Malmöer ESC-Organisatorin Karin Karlsson über Sicherheitsbedenken
«ESC ist nicht nur eine fröhliche, integrative Party»

Karin Karlsson hat den vergangenen Eurovision Song Contest in Malmö organisiert. Jetzt kommt der Megaevent entweder nach Genf oder Basel. Im Interview verrät Karlsson ihre Tipps für den künftigen Gastgeber, spricht über Sicherheitsbedenken und wie die Stadt profitiert.
Publiziert: 05.08.2024 um 23:44 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2024 um 08:28 Uhr
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Karin Karlsson hat den Eurovision Song Contest schon zweimal organisiert – zuletzt in diesem Jahr in Malmö.
Foto: IMAGO/TT
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Niemand weiss wohl so gut, was es heisst, einen Eurovision Song Contest zu organisieren. Karin Karlsson hat es schon zweimal getan. Als Managing Director war sie verantwortlich für den ESC dieses Jahr in Malmö wie auch schon die Ausgabe 2013 in der schwedischen Stadt. Nun kommt das Musikfest in die Schweiz. Ende August fällt der Entscheid, welche Stadt den ESC austragen darf.

Blick: Karin Karlsson, in der Schweiz sind mit Basel und Genf noch zwei Städte im Rennen um die ESC-Austragung. Hat man bei Ihnen schon nach Tipps gefragt?
Karin Karlsson
: Tatsächlich hat sich Genf bei mir gemeldet und sich nach meinen Erfahrungen erkundigt.

Und, welche Tipps haben Sie gegeben?
Um den Zuschlag zu bekommen, ist es neben den finanziellen Aspekten auch wichtig, eine Vision zu präsentieren, nicht nur einfache Ideen. Warum soll der ESC genau in diese Stadt? Woran soll man sich nach dem Event erinnern? Danach ist ein entscheidender Punkt die Verhandlung mit dem Fernsehsender. Die Städte müssen versuchen, auch etwas für sich herauszuholen. Es gibt einige Pflichten für den Austragungsort, aber das heisst nicht, dass man nicht verhandeln kann …

Die ESC-Organisatorin

Karin Karlsson hat als Managing Director den Eurovision Song Contest 2024 und 2013 in Malmo organisiert. Zuvor war sie Programmmanagerin beim Veranstaltungszentrum Malmö Live, das über eine Konzerthalle, Hotel und Konferenzzentrum verfügt. Von 2009 bis 2012 arbeitete sie als Projektmanagerin für das Malmö Festival.

Karin Karlsson hat als Managing Director den Eurovision Song Contest 2024 und 2013 in Malmo organisiert. Zuvor war sie Programmmanagerin beim Veranstaltungszentrum Malmö Live, das über eine Konzerthalle, Hotel und Konferenzzentrum verfügt. Von 2009 bis 2012 arbeitete sie als Projektmanagerin für das Malmö Festival.

Gibt es noch einen zweiten Ratschlag?
Nichts überstürzen! Ja, es ist wenig Zeit bis zum Event, aber stellen Sie ein Team zusammen, dem Sie vertrauen können und investieren Sie Zeit in den Projektplan, das zahlt sich später aus. Beim ersten Mal war sowohl für uns als auch für den Sender vieles unklar. Als wir 2013 den Zuschlag bekamen, hatte Schweden seit über 20 Jahren keinen ESC mehr organisiert. Es hat lange gedauert, bis wir verstanden haben, was unsere Aufgabe ist.

In Genf gibt es eine riesige Halle, in Basel eine kleinere, vergleichbar mit jener von Malmö. Inwiefern spielt das eine Rolle für den Entscheid?
Das kommt darauf an, wie viele Tickets man überhaupt verkaufen will – also wie viele Leute es sich leisten können, für den ESC in die Schweiz zu reisen. Nach Malmö kamen Leute aus 80 verschiedenen Ländern. Ich glaube aber, etwas anderes ist wichtiger.

