Viel Lärm gab es bisher um die Innerschweizer Gruppierung Kompass/Europa. Sie bekämpft eine Streitbeilegung mit der EU gemäss Bundesratslinie. Dahinter stehen die Gründer der Partners Group. Sie planen eine Volksinitiative.
Etwas leiser, aber ebenso vehement tritt die zweite Gruppe aus Wirtschaftskreisen gegen den Bundesrat an: Autonomiesuisse. Angeführt wird sie vom Logistiker Hans-Jörg Bertschi, den drei Industriellen Hans-Peter Zehnder, Otto Suhner und Giorgo Behr sowie von der Zürcher Finanzfachfrau Alexandra Janssen. Im Komitee finden sich zudem altbekannte EU-Gegner, wie der neue SVP-Generalsekretär Henrique Schneider und Stephan Rietiker, Präsident von Pro Schweiz, der Nachfolgeorganisation der stillgelegten Auns.
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Die Gruppierung bekämpft den Entwurf für neue bilaterale Verträge mit der EU. Sie sieht den Bundesrat mit seinem Verhandlungsmandat auf dem Holzweg und kritisiert ihn mit konkreten Argumenten. Doch stimmen diese auch? Europarechtlerin Christa Tobler, Professorin am Europainstitut der Universität Basel, überprüft die Vorwürfe für die «Handelszeitung» und zeigt auf, wo Autonomiesuisse recht hat und wo die Organisation daneben liegt.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Autonomiesuisse: Mit dem Sondierungsresultat («Common Understanding») vom 15. Dezember seien keine wesentlichen Vorteile für die Schweiz erreicht worden. Das Resultat sei «materiell alter Wein in neuen Schläuchen». Die institutionellen Regeln seien «fast unverändert Teil der Paketlösung», dies im Vergleich zum Rahmenabkommen von 2021, welches der Bundesrat abgelehnt hatte. Deshalb sei auch das jetzige Sondierungsresultat inakzeptabel, so die Gruppe um Hansjörg Bertschi. Ähnlich argumentiert übrigens die SVP.
Tobler: Ja, es stimme, die Grundzüge der institutionellen Elemente seien unverändert geblieben. Was Autonomiesuisse aber verschweige, sei, dass es «Klärungen und Anpassungen bei konkreten, inhaltlichen Fragen», gegeben habe. Diese Ausnahmen sind erheblich und dem Bundesrat auch wichtig. Zwei Beispiele: erstens die Schweizer Praxis der Lohnkontrollen durch die paritätischen Kommissionen der Arbeitgeber und Gewerkschaften, zweitens die Einschränkungen zum Schutz des Sozialwesens für arbeitslose EU-Bürgerinnen und -Bürger.
Muss die Schweiz alles EU-Recht übernehmen?
Autonomiesuisse: Die Schweiz würde die Regeln der Personenfreizügigkeit und der Unionsbürgerrichtlinie übernehmen. Vorgesehen sei die dynamische Rechtsübernahme. Die Schweiz gebe deshalb «viel Souveränität an die EU ab». Die direkte Demokratie sei in Gefahr.
Tobler: Richtig, die dynamische Rechtsübernahme sei Teil der institutionellen Neuerungen, die Schweiz verpflichte sich dazu. Sie betreffe aber nur jene Teile des bilateralen Wirtschaftsrechts, welche inhaltlich EU-Recht übernehmen. Die Rechtsübernahme soll sicherstellen, dass das bilaterale Recht der Schweiz auf der Höhe des EU-Rechts bleibt. Das nützt den Unternehmen und den Personen, welche aus dem bilateralen Recht Rechte ableiten. Im Ernstfall könne die Schweiz aber auch Nein sagen. Dies könnte zu einem Streitbeilegungsverfahren und zu angemessenen Gegenmassnahmen der EU führen.
Ist das Schiedsgericht unabhängig vom Europäischen Gerichtshof?
Autonomiesuisse: Das Schiedsgericht sei im Streitfall nicht frei zu entscheiden. Sie müsse den Europäische Gerichtshof (EuGH) zwingend zur Vertragsauslegung heranziehen und sei an den Entscheid gebunden.
Tobler: Auch richtig, diese Verbindlichkeit gebe es. Sie erkläre sich dadurch, dass die Schweiz mit wichtigen bilateralen Abkommen inhaltlich EU-Recht übernimmt und anwendet. Die EuGH-Rechtsprechung sei schon heute vor allem im Bereich der Personenfreizügigkeit für die Schweizer Behörden und Gerichte verbindlich, wenn auch weniger weitgehend.
Ist das Freihandelsabkommen der Schweiz mit der EU dem Schiedsgericht unterstellt?
Autonomiesuisse: Das Freihandelsabkommen soll institutionell eingebunden werden. Es werde den Status als bilateraler Vertrag verlieren. Es sei explizit vom Schiedsgericht und der Beurteilung durch den Europäischen Gerichtshof auszunehmen.
Tobler: Das sei falsch. Gemäss dem Sondierungsresultat («Common Understanding») gehe es in der nächsten Verhandlungsrunde nur um fünf spezifische Abkommen, in welchen die institutionellen Regeln angepasst werden sollen: die Personenfreizügigkeit, der Land- und der Luftverkehr, die landwirtschaftlichen Produkte und die Konformitätsbewertungen. «Das Freihandelsabkommen gehört nicht dazu», sagt Tobler. Dafür müssten eigene Verhandlungen geführt werden.
Gibt es eine faire Kündigung von EU-Verträgen?
Autonomiesuisse: Das Abkommen enthalte keine faire Kündigungsklausel. Sie müsse ergänzt werden.
Tobler: Diese Aussage gehe an der Sache vorbei, weil es sich jetzt – anders als in der früheren Verhandlungsrunde – mit Bezug auf die institutionellen Fragen nicht um den Abschluss eines neuen Abkommens drehe. Gemäss dem Sondierungsresultat sollen nur die institutionellen Regeln in den genannten fünf bestehenden Abkommen angepasst werden.
Muss das Schweizer Volk obligatorisch darüber abstimmen?
Autonomiesuisse: Das auszuhandelnde Abkommen sei nicht dem obligatorischen Staatsvertragsreferendum unterstellt. Dies müsse aber der Fall sein.
Tobler: Autonomiesuisse mache eine falsche Annahme. Gemäss der Bundesverfassung gelte ein obligatorisches Staatsvertragsreferendum «ausschliesslich für Beitritte zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu überstaatlichen Gemeinschaften». Das sei hier nicht der Fall. Bei institutionellen Fragen gehe es nicht um einen Beitritt zur EU, sondern um eine Revision von ausgewählten bilateralen Abkommen. In der Praxis seien Vorlagen dem obligatorischen Referendum unterstellt worden, weil sie dem Parlament als besonders wichtig erschienen, etwa Freihandelsabkommen oder der Beitritt zum EWR, aber zwingend sei das nicht.
Fazit
Autonomiesuisse liegt gemäss Christa Tobler nur in der Hälfe der Kritikpunkte richtig, in der anderen Hälfte irrt sie sich. Wichtig zu wissen sei, so Tobler, dass der Bundesrat noch viele offene Punkte für die kommenden Verhandlungen aufliste. Der Entwurf für die Verhandlungsleitlinien zeige, wo der Bundesrat noch etwas erreichen wolle. «Dazu gehören auch diverse Klärungen und Verbesserungen gegenüber dem Sondierungsresultat.»