Linken-Star Heidi Reichinnek über CDU-Kanzler Merz, Wladimir Putin – und ihren Kampf gegen rechts
«Ich will AfD-Wähler überzeugen»

Hype um «Heidi»: Die Spitzenfrau der deutschen Linken begeistert Junge und mischt das Berliner Polit-Establishment auf. Im Gespräch sagt sie Friedrich Merz den Kampf an und erklärt, warum sie der Ukraine keine Waffen mehr liefern will.
Publiziert: 15:22 Uhr
1/8
Heidi Reichinnek (Mitte) jubelt mit den Linken-Chefs Jan van Aken und Ines Schwerdtner über den überraschenden Wahlerfolg.
Foto: AFP

Darum gehts

  • Heidi Reichinnek spricht über die neue Koalition und den schwierigen Umgang mit der AfD.
  • Vom neuen Kanzler Merz erwartet die Linken-Politikerin nicht viel: «Er wird Klassenkampf von oben betreiben.»
  • Europa muss laut Reichinnek auf Diplomatie setzen – auch mit Wladimir Putin.
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Mix1_Blick_Portrait_1230.JPG
Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Und plötzlich war sie da: «Heidi». Mit roten Lippen, Pony-Frisur und einem Tattoo der Kommunistin Rosa Luxemburg auf dem – natürlich linken – Unterarm. Andere Politikerinnen haben Wähler, Heidi Reichinnek hat Fans. Mit rhetorischem Talent, pointierten Positionen und viralen Tiktok-Videos führte sie die Linke zu einem überraschenden Wahlerfolg. Bei den 18- bis 24-Jährigen wurde die Partei sogar mit Abstand stärkste Kraft. Im Gespräch mit Blick feuert sie Salven gegen Milliardäre, AfD-Politiker und CDU-Chef Friedrich Merz – und erklärt, warum sie der Ukraine keine Waffen mehr liefern will.

«Links ist vorbei!», rief Friedrich Merz im Wahlkampf seinen Anhängern zu. Ist links vorbei?
Heidi Reichinnek:
Ich weiss noch immer nicht, welches «Links» Merz damit überhaupt meinte. Die Ampelkoalition hatte mit linker Politik ja nichts zu tun. Das behaupten er und andere zwar gerne, aber linke Politik bedeutet, den Fokus auf soziale Gerechtigkeit zu legen, auf die Würde der Menschen, auf gleiche Rechte und Freiheiten für alle. Und was uns betrifft, muss ich Herrn Merz leider enttäuschen: Links ist so stark wie selten. Und wir fangen gerade erst an.

Das tönt nach einer Kampfansage an die künftige Regierung aus Union und SPD.
Sehen Sie sich doch mal den Vertrag der neuen Koalition an!

Laut CSU-Chef Markus Söder ist es «ein kleiner Bestseller».
Es ist ein Vertrag der Ignoranz von einer Koalition der Ignoranz. Sämtliche zentralen sozialen Fragen, die die Menschen im Land umtreiben, sind darin nicht angemessen adressiert. Das fängt an beim Thema Wohnen – es fehlt eine Lösung für die Mietenkrise. Auch zur Frage nach guten Löhnen, guten Renten oder kostenfreien und gut ausgestatteten Kitas liefern CDU und SPD keine Antworten. Der soziale Bereich bleibt komplett aussen vor. Ich habe schon nichts erwartet und wurde trotzdem enttäuscht.

Sie gefallen sich in der Rolle der Totalopposition. Sind Sie denn auch bereit, für konkrete Lösungen mit den anderen Parteien zusammenzuarbeiten?
Natürlich, das haben wir immer wieder sehr deutlich gesagt, auch in Richtung der Union. Wir sind zwar politische Konkurrenz, und da kann man sich auch mal hart angehen. Aber wir demokratischen Parteien stehen alle auf dem gleichen Fundament. Ich sage aber auch: Der Ball liegt jetzt bei der neuen Koalition. Und da mache ich mir wenig Illusionen.

Was erwarten Sie vom künftigen Kanzler?
Friedrich Merz arbeitete beim weltgrössten Vermögensverwalter Blackrock. Ich erwarte, dass er Klassenkampf von oben betreibt. Wir machen es von unten.

