Das Gespenst der Armut klopft an die Tür des Schweizer Mittelstands. Für mehr als die Hälfte der Familien reicht das Einkommen nur noch knapp oder gar nicht mehr für das gemeinsame Familienleben.
Die Folge: Auch Familien mit anständigem Einkommen verzichten zunehmend auf Ferien, Auswärtsessen und – notgedrungen – auf weitere Kinder. Das zeigt die neueste Erhebung von Pro Familia.
Noch erschreckender als die nackte Statistik sind die Schilderungen von Familien aus Fleisch und Blut im Blick. Zum Beispiel die Familie Roth: Sabine (37) arbeitet zu 80 Prozent als Laborantin, ihr Mann Mark (36) zu 90 Prozent als Elektrotechniker. Sie verdienen zusammen 11'000 Franken im Monat. Sie haben zwei Kinder (3 und 8), leben bescheiden. Und trotzdem bleibt Ende Monat kaum etwas übrig. Mit 11'000 Franken Einkommen!
Spätestens jetzt sollten in der Politik die Alarmglocken läuten. Wenn Eltern, die als gut ausgebildete Fachkräfte arbeiten, kein Geld mehr ausgeben können, das über das Nötigste hinausgeht, ist etwas faul im reichen Staat Schweiz.
Mittelstandfamilien in Geldnot – was ist von den Parteien zu erwarten?
SVP: Nationalräte kratzen am Kita-Tabu
Mit Migration als Sündenbock für alles – Kriminalität, Kosten, Klimakrise – kann die Partei Wahlen gewinnen. Aber es reicht nicht mehr, um die eigenen Wähler davon abzuhalten, für mehr Sozialstaat zu stimmen (55 Prozent der SVP-Basis sagte Ja zur 13. AHV-Rente). Und junge Familien plagen Kita- und Krankenkassenkosten, egal ob sie SVP oder SP wählen.
Erste SVP-Politiker haben das erkannt. «In der Familienpolitik müssen wir uns der Zeit anpassen, sonst nehmen uns jüngere Wähler nicht mehr ernst», sagte Nationalrat Benjamin Giezendanner (41, 3 Töchter) in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Noch sind neue Ansätze bei Kitas und anderen Formen der familienergänzenden Familienbetreuung nicht mehrheitsfähig in der SVP. Will die Volkspartei den Mittelstandsfamilien hier etwas anbieten, muss sie zuerst über ihren ideologischen Schatten springen.
FDP: Lösung mit der Wirtschaft suchen
Keine Partei positioniert sich so deutlich gegen mehr Sozialstaat wie der Freisinn. Nach verlorener AHV-Abstimmung machte Präsident Thierry Burkart (48) klar, er werde keine Hand bieten, die 13. AHV-Rente über Lohnabzüge oder Steuern zu finanzieren. Das belaste den Mittelstand zusätzlich. In der Tat würde eine Finanzierung der AHV über Lohnabzüge eine Familie im Schnitt 600 Franken mehr im Jahr kosten. Als Nächstes will die FDP an vorderster Front die Prämienentlastungs-Initiative der SP und gleich auch noch die Kostenbremse-Initiative der Mitte bodigen.
Doch wenn die Gründerpartei der modernen Schweiz nicht nur als Partei für Reiche und Wirtschaft wahrgenommen werden will, muss sie Durchschnittsfamilien etwas Konkretes anbieten, das sie im Portemonnaie spüren. Natürlich erwartet niemand von der FDP, dass sie nun plötzlich den Staat für alles anzapfen will. Aber sie könnte eine positive Rolle spielen, indem sie die Wirtschaft ins Boot holt, um Familien zu entlasten. In deren ureigenstem Interesse: Wenn Familien kein Geld für ein feines Essen im Restaurant oder Ferien in den Bergen mehr ausgeben, leidet auch die heimische Wirtschaft.
Die Mitte: Schlüsselrolle für Familienpakt
Seit die ehemalige CVP das Christliche im Namen abgestreift hat und sich als breite Mitte positioniert, öffnet sie sich für die Anliegen von jüngeren und weniger konservativen Wählern. Doch tut sie genug für Familien? Ihr grosses Anliegen, die Heiratsstrafe (bei den Steuern und der AHV) abzuschaffen, ist gut und recht, aber das allein kann es nicht sein.
Als Mehrheitsbeschafferin im Parlament hat die Mitte die besten Voraussetzungen, um eine Schlüsselrolle zu spielen bei der Entlastung von Familien. Ein Familienpakt über die Parteigrenzen hinaus. Wer, wenn nicht die Mitte könnte diese Verantwortung übernehmen?
SP: «Linker Blocher» setzt Druck auf
Die Sozialdemokraten haben es am einfachsten. Nach dem AHV-Sieg können sie mehr denn je Maximalforderungen stellen für einen Ausbau des Sozialstaats, mit guten Chancen auf Erfolg beim Volk. Die erwähnte Prämienverbilligung-Initiative ist der nächste Streich, aber bei weitem nicht der letzte. Und mit Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard (55, 2 Kinder) hat die SP einen Wortführer, der die anderen Parteien vor sich hertreiben kann wie einst Christoph Blocher (83) von rechts.
Den Druck von links braucht es offensichtlich, damit die Politik Mittelstandsfamilien nicht länger im Stich lässt. Doch die Bürgerlichen dürfen das Thema nicht allein den Linken mit ihren Maximalforderungen überlassen, sondern mithelfen, Lösungen zu finden, die finanzierbar sind und nicht indirekt wieder viele Familien belasten.
Eine Schweizer Durchschnittsfamilie will keinen Sozialismus. Sie will soziale Marktwirtschaft. Aber eine, die ihren Namen verdient. Damit auch Familien wie die Roths mit ihren zwei Kindern gut leben können.