Nur wenige Kilometer trennen Pflegerinnen und Pfleger von viel mehr Geld. Zumindest dann, wenn sie in Italien wohnen und in einem Schweizer Spital arbeiten. Weil das viele Italiener machen, fehlen allein in den Provinzen Como und Varese zwischen 400 und 500 Ärzte und Krankenpfleger, schreibt «Le Temps». Jetzt ergreift die italienische Regierung um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (47) Massnahmen.
Gemäss Haushaltsgesetz, das Anfang des Jahres in Kraft trat, werden Grenzgänger verpflichtet, zwischen drei bis sechs Prozent ihres Nettoeinkommens aus der Schweiz zu bezahlen. So will man erreichen, dass die Ärztinnen und Pfleger in Italien arbeiten. Zusätzlich soll damit auch deren Lohn erhöht werden. Die Kritik von italienischen Grenzgängern ist daher gross. Und auch in der Schweiz wächst die Sorge.
«Spitäler auf Grenzgänger angewiesen»
Laut dem Tessiner Gesundheitsdepartement waren von den 4250 Pflegekräften in Krankenhäusern, Klinken oder Pflegeheimen mehr als ein Drittel, nämlich 36 Prozent, italienische Grenzgänger, wie «Le Temps» schreibt. Dazu kommen 525 Personen aus anderen Pflegeberufen und 208 Ärztinnen und Ärzte, die als Grenzgänger im Tessin arbeiten.
Beim Tessiner Nationalrat Alex Farinelli (42) kommt die Regel nicht gut an. «Wir haben während der Pandemie gesehen, dass die Schweizer Spitäler auf Grenzgänger angewiesen sind», sagt er zu Blick. Durch die neue Steuer könnten Grenzgänger wegbleiben, fürchtet er. «Je weniger Leute kommen, desto grösser wird das Problem.»
Für Farinelli ist jedoch noch vieles unklar. «Wir wissen nicht, ob Italien die Steuer überhaupt umsetzen kann und wie sie ausgestaltet ist.» Dazu gäbe es auch in Italien Widerstände gegen die Massnahme.
SP-Nationalrätin Sarah Wyss (35) sagt zu Blick, dass Grenzgängerinnen für eine funktionierende Wirtschaft «unumgänglich» seien. Im Pflegebereich nimmt sie aber auch die Schweiz in die Pflicht. «Ich erwarte, dass die Schweiz endlich ihre Verantwortung wahrnimmt und erstens genügend Fachpersonen ausbildet und zweitens die Arbeitsbedingungen verbessert.»
Gibt es juristische Konsequenzen?
Zwar befürchte man in den Spitälern keine Massenkündigungen, doch man werde die Situation genau beobachten, sagt ein Sprecher der Tessiner Spitäler zu «Le Temps». Zugegebenermassen werde es teurer, in der Schweiz zu arbeiten, aber das Lohngefälle bleibe gross.
Italiens Steuer dürfte weiter zu reden geben. Die Regel könnte verschiedene internationale Abkommen verletzen, sagt FDP-Farinelli. «Es wäre keine Überraschung, wenn es juristische Probleme gebe. Italien macht, was es will.» Er erinnert an die schwarze Liste der Steuerflüchtlinge, von der die Schweiz erst im vergangenen Jahr gestrichen wurde.
Tatsächlich verfügt die Schweiz zum Beispiel über ein Grenzgänger-Abkommen mit Italien. Dieses gilt ebenfalls seit Anfang Jahr und soll die Doppelbesteuerung beseitigen. Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen schreibt auf Blick-Anfrage, man habe Kenntnis von der neuen Massnahme und analysiere sie derzeit.