Heidi Reichinnek

Heidi Reichinnek (37) ist seit 2025 Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag. Sie wuchs in Ostdeutschland auf, im ländlichen Sachsen-Anhalt. Ihre Mutter arbeitete als Chemiefacharbeiterin, ihr Vater als Elektriker. Reichinnek studierte Nahoststudien und Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Später war sie in Westdeutschland in der Flüchtlings- und Jugendhilfe tätig. Seit 2015 politisiert sie bei der Linken, seit 2021 im Bundestag. Auf Tiktok und Instagram folgen ihr über eine Million Menschen.

imago/

Heidi Reichinnek (37) ist seit 2025 Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag. Sie wuchs in Ostdeutschland auf, im ländlichen Sachsen-Anhalt. Ihre Mutter arbeitete als Chemiefacharbeiterin, ihr Vater als Elektriker. Reichinnek studierte Nahoststudien und Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Später war sie in Westdeutschland in der Flüchtlings- und Jugendhilfe tätig. Seit 2015 politisiert sie bei der Linken, seit 2021 im Bundestag. Auf Tiktok und Instagram folgen ihr über eine Million Menschen.

Noch vor zwei Monaten sah es danach aus, als ob die Linke den Einzug in den Bundestag verpasst. Dann gingen Tiktok-Videos von Ihnen millionenfach viral, und jetzt steht die Partei bei 10 Prozent.
So einfach ist das nicht. Den Erfolg verdanken wir der krassen Leistung der Basis. Den Menschen, die an den Infoständen waren, die plakatiert haben, die in der Kommunalpolitik ihr Gesicht für uns hinhalten.

Der Hype um die Linken ist aber doch vor allem ein Hype um «Heidi». Im Wahlkampf standen junge Leute plötzlich Schlange, um ein Autogramm von Ihnen zu bekommen.
Ich bin immer wieder erstaunt, dass Leute das wollen. Weil ich mir immer denke, ich mache ja eigentlich bloss meinen Job. Ich leiste meinen Part, klar, aber es ist eben nur ein Teil von etwas Grösserem.

Die Linke verstand sich stets als Klassenpartei mit Fokus auf soziale Gerechtigkeit. Seit Jahresbeginn traten 50'000 Neumitglieder in die Partei ein. Die kommen eher aus akademischen, aus städtischen Milieus. Ihnen geht es um Fragen wie Gender, Identität und Feminismus. Das passt doch nicht zusammen.
Ich sehe da keinen Widerspruch. Von rechter oder konservativer Seite wird stets versucht, diese Kämpfe auseinanderzudividieren. Nehmen wir das Beispiel Feminismus: Da geht es um Lebenshaltungskosten, es geht um die Frage nach gleichem Verdienst, darum, ob ich über mich selbst bestimmen kann und ich vor Gewalt geschützt bin. Das sind ganz klar soziale Fragen.

Verdankt die Linke den neuen Erfolg auch dem Parteiaustritt von Sahra Wagenknecht?
Dazu will ich gar nicht viel sagen ...

Auf einmal so diplomatisch?
Es ging bergauf, seit sich das Bündnis Sahra Wagenknecht von der Linken abgespalten hat. An dem Punkt hat sich einiges geklärt. Die ganzen Streitereien der letzten Jahre sind endlich überwunden. Wir waren ja wirklich am Boden. Jetzt konzentrieren wir uns auf unsere Kernthemen: Mieten, Lebenshaltungskosten, die Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen.

Sie wurden im ganzen Land bekannt, als Sie am 29. Januar im Parlament eine flammende Rede für den Erhalt der Brandmauer gegen die AfD gehalten haben. Mittlerweile dürfte das die meistgeschaute Rede im Deutschen Bundestag aller Zeiten sein. Heute, nicht einmal drei Monate später, ist die AfD in Umfragen erstmals die stärkste Partei. Gibt es überhaupt ein Rezept gegen den Aufstieg der AfD?
Eine gute Sozialpolitik. Das ist das Allerwichtigste, denn viele Umfragen zeigen, dass Menschen, denen es wirtschaftlich schlechter geht, offener sind für rechtsextreme Erklärungsmuster.