Was?
Die Stadt muss es schaffen, eine «Eurovisionswelt» zu kreieren. Also kurze Wege zwischen Veranstaltungsorten, Flughafen und Hotels. Die ganze Party in einer Blase. Dafür kann eine kleinere Halle sogar helfen.

Sie haben mit Malmö schon zweimal den Zuschlag bekommen. Wie fühlt sich das an, wenn man weiss: In wenigen Monaten sehen Millionen von Menschen meine Stadt?
Ich war sehr stolz und glücklich, dass es Malmö wieder geschafft hat. Nach dem ersten ESC war ich wirklich müde. Aber später realisierte ich, was für ein riesiges Privileg es auch war.

«Der ESC war ein Fest für die Demokratie», sagt Karin Karlsson (r.) (im Bild mit den Moderatoren von Malmö, Farah Abadi und Pernilla Mansson)
Foto: IMAGO/TT

Warum?
Ich mag das Publikum und ich mag den Wettbewerb. Malmö ist eine grossartige Stadt mit vielen tollen Werten. Durch den ESC konnten wir Malmö für einen Moment auf die Weltkarte setzen. Die Leute, die 2013 in die Stadt kamen, waren so nett. Ich wollte es beim zweiten Mal noch besser machen. Aber vieles ist anders herausgekommen, als ich erwartet hatte.

Nämlich?
Die ganze Sicherheitsfrage war wirklich kompliziert. Als wir den ESC gewonnen haben, wussten wir nicht, dass die Terrorstufe in Schweden erhöht werden würde, und es gab noch keinen Krieg zwischen der Hamas und Israel. Das brachte viele Herausforderungen mit sich.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Bei meinem ersten ESC konnten wir ein Eurovisionsdorf auf jedem beliebigen Platz errichten, und die Veranstaltungen über die ganze Stadt verteilen. Nun mussten wir vorher sorgfältig planen und Events nach drinnen verlegen, um mehr Kontrolle zu haben. Ich habe täglich ein Interview zum Thema Sicherheit gegeben. Es war also nicht einfach nur eine fröhliche, integrative Party. Sie geriet vielmehr in den Strudel der Weltpolitik.

Waren Sie rückblickend nicht zu vorsichtig?
Nein. Innerhalb dieses Zeitraums ist eine Menge passiert, Musiker wurden belästigt und einige Menschen hatten Angst, weil die Terrorwarnstufe erhöht wurde. Das sind wir uns in Schweden nicht gewohnt. Dazu kommt die Angst vor Cyberangriffen und Desinformation.

Droht das auch der Schweiz?
Ich wäre überrascht, wenn es in der Schweiz nicht auch zu Cyberangriffen käme. Schon Liverpool hatte 2022 damit zu kämpfen. Die Probleme hängen ja auch nicht nur mit dem Krieg in der Ukraine zusammen, die Angriffe kamen aus Russland, dem Iran und Nordkorea.

Was kann die Schweiz dagegen machen?
Ich glaube nicht, dass man da viel tun kann. Wir haben schon sehr früh, im September, eine Gruppe zur Cyberabwehr gebildet. Und auch innerhalb der Stadt hatten wir eine Spezialeinheit, die sich mit Cyberangriffen befasste. Trotzdem kann immer etwas passieren.

Wie hoch waren die Sicherheitskosten?
Die Polizeibehörden haben rund hundert Millionen schwedische Kronen (rund 8,1 Millionen Franken) für die Sicherheit ausgegeben. Auch die Stadt hat natürlich in die Sicherheit investiert, kommuniziert aber keinen Betrag. Es ist aber deutlich weniger. Viele Leute haben innerhalb der Stadt lange Zeit Vollzeit für die Sicherheit gearbeitet.

Was löst es in einer Stadt aus, wenn plötzlich schwer bewaffnete Polizisten patrouillieren?
Das fühlt sich natürlich hart an, vereinzelt hatten die Menschen auch Angst. Leider kamen dadurch die Bewohner von Malmö kaum an die Veranstaltungen. Sie erkannten ihre Stadt nicht wieder. Das war traurig.

Hielten diese Gefühle an?
Nein. Der Stolz überwiegt. Der ESC war ein Fest für die Demokratie. Die Einwohner der Stadt sind sehr stolz, dass wir Demonstrationen und eine grosse Party gleichzeitig haben konnten. Vielleicht war es kein so grosser Erfolg für den Tourismus, wie wir es uns erhofft hatten. Aber es gab einen anderen, viel wichtigeren Sieg: Die Demokratie hat gewonnen.

Was bringt der ESC dem Tourismus?
Als der ESC startete, kamen nicht sehr viele Menschen nach Malmö. Da dachten wir: «Okay, das wird nicht gut ausgehen.» Aber im Laufe der Woche kamen immer mehr Leute hierher, und die Hotels waren ziemlich ausgebucht.

Spüren Sie einen längerfristigen ESC-Effekt?
Es sind erst drei Monate her, doch der ESC 2013 zeigte, dass noch Jahre später Konzerte und Veranstaltungen in der Arena stattfanden. Wir sind nicht Stockholm oder Göteborg. Für eine Stadt wie Malmö ist es also ein Gewinn, dass wir die Arena belegen können. Der Geschäftsführer des Hotels und des Konferenzzentrums, wo die Eröffnungszeremonie dieses Jahr stattfand, hat gesagt, dass man während des ESC so viel einnahm wie noch nie. Und ich glaube, dass es auch längerfristig einen positiven Effekt haben wird.

Die Stadt müsse es schaffen, eine «Eurovisionswelt» zu kreieren, rät Karlsson.
Foto: keystone-sda.ch

Haben Sie die Schlussabrechnung schon vorliegen?
Nein, die wird erst Ende August vorliegen. Ich kann aber schon sagen, dass wir kein Minus haben. Es wird ein gutes Resultat werden.

In der Schweiz läuft jetzt auch die politische Diskussion, es wird mit Referenden gedroht. Haben die politischen Debatten ihre Arbeit beeinflusst?
Welches Ereignis wird nicht von der Politik beeinflusst? Sehen Sie sich die Olympischen Spiele an. Ich denke, deshalb ist es so wichtig, zu sehen, dass der Eurovision Song Contest kein politisches Ereignis ist. Es ist ein Musikwettbewerb. Viele Politiker, die sagen, der ESC sei nur politisch oder nur für die LGBTQ-Gemeinschaft, wissen nicht, wie wichtig der Wettbewerb für die Musikszene ist. Meine Tochter hört jetzt Nemo, ich selbst mag den französischen Titel. Der ESC kann Welthits schaffen.

Was sagen Sie den Schweizerinnen und Schweizer: Wie ist es, ESC-Austragungsland zu sein?
Es werden friedliche, lustige, freundliche, kreative Menschen in die Schweiz kommen. Jeder ist willkommen, Jung und Alt. Ich hoffe, Sie werden es geniessen.

Gibt es einen Fehler, den Sie nicht noch einmal machen würden?
Ich würde vielleicht ein bisschen anders verhandeln. Ich war sehr zufrieden mit dem Deal. Aber ich glaube, beim nächsten Mal versuche ich auszuhandeln, dass wir nicht auch noch alle Hotelbuchungen verwalten müssen. Das war kompliziert.

Werden Sie selbst in die Schweiz reisen, um den ESC zu sehen?
Auf jeden Fall. Ich freue mich schon darauf. Ich hoffe, ich bekomme ein Ticket für einige Shows. Wir beneiden alle die Stadt, die den Zuschlag bekommen wird. Es ist hart, den ESC auszutragen – aber es macht so viel Spass!

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