und der Bereitschaft, Verantwortung zu tragen».
Zweifel am Lockdown
In vielen Teilen der Welt hätten der Lockdown und die dadurch verursachte Armut wohl einschneidender gewirkt als das Virus selbst, meint er lapidar. Eine Behauptung, die von Corona-Skeptikern und Verschwörungstheoretikern ebenfalls gern aufgestellt wird.
So entsteht auch der Eindruck, als wolle sich Koch in Gegenposition zu den Akademikern bringen: Realismus statt Wissenschaft, konkrete Umsetzung statt Theorie. Exemplarisch zeigt sich dies an der Streitfrage um den Kontakt der Grosseltern zu ihren Enkeln: «Wenn es keinen Hinweis gibt, dass kleine Kinder das Virus übertragen, dann darf ich doch dies den Grosseltern nicht verschweigen.» Was Koch aber zu vergessen scheint: Hinweise auf die Ansteckung durch Kinder wurden immer wieder ins Spiel gebracht.
Alles nur für die Image-Beschönigung?
Nur beim Thema der Masken gesteht Koch rückblickend ein: «Ich habe sicher zu lange darauf bestanden, zu verkünden, dass Masken im öffentlichen Raum nur einen beschränkten Nutzen haben.»
Im Nachhinein ist man meistens schlauer. Auch Kritik lässt sich in der Rückschau einfach üben. Das Buch über Kochs Leben, insbesondere dort, wo es Einblicke in die Arbeit des BAG während der Akutphase der Pandemie gewährt, ist nebst einer kurzweiligen Innenaufnahme des behördlichen Corona-Managements aber vor allem eines: Kochs Versuch, die Unebenheiten seines Rufs in der Öffentlichkeit nachhaltig zu glätten.
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