Die AfD punktet bei den Menschen vor allem beim Thema Migration. Gewalttaten von Asylsuchenden sind bittere Realität. Welche Lösungen bietet die Linke?
Fakten. Ganz im Gegenteil zur AfD. Die lügt und reisst Zahlen aus dem Kontext.

Fakten allein lösen aber das Problem nicht.
Wir müssen über die psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten reden, über Sozialarbeit, über die Arbeit mit migrantischen Communitys. Aber auch darüber, wie wir mehr Personal für die Polizei bekommen und diese besser vernetzen. Die Schaffung eines nationalen Sicherheitsrats, worüber gerade diskutiert wird, finde ich einen guten Ansatz. Was nicht hilft, ist, wenn demokratische Parteien die Talking Points der AfD übernehmen und sie damit salonfähig machen.

Sie plädieren für eine stabile Brandmauer. Kann man die stärkste Partei des Landes bei Mehrheitsfindungen wirklich einfach ausschliessen?
Die AfD ist keine Partei wie alle anderen. Nur weil sie demokratisch gewählt wurde, ist sie noch lange nicht demokratisch. Da sollten doch gerade wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Die AfD ist eine rechtsextreme Organisation.

Und was ist mit den Millionen Menschen, die diese Partei gewählt haben?
Mit denen rede ich. Ich will AfD-Wähler überzeugen. Ich weiss auch, dass man viele von ihnen überzeugen kann. Im Bundestag arbeite ich aber nicht mit Rechtsextremen zusammen.

Wagen wir einen Blick in die Welt: US-Präsident Donald Trump zertrümmert gerade die internationale Ordnung. Wie soll Europa reagieren?
Na ja, dass Trump so ist, wie er ist, das wissen wir jetzt ja auch nicht erst, seit er erneut gewählt wurde. Man hätte sich da ganz anders drauf vorbereiten müssen. Es braucht eine starke europäische Aussen- und Sicherheitspolitik, die auf Diplomatie fokussiert ist und nicht auf Aufrüstung und Kriegstreiberei.

Diplomatie auch mit Wladimir Putin?
Wie wollen Sie den Ukraine-Krieg sonst beenden? Letztlich muss es doch Gespräche geben. Die alleinige Strategie der Waffenexporte konnte den Krieg in der Ukraine ja bis heute auch nicht stoppen.

Das hört sich jetzt plötzlich wieder ganz nach der traditionellen Linkspartei an, wie sie Leute wie Sahra Wagenknecht geprägt haben.
Natürlich sehen auch wir, dass sich die Welt verändert hat. Aber wir kommen nicht darum herum, Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Das funktioniert doch nur über militärische Stärke. Und dafür braucht die Ukraine Waffen, die Sie dem Land verwehren wollen.
Also, wenn ich mal die Gegenfrage stellen darf: Was glauben Sie denn, wie viele Waffen wir an die Ukraine liefern müssten, bis Russland militärisch besiegt wird?

Es geht um die Verteidigung gegen Putins imperialistisches Regime.
Die letzte Konsequenz aus der Logik der Waffenlieferungen an die Ukraine ist doch nichts anderes als ein Sieg über Russland. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass Putin militärisch nicht zu besiegen ist. Wir müssen deshalb auf andere Weise Druck aufbauen.

Wie?
Drei Punkte. Erstens: Die russische Opposition muss gestärkt werden, Deserteure brauchen unseren Schutz. Zweitens: Wir müssen auf die Oligarchen hinter Putin zielen, deren Vermögen konsequenter einfrieren und über ein Immobilienregister ihre Häuser, Wohnungen und Grundstücke beschlagnahmen.

Und drittens?
Es braucht mehr internationalen Druck. Das funktioniert nur, indem wir Bündnisse auch ausserhalb der bereits bestehenden bilden. China etwa sollte mit an den Verhandlungstisch, denn wenn China ruft, wird Putin kommen. Und statt immer nur auf die Nato zu schielen, sollten wir vermehrt auf die Vereinten Nationen und die Europäische Union setzen. Wir diskutieren aber lieber weiter, welches Waffensystem als nächstes geliefert wird.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?