Jetzt gehts los: Aussenminister Ignazio Cassis (62) will mit Brüssel verhandeln. Am Freitag präsentierte er das endgültige Verhandlungsmandat. Das Ziel: Ein neues Paket aus Abkommen, das den bilateralen Weg, den die Schweiz und die EU seit 25 Jahren gehen, festigt. Es ist der zweite Anlauf: Die Verhandlungen über das sogenannte «Rahmenabkommen» brach der Bundesrat im April 2021 ab – als klar wurde, dass es für den ausgehandelten Vertrag in der Schweiz keine Mehrheit geben würde.
Nun soll alles besser werden: Statt einem Rahmenabkommen wählt Cassis einen Paketansatz: So sollen in die bisherigen Abkommen neue institutionelle Regeln – die «Spielregeln» – eingefügt werden. Die Schweiz könne immer noch eigenständig entscheiden, ob sie EU-Recht übernehmen will. Tut sie das aber nicht, müsste sie Ausgleichsmassnahmen akzeptieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch ein Schiedsgericht.
Dazu sollen neue Abkommen zum Strom und zur Lebensmittelsicherheit kommen. Die Schweiz soll an Forschungs- und Bildungsabkommen teilnehmen können und im Bereich Gesundheit soll es ein Kooperationsabkommen geben.
Verschiedene Änderungen
Nachdem Parteien, Parlamentskommissionen und andere Organisationen einen ersten Entwurf des Verhandlungsmandats kritisch begutachtet haben, gibt es zwar viel Zustimmung für die Aufnahme von Verhandlungen, aber gleichzeitig auch viele Extrawünsche. Darum hat Cassis in vier Bereichen – den Spielregeln, der Personenfreizügigkeit (welche die Zuwanderung und den Lohnschutz beinhaltet), den Bahnverkehr und das Stromabkommen – Änderungen angebracht.
«Der Weg ist offen, Verhandlungen mit der EU zu beginnen», sagte Aussenminister Cassis an der Medienkonferenz. Schon im März könnte es losgehen. Die Verhandlungen beginnen, wenn auch die EU ihr Mandat verabschiedet hat. Einen Zeithorizont für den Abschluss nannte Cassis nicht.
Die EU wählt im Sommer ein neues Parlament. Möglicherweise gibt es also schon ab Herbst neue Verhandlungspartner. Staatssekretär Alexandre Fasel (63) erklärte, es sei wichtig, mit der jetzigen Kommission die Verhandlungen zu beginnen. Das Mandat der EU habe auch für die nächste Kommission Gültigkeit. Es sei aber im Interesse der beiden Parteien «so weit wie möglich» mit den gleichen Teams zu verhandeln. In einer nächsten Kommission wären es wohl die gleichen Beamten, die verhandeln. Jedoch könnten die EU-Kommissare nach der Wahl wechseln.
Kritik von links und rechts
Doch schon während der Medienkonferenz prasselt die Kritik auf Aussenminister Cassis ein. Die SVP stellt via Medienmitteilung klar, dass sie das Verhandlungsmandat ablehnt. Dieses sei «pure Augenwischerei». Im sogenannten «Common Understanding» zeige sich der Bundesrat bereits bereit, die Forderungen der EU weitgehend zu erfüllen. Und die SVP geht noch weiter: «Mit dem Verhandlungsmandat billigt der Bundesrat die totale Unterwerfung der Schweiz unter die EU.»
Kritisch zeigt sich auch der Gewerkschaftsbund: Die Gewerkschaften bieten keine Hand für einen schlechteren Lohnschutz, stellen sie in einer Mitteilung klar. Mit dem Verhandlungsmandat drohten «schmerzhafte Verschlechterungen»: So werde die Kaution weitgehend abgeschafft. Auch drohe, dass die Arbeitgeber bei auswärtigen Arbeiten Übernachtungen und Verpflegung nicht mehr bezahlen müssten. Auch werde die Voranmeldepflicht verkürzt, so dass die Kontrolle «halbkrimineller Firmen» schwieriger werde. Der vom Bundesrat eingeschlagene Weg sei für die Gewerkschaften daher nicht gangbar. Cassis' Reise dürfte also einmal mehr steinig werden.
Noch während Medienkonferenz: SVP spricht von «Unterwerfung»
Noch während der Medienkonferenz stellt die SVP via Medienmitteilung klar, dass sie das Verhandlungsmandat ablehnt. Dieses sei «pure Augenwischerei». Im sogenannten «Common Understanding» zeige sich der Bundesrat bereits bereit, die Forderungen der EU weitgehend zu erfüllen. Die SVP geht sogar noch weiter: «Mit dem Verhandlungsmandat billigt der Bundesrat die totale Unterwerfung der Schweiz unter die EU.»
Cassis will verhandeln
Vor Weihnachten hat der Bundesrat seinen Vorschlag für ein Verhandlungsmandat mit der Europäischen Union verabschiedet. Nachdem sich die Kommissionen des Parlaments, Kantone, Parteien und andere Organisationen dazu geäussert haben, hat die Landesregierung das definitive Verhandlungsmandat verabschiedet, mit dem die Schweiz nach Brüssel reisen will.
Im Unterschied zur ersten Fassung (die du hier findest) hat der Bundesrat sieben Anpassungen in vier Bereichen vorgenommen.
Institutionelle Elemente: Bei den generellen Spielregeln zur Übernahme von EU-Recht will die Schweiz erreichen, dass eventuelle Strafmassnahmen erst in Kraft treten, wenn das Schiedsgericht über deren Verhältnismässigkeit entschieden hat. Denn: Wenn Ausgleichsmassnahmen ergriffen werden, weil die Schweiz EU-Recht nicht vollständig übernimmt, leidet die Schweiz. Erkennt das Schiedsgericht erst später, dass diese Strafen unverhältnismässig waren, sind vielleicht schon Schäden entstanden.
Personenfreizügigkeit: Im Bereich der Zuwanderung bekräftigt die Schweiz erneut, dass sich die Zuwanderung auf die Erwerbstätigkeit ausgerichtet sein muss. Gleichzeitig bekräftigt der Bundesrat, dass der Lohnschutz gesichert werde und eine Lösung für die Spesen-Frage gefunden werden soll.
Im Schienenverkehr soll die Schweiz weiterhin für die Zuweisung der Zugtrassen zuständig bleiben, auch wenn ausländische Anbieter wie Flixtrain in der Schweiz fahren dürfen. Die Schweizer Bahnqualität soll nicht leiden.
Beim Strom hält die Schweiz fest, dass die Grundversorgung für Haushalte und kleine Unternehmen Standard bleiben soll. Auch die Subventionierung der Stromproduktion sollen möglich bleiben.
Definitiv verhandelt wird, sobald auch die EU über ihr endgültiges Mandat verfügt. Noch im März dürfte es nach Angaben des Aussendepartements so weit sein. Auf Schweizer Seite hat Chefunterhändler Patric Franzen die Gesamtleitung.
Kritik der Gewerkschaften
Die Gewerkschaften haben bereits Kritik geäussert. Man führe Diskussionen mit allen Sozialpartnern, sagt Cassis. Auch die Konsultationsantwort der Gewerkschaften sei in den heutigen Bundesratsentscheid eingeflossen, so der Aussenminister.
Damit ist die Medienkonferenz beendet.
Darf Flixtrain nur in der Nacht fahren?
Das Bahnnetz ist sehr ausgelastet, darf Flixtrain also nur in der Nacht fahren? Man habe aber auch Kapazitäten für Züge am Tag, sagt der Direktor des Bundesamtes für Verkehr. Das zeige sich auch heute schon darin, das Extrazüge möglich seien.
Kritische Gewerkschaften
Kritisch zeigt sich der Gewerkschaftsbund: Die Gewerkschaften bieten keine Hand für einen schlechteren Lohnschutz, stellen sie in einer Mitteilung klar. Mit dem Verhandlungsmandat drohten «schmerzhafte Verschlechterungen»: So werde die Kaution weitgehend abgeschafft. Auch drohe, dass die Arbeitgeber bei auswärtigen Arbeiten Übernachtungen und Verpflegung nicht mehr bezahlen müssten. Auch werde die Voranmeldepflicht verkürzt, so dass die Kontrolle «halbkrimineller Firmen» schwieriger werde. Der vom Bundesrat eingeschlagene Weg sei für die Gewerkschaften daher nicht gangbar.
«Das wäre teuflisch.»
Cassis sagt, man wolle nicht Dinge in den Verhandlungen akzeptieren, von denen man wisse, dass man sie nicht umsetze, um dann ins Streitschlichtungsverfahren zu gehen, antwortet er auf eine Journalistenfrage. «Das wäre teuflisch.»
«Wie ein gewöhnliches Gesetz»
Cassis erklärt das Vorgehen nach den Verhandlungen. Es laufe «wie ein gewöhnliches Gesetz» ab. Nachdem die Chefunterhändler ihre Initialen gesetzt haben, müsse der Bundesrat unterzeichnen und das Parlament das Gesetz ratifizieren. Dafür gebe es den üblichen Prozess mit Vernehmlassung und einem Vorschlag des Bundesrates, der ins Parlament geht. Danach ist eine Volksabstimmung möglich.
Mit vielen Gesten erklärt Alexandre Fasel vom Aussendepartement, was passiert, wenn der Vertrag fertig verhandelt ist. Dann brauche es ein Umsetzungspaket mit Schweizer Gesetzen und dem völkerrechtlichen Vertrag. «Die innenpolitischen Lösungen müssen kompatibel sein mit dem Vertrag», ergänzt Cassis. «Aber viele Wege führen nach Rom.» Sei die Schweizer Lösung nicht kompatibel, müsse man eine Lösung finden.
Economiesuisse: «Wichtiger Grundstein»
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sieht die Verabschiedung des Verhandlungsmandats durch den Bundesrat am Freitag als einen wichtigen Grundstein für die Verhandlungen mit der EU. Mit den Bilateralen III könnten die bilateralen Beziehungen stabilisiert und weiterentwickelt werden, teilte Economiesuisse am Freitag mit.
Dies schaffe Rechtssicherheit und stärke den Wirtschaftsstandort Schweiz. Die noch offenen Punkte müssten nun in den Verhandlungen geklärt werden.
«Der Bundesrat ist gefordert, ein überzeugendes Paket vorzulegen, welches es erlaubt, das Verhältnis zur wichtigsten Handelspartnerin der Schweiz zu stabilisieren und weiterzuentwickeln», wie der Bereichsleiter Aussenwirtschaft bei Economiesuisse, Jan Atteslander, in der Mitteilung zitiert wird.
FDP wartet ab, Mitte begrüsst Verhandlungsmandat
Die FDP werde das Verhandlungsresultat beurteilen, wenn es vorliege, schrieb die Partei auf X. Die Schweiz brauche solide und geregelte Beziehungen mit Europa. Die Mitte begrüsst die Verabschiedung des EU-Verhandlungsmandats.
Geregelte Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU seien entscheidend, schreibt die Mitte auf X. Die Verhandlungen müssten rasch und auf Augenhöhe geführt werden, «um den bilateralen Weg erfolgreich in die Zukunft zu führen», so die Partei weiter. (SDA)
Neues Team in Brüssel?
Die EU wählt im Sommer neu. Es könnte also ab Herbst eine neue Kommission geben. Staatssekretär Fasel erklärt, es sei wichtig, mit der jetzigen Kommission die Verhandlungen beginnen. «Wir werden zur Zeitpunkt der europäischen Wahl in Verhandlungen sein.» Das Mandat der EU habe auch für die nächste Kommission Gültigkeit. Es sei aber im Interesse der beiden Parteien «soweit wie möglich» mit den gleichen Teams zu verhandeln. In einer nächsten Kommission wären es wohl die gleichen Beamten, die Verhandeln. Jedoch könnten die EU-Kommissare nach der Wahl wechseln.
Cassis will keine Nadelstiche mehr
Aussenminister Cassis sagt, man wolle keine «sachfremden Verknüpfungen» mehr. «Also das Forschungsprogramm Horizon für etwas anders». Die EU hatte nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen die Schweiz mit Nadelstichen gepikst.
Transparenz nur bei der EU
Nur weil man jetzt bei der EU alle Dokumente veröffentliche, heisst das nicht, dass man das auch bei Verhandlungen über das Freihandelsabkommen, zum Beispiel für China, mache. Das sei ein ganz anderes Thema.
Seco-Staatssekretärin Budliger Artieda sagt, sie nehme den Input auf. «Ich habe aber nichts versprochen», sagt sie und erntet Lacher der Journalisten.