Seit der Einführung der obligatorischen Grundversicherung 1997 steigen die Krankenkassenprämien fast ununterbrochen. Und weil es einkommensunabhängige Kopfprämien sind, schmerzen sie die Schwächsten am meisten. Deshalb gewähren Bund und Kantone Prämienverbilligungen – nicht mit der Giesskanne, sondern abhängig vom Einkommen.
Das Problem ist nur: Von 1997 bis heute sind die Prämien pro Kopf um 135 Prozent gestiegen, nicht aber die Prämienverbilligungen: Sie nahmen im gleichen Zeitraum nur um 35 Prozent zu, wie Berechnungen des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) zeigen. «Das soziale Versprechen wird nicht eingelöst», sagt SGB-Zentralsekretär Reto Wyss (37). «Immer mehr Menschen verzweifeln, wenn Sie am Monatsende die Krankenkassenrechnung kriegen. Das ist nicht mehr normal.»
Maximal zehn Prozent des Einkommens
Mit der Prämien-Entlastungs-Initiative fordert die SP, dass die Krankenkassenprämien zehn Prozent des verfügbaren Einkommens nicht überschreiten dürfen. Kostenpunkt: 4,5 Milliarden Franken pro Jahr. Der Bund soll zwei Drittel davon tragen, die Kantone den Rest.
Das ist zu viel, findet der Bundesrat. Er hat einen Gegenvorschlag formuliert, der 500 Millionen Franken kostet. Die Kantone müssten dabei mehr einschiessen. Schliesslich seien sie für die zunehmenden Gesundheitskosten verantwortlich, so die Landesregierung.
Tatsächlich steigen die Kosten kontinuierlich: 2022 um 2,6 Prozent, im ersten Quartal 2023 um 3,4 Prozent. Das treibt die Prämien weiter in die Höhe. Aktuelle Berechnungen des SGB zeigen: 2022 betrug das Prämienvolumen in der Schweiz 32,9 Milliarden Franken, dieses Jahr sind es 35,3 Milliarden. Für 2024 kündigte Bundesrat Alain Berset (51) bereits einen «überdurchschnittlichen Anstieg» an. Nehmen die Prämien – vorsichtig geschätzt – um weitere 6 Prozent zu, beträgt das Prämienvolumen im nächsten Jahr 37,7 Milliarden.
Ein Anstieg von 2,4 Milliarden Franken pro Jahr – diese Zahl liegt nahe beim Betrag, den der Nationalrat für Prämienverbilligungen aufwenden will. Im Gegensatz zum Bundesrat, der 500 Millionen für ausreichend hält, will die grosse Kammer nämlich 2,2 Milliarden pro Jahr zur Verfügung stellen.
Ständerat unterbietet Bundesrat
Am Dienstag entscheidet der Ständerat. Dort weht dem nationalrätlichen Gegenvorschlag ein rauer Wind entgegen. Im letzten Herbst mochte die kleine Kammer nicht einmal auf das Geschäft eintreten. Nun hat die ständerätliche Gesundheitskommission einen eigenen Vorschlag gezimmert, mit dem sie den Bundesrat noch unterbietet: Laut der Kommission reichen 350 Millionen aus, um das Prämienproblem zu lösen.
Das treibt SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (35) auf die Palme. «Angesichts eines Prämienanstieg von über zwei Milliarden Franken pro Jahr sind 500 oder gar nur 350 Millionen Franken Entlastung ein Hohn. Damit ändert sich nichts am unfairen Prinzip, die steigende Last einfach auf die Versicherten abzuwälzen.»
Mitte-Ständerat Pirmin Bischof (64), Mitglied der Gesundheitskommission, widerspricht: «Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen erhöhen sich automatisch, wenn die anrechenbaren Prämien steigen. Damit sind die Schwächsten geschützt.» Beunruhigend sei hingegen, dass die Prämienlast einen wachsenden Teil des Mittelstands erfasse. «Der Vorschlag der Kommission hätte eine gezielte Entlastung dieses Teils der Bevölkerung zur Folge.»
Verbilligungen seien aber nur die zweitbeste Lösung, sagt Bischof. «Wir müssen das Kostenwachstum in den Griff kriegen.» Dort setze die Kostenbremse-Initiative der Mitte an. Die verlangt, dass Bund und Kantone eingreifen, wenn die Gesundheitskosten im Vergleich zur Lohnentwicklung zu stark steigen.
Die bürgerliche Mehrheit entscheidet
Gegen Kosteneinsparungen habe sie überhaupt nichts einzuwenden, sagt Mattea Meyer. «Wir könnten bei den Medikamentenpreisen anfangen, die ein Viertel der Gesundheitskosten ausmachen. Die Pharmaindustrie verdient damit jedes Jahr Milliarden.» Das Problem seien die massiven Lobbykräfte im Parlament. «Der Einfluss von Pharma und Versicherungen verhindert regelmässig Verbesserungen zugunsten der Versicherten.» Als Beispiel verweist Meyer auf den Versuch von Bundesrat Berset, Generika zu verbilligen. «Die Bürgerlichen haben das Vorhaben versenkt.»
Nun entscheidet die bürgerliche Mehrheit im Ständerat über die Prämienentlastungen. Der 350-Millionen-Vorschlag der Gesundheitskommission hat die besten Chancen: Er kommt aus den Reihen der Mitte, die 14 Mitglieder der kleinen Kammer stellt. Aber auch ein neuerliches Nichteintreten der Ständeräte steht zur Disposition: SVP-Ständerat Hannes Germann (66) wird einen entsprechenden Antrag einreichen.
Das würde allerdings die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass am Ende das Volk über die SP-Initiative und damit über 4,5 Milliarden Franken abstimmt. Denn ein Rückzug kommt für die Sozialdemokraten nur infrage, wenn das Parlament den nationalrätlichen Gegenvorschlag annimmt.
«Gegen eine Abstimmung ist nichts einzuwenden», sagt Germann dazu. Er sagt aber auch: «Sowohl die Initiative als auch die Gegenvorschläge sind eine Bevormundung der Kantone. Zwar haben nicht alle von ihnen ihre Hausaufgaben gemacht. Aber das ist kein Grund, das ganze System umzukrempeln.»