Marcel Dettling (42) hat alle Hände voll zu tun. Er arbeitet auf dem Parkplatz des Skilifts Hoch-Ybrig als Platzanweiser. Der Parkplatz ist gratis, doch es braucht jemand, der für Ordnung sorgt. Ein bisschen also wie der SVP-Parteivorsitz: ein Ehrenamt, das die Richtung vorgibt. Noch hat sich Dettling nicht entschieden. Doch er ist dem Amt nicht abgeneigt – und gilt in SVP-Kreisen als Favorit für die Nachfolge von Parteichef Marco Chiesa (49).
Den Silvesterabend wird Dettling mit seiner Frau und den drei Kindern zu Hause in Oberiberg SZ verbringen. Es gibt «auf Wunsch der Kinder» Fondue und einen Spieleabend. Dann freut sich Dettling auf die Trychler und die Geislenchlepfer. Letztere sind Innerschweizer Brauchtum, das böse Geister vertreibt. «Zum Beispiel die EU und die Kriegstreiber dieser Welt», sagt er und lacht.
Dettling ist «vor allem ganz rechts»
Dettling lebt mit seiner Familie auf einem Bauernhof, der jährlich knapp 80'000 Franken Direktzahlungen vom Bund erhält. Der Hof besteht aktuell aus 17 Kühen, fünf Kälbern und 40 Schafen. Der Landwirt Dettling ist damit auch ein natürlicher Feind des Wolfs: «Ich habe erst kürzlich teure Weidenetze mit 2,5 Kilometer Länge gekauft, um meine Schafe vor dem Wolf zu schützen.»
Die SVP wurde früher gern in zwei Lager eingeteilt: die Zürcher Hardliner rund um SVP-Doyen Christoph Blocher (83) und die Gemässigten rund um den Berner SVP-Liebling Adolf Ogi (81). Dettling hält nichts vom angeblichen SVP-Dualismus: «Es gibt kein Team Blocher und kein Team Ogi. Die SVP kennt nur das Team Schweiz», sagt Dettling. «Wir ziehen an einem Strick.» Wenn einer diese Einigkeit der Partei verkörpert, dann – Marcel Dettling.
Der Innerschweizer gehört seit 2015 dem Nationalrat an. Ein Weggefährte sagt über ihn: «Er ist intelligent, charmant und eloquent. Vor allem aber ist er ganz rechts – danach kommt nur noch die Wand.»
Klauenbad gegen die Moderhinke
In der Adventszeit, am 12. Dezember, stellte Dettling im Nationalrat wieder einmal seine Lieblingsfrage: «Was ist der aktuelle Stand in Sachen Bundesasylcenter im Kanton Schwyz?» Die Antwort fiel für Dettling beunruhigend schwammig aus: «Seit mehreren Jahren prüft das SEM verschiedene Standorte in der Zentralschweiz.» Dass seit Jahren über ein Bundesasylzentrum geredet, aber keines gebaut wird, dürfte auch auf Dettlings Stimmungsmache zurückzuführen sein. Früher als andere hat er erkannt, dass sich das Thema Migration an der Wahlurne auszahlt. Entsprechend bombardiert Dettling den Bundesrat immer wieder mit Fragenkatalogen.
«Kostenlawine wegen Status S», lautete eine Frage, die Dettling kurz vor Weihnachten der scheidenden Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) stellte. «Grenze schützen» lautete ein anderes Gesuch.
Doch den SVP-Kronfavoriten beschäftigen auch andere Themen. Zum Beispiel die Moderhinke – eine bakterielle Erkrankung der Klauen bei Wiederkäuern, insbesondere bei Schafen. Der Schafzüchter Dettling wollte von Gesundheitsminister Alain Berset (51) wissen, warum es keine Eilzulassung für ein bestimmtes Klauenbad gibt. Was Dettling ebenfalls beschäftigt: das Preisdumping beim Zucker. Er macht sich für die Schweizer Zuckerwirtschaft stark.
Lösungen suchen statt Blockade
Ist Marcel Dettling eine Art Markus Ritter (56) der SVP? Der Präsident des Bauernverbands, Mitte-Nationalrat Markus Ritter, zählt zu den mächtigsten Strippenziehern im Bundeshaus. Über den Landwirt Dettling ist er voll des Lobes: «Auf Marcel ist jederzeit Verlass! Ich schätze seinen Einsatz für die Landwirtschaft, sein politisches Wissen und seine starke Rhetorik. Er wäre ein exzellenter SVP-Parteichef.»
SVP-alt-Bundesrat Adolf Ogi (81) möchte keine Personalempfehlung abgeben – wünscht sich aber einen Staatsmann als SVP-Parteichef. Ogi zu SonntagsBlick: «Ein Parteichef muss führungsstark sein, muss auch Französisch sprechen und ein freundliches Gesicht haben.» Der Berner Oberländer ist überzeugt: «Politik geht auch über die Seele und das Herz. Wenn man das Herz der Bürgerinnen und Bürger nicht anspricht, kann man einpacken.»
Wichtig sei, dass Chiesas Nachfolger den Mut habe, auch bei schwierigen Themen Lösungen zu erarbeiten – etwa bei der Europa-Frage. «Mit einer Blockade-Politik kommen wir nicht weiter. Die SVP hat die Wahlen gewonnen, jetzt muss der neue Parteichef Verantwortung und Leadership übernehmen. Das heisst auch, nach einem Kompromiss zu suchen.»
Doppelspitze «passt nicht zur SVP»
Die Luzerner SVP-Nationalrätin Vroni Thalmann-Bieri (54) spricht sich für eine Doppelspitze aus: «Marco Chiesa hat die SVP stark in der lateinischen Schweiz vertreten. Das hat sich bezahlt gemacht. Eine Doppelspitze würde es uns ermöglichen, in allen Landesteilen präsent zu sein. Marcel Dettling und die Genfer SVP-Parteichefin Céline Amaudruz wären eine gute Doppelspitze. Allerdings erwarte ich, dass sich Frau Amaudruz klar von der 13. AHV-Rente distanziert, die die Genfer SVP befürwortet.»
Einem Zweiergespann an der Spitze erteilt Marcel Dettling hingegen ein Absage: «Das passt nicht nur SVP. Führung kann man nicht teilen.» Die stellvertretende SVP-Präsidentin Céline Amaudruz (44) hingegen könnte sich ein Co-Präsidium vorstellen: «Das entspricht zwar nicht den Gepflogenheiten der Partei. Aber ich schliesse keine Tür, was meine Rolle in der Führung der SVP betrifft.» Die Genfer Nationalrätin betont: «Ich bin motiviert und entschlossen, mich dafür einzusetzen, die für die Mittelschicht wichtigen Anliegen voranzubringen.»
Eine andere SVP-Frau nimmt sich hingegen aus dem Rennen: Die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (47) lässt mitteilen, dass für sie das Parteipräsidium aktuell nicht infrage komme.
Favorit Marcel Dettling hat den Neujahrsvorsatz gefasst, sich trotz der Politik noch genügend Zeit für die Familie und den Hof zu Hause zu nehmen. Was nach einer verklausulierten Zusage für eine Kandidatur als Parteichef klingt, will Dettling aber nicht so verstanden wissen: «Die Partei entscheidet am 19. Januar über die Zukunft an der Parteispitze